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Angesichts des erneuten gefährlichen Schlagabtausches zwischen Israel und der Hamas scheinen sich die Grenzen zu verschieben.
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Es ist noch nicht lange her, dass die Grenzen des Nahen Ostens von europäischen Kolonialmächten festgelegt wurden. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg trugen die machtpolitischen Interessen der Sowjetunion und der USA erheblich zum Ausbruch gewaltsamer Konflikte zwischen Mittelmeer und Hindukusch bei.
Jetzt, da sich Israel und die Hamas in Gaza einen gefährlichen Schlagabtausch liefern und man den Beginn einer neuen Intifada fürchtet, scheint es, als würden sich bald die Grenzen im Nahen Osten wie tektonische Platten verschieben. Im Chaos dieser wirtschaftlich wichtigen Region bangt man einerseits um den Erhalt des Friedens, andererseits hoffen manche Politiker und Militärstrategen auf eine Umstrukturierung des Gebietes, das man als "Neuen Naher Osten" bezeichnet.
Die Idee ist keineswegs neu. Bereits 2006 hatte George W. Bushs ehemalige US-Außenministerin, Condoleeza Rice, während ihres Besuches in Israel von einem "Greater Middle East" gesprochen. Vorrangiges Ziel sei die Neubestimmung staatlicher Grenzen innerhalb des "Bogens der Instabilität", der sich vom Libanon über den Irak und den Persischen Golf bis nach Afghanistan zieht, um die Einflusssphäre der USA zu vergrößern, erklärte sie.
Joe Biden, damals noch Senator der Demokraten und heute Vizepräsident der USA, sprach im Rahmen dieser Strategie den Plan einer Föderalisierung an, also einer Aufteilung des Irak. Kaum zehn Jahre später scheint dieses Vorhaben mit der stark befürworteten Unabhängigkeit eines Kurdenstaates tatsächlich erste Formen anzunehmen.
Dass es dem Westen dabei nicht etwa um die Unterstützung der unterdrückten kurdischen Bevölkerung geht, sollte einleuchten. Mehr als 20 Prozent der nationalen Ölvorkommen befinden sich laut Informationen des irakischen Ölministeriums in der Gegend um Kirkuk, Mossul und Chanaqin. In jener Zone also, die zum Großteil von kurdischen Stämmen bewohnt und nun von islamistischen Isis-Kämpfern heimgesucht wird.
Während die Welt über die Identität des Isis-Anführers Abu Bakr Al-Baghdadi rätselt (einige meinen, er sei ein CIA-Agent oder gar eine Erfindung des Pentagon), rechnet die weltweit größte Erdölfördergesellschaft Saudi Aramco ihre Gewinne hoch.
Irakisches Erdöl spielt dabei eine wesentliche Rolle - und das nicht erst seit der Bedrohung durch die Isis, deren Ideologie sich eigentlich kaum von jener der wahabitischen Saudis unterscheidet. "Der Irak wird zukünftig gebraucht", betonte Ali Al-Naimi, Saudi-Arabiens Ölminister und ehemaliger Leiter von Aramco. Ein starker Irak ist jedoch weder von den Golfstaaten noch von den USA erwünscht. Was bleibt, ist ein zersplitterter Staat mit einem überschaubaren kurdischen Gebiet, dem zwar Souveränität angeboten, aber nur unter der Voraussetzung einer US-konformen Linie gewährt wird.
Kann der Irak erfolgreich geteilt werden, so werden Staaten wie die Türkei und Syrien eventuelle Gebietsverluste nicht ohne weiteres hinnehmen. Befriedet wird die Region demnach gewiss nicht. Wer von einem "Neuen Nahen Osten" allerdings am meisten profitieren wird, kann man schon jetzt erahnen.