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Der international renommierte österreichische Regisseur Robert Dornhelm spricht über seinen Werdegang vom Dokumentarfilmer zum Spielfilmregisseur, über die Erfolgsregeln von Hollywood - und über seinen neuesten Film, den er gerade in Tirol dreht.
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"Wiener Zeitung": Herr Dornhelm, für Szenen aus Ihrem neuen Fernsehfilm über die erfolgreiche italienische Expedition auf den K2 wurde hier in Tirol auf dem Set ein pakistanischer Marktplatz aufgebaut. Ein paar Schafe sind auch dabei. Stimmt es, dass Sie in Ihrer Jugend Schafhirte werden wollten?
Robert Dornhelm: Ich wollte Schafhirte werden, aber nicht in meiner Jugend, dieser Wunsch kam erst später. In meiner Jugend bin ich vor den Schafen weggelaufen. Bei uns in Rumänien gab es genug - und was im Überfluss vorhanden war, hat mich nie gereizt. Im Grunde würde ich heute noch gerne Schafhirte werden. Solche archaischen Bilder lösen in mir ein starkes Echo aus und meine Sehnsucht nach einem natürlichen Leben wird immer größer. Auch meine Tierliebe hat sich in den letzten Jahren noch verstärkt. Ich halte in Los Angeles Hühner, Hasen, Katzen und Enten. Sogar eine Ziege hatte ich einmal, die ist allerdings mittlerweile gestorben. Tiere wirken sehr beruhigend auf mich. Ich bin zwar kein Vegetarier, aber es fiele mir nicht ein, meine eigenen Tiere zu essen. Manchmal köpfe ich ein altes, schwaches Huhn und werfe es in den Canyon, damit die Kojoten etwas davon haben. Schafe halte ich allerdings keine.
Was ist Ihrer Meinung nach schwieriger: eine Schafherde hüten oder eine Gruppe Schauspielstars leiten . . .
Auf Grund mangelnder Erfahrung hätte ich wahrscheinlich beim Schafhüten mehr Probleme. Mit den meisten Schauspielerinnen und Schauspielern ist die Zusammenarbeit nämlich sehr angenehm. Es gibt natürlich welche, die schwierig sind und ein übermächtiges Ego haben.
Manche glauben, sie können alles spielen, den Sohn und den Vater und den Onkel, das Kind und die Mutter und die Tante und die Großmutter zugleich. Wenn sie ein überzeugendes Talent besitzen, bin ich bereit, jedes Opfer auf mich zu nehmen, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aber selbst die großartigsten Schauspieler müssen bereit sein, sich der Filmfigur und der Geschichte unterzuordnen. Jeder aus dem Team ist im Mosaik eines Films nur ein Steinchen und nicht das ganze Bild.
Es fällt auf, wie ruhig, gelassen und freundlich Sie mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier am Set umgehen. Werden Sie auch manchmal wütend?
Nur sehr selten. Kreativität kann sich ausschließlich in einem wohlwollenden Klima entfalten und nicht in gedrückter oder hektischer Atmosphäre. Deshalb lege ich großen Wert darauf, dass hier niemand herumschreit. Würde das jemand tun, würde ich ihn hinausschmeißen. Ganz gelassen und ruhig.
Anfang der 1960er Jahre emigrierten Sie als Dreizehnjähriger mit Ihren Eltern von Rumänien nach Österreich. Haben Sie in Österreich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Fernsehen gemacht?
Nein, denn einen Fernseher besaßen wir bereits in Rumänien, und zwar als einzige Familie in unserem Haus. Deshalb kamen unsere Nachbarn immer zu uns, und alle saßen so lange in unserem Wohnzimmer, bis es auf dem Bildschirm nur noch flimmerte. Das war meistens nach zwei, drei Stunden der Fall. Wir empfingen vor allem jugoslawische und ungarische Sendungen. In einer jugoslawischen Serie tanzte ein Paar immer Cha-Cha-Cha. Daran kann ich mich noch gut erinnern, aber meine Filmbegeisterung wurde dadurch nicht entflammt. Diese weckte später u.a. der Regisseur Vittorio de Seta. Ich sah seinen Film "Die Banditen von Orgosolo", eine Dokumentation über die Hirtenkultur auf Sardinien, und ich war begeistert. Vittorio wurde zu einem großen Vorbild für mich.
Sie sind als Dokumentarfilmer bekannt geworden und haben Ihr Repertoire in Hollywood auf Spielfilme erweitert. Was liegt Ihnen mehr: die Realität oder die Fiktion?
In meinen ersten 20 Jahren als Regisseur drehte ich ausschließlich Dokumentationen, weil ich alles Fiktive für läppisch und für Kinderkram hielt. Diese Haltung hat sich gewandelt. Mir wurde im Laufe meiner Arbeit bewusst, dass man Wahrheit nicht wiedergeben kann, indem man die Realität wiedergibt. Also brachte ich Realismus und Fiktion zusammen, indem ich mir für Spielfilme Stoffe vornahm, die auf realen Begebenheiten basieren. Ich wollte keine rein erfundenen Filmfiguren, sondern Vorbilder aus der Wirklichkeit, die Dramaturgie aber durchaus eingebettet in zum Teil fiktive Handlungen. Damit konnte ich gut arbeiten. Mittlerweile finde ich auch in der Künstlichkeit, speziell im Künstlerischen, einen Spiegel der Realität. Ich suche nach ästhetischen Positionen - ob real oder fiktiv, das steht für mich nicht mehr so sehr im Vordergrund.
Sie haben an der Wiener Filmakademie studiert. Warum haben Sie das Studium abgebrochen?
Weil ich im Fach Regie durchgefallen bin. Ich hätte ein Jahr wiederholen müssen. Dazu hatte ich keine Lust, außerdem war ich mit Anfang Zwanzig bereits Vater. Ich musste meine Familie ernähren. Nach meiner Oscar-Nominierung im Jahr 1978 für den Dokumentarfilm "The Children of Theatre Street" mit Grace Kelly bzw. Fürstin Gracia Patricia von Monaco ging ich dann sowieso nach Hollywood . . .
. . . und dort bekamen Sie den Stechpalmenwald zu spüren . . .
Ja, trotz des guten Beginns waren die ersten Jahre ausnehmend hart. Die Entwicklung vom kleinen Dokumentarfilmer zum beachteten Spielfilmregisseur war nur mit großer Zähigkeit zu schaffen. Ich arbeitete mich aus dem Loch heraus, indem ich Bud Cort engagierte, der im Film "Harold und Maude" die männliche Hauptrolle gespielt hatte. Ich ließ ihn in meinem Film "She dances alone" - eine Geschichte über Kyra Nijinsky, der Tochter des großen russischen Tänzers Vaslav Nijinsky - einen Dokumentarfilmer spielen, also mich selbst. Mit dieser Verbindung von beiden Genres tappte ich mich behutsam an den Spielfilm heran.

Hat es ein österreichischer Regisseur in der amerikanischen Filmmetropole besonders schwer?
Die wichtigen, maßgeblichen Leute in Hollywood haben eine Banker-Mentalität, sie interessiert keine Nationalität, sondern nur die Kreditwürdigkeit. Wenn diese einfallslosen Illusionisten merken, dass man die Menschen mit Filmen massenweise ins Kino zu locken vermag, hat man sie auf seiner Seite. Beim Fernsehen wiederum gibt es Listen, dort wird man als A-B-C- oder D-Regisseur geführt. Was letztlich zählt, sind Zuschauerzahlen und Quoten.
Interessieren Sie sich selbst für die Quoten Ihrer Filme oder sind Ihnen als A-Regisseur mit vielen Vorschusslorbeeren die Zuschauerzahlen nicht mehr so wichtig?
Abgesehen davon, dass ich mir selbstverständlich große Zustimmung für meine Filme wünsche, können mir die Zuschauerzahlen gar nicht egal sein, weil eine gute Quote die Basis für weitere Projekte schafft. Auch ich muss ja meinen jeweils nächsten Job absichern. Ich warte also durchaus auf den Anruf, der immer am Tag nach der TV-Ausstrahlung eines Filmes kommt und mir die Zahlen bekannt gibt. Früher bin ich sogar manchmal ins Kino zu einem meiner eigenen Filme gegangen, um zu sehen, wieviele Leute in der Schlange stehen. Während der Vorstellung verfolgte ich nicht die Handlung, sondern beobachtete die Reaktion der Zuschauer auf die einzelnen Szenen. Das ist aber 30 Jahre her. Jetzt schaue ich mir kaum noch einen Film an, bei dem ich Regie geführt habe, auch nicht im Fernsehen. Das ist mir immer ein bisschen unangenehm.
Sie haben viele Preise erhalten, waren für den Oscar und den Golden Globe nominiert, erhielten den Emmy-Award und die Goldene Romy. Ihr Leben ist bestimmt von Erfolg und Anerkennung. Haben Sie ein Rezept für erfolgreiche Filme?
Nein, denn dieses Rezept gibt es nicht. Es gibt die Erfahrung und das Können, sodass man mit einem hervorragenden Team auch bei einer Low-Budget-Produktion einen guten Film machen kann. Ein Rezept zu kopieren funktioniert nicht, auch nicht eines, mit dem man selber bereits erfolgreich war. Kein Hit lässt sich wiederholen, es wechseln die Themen, die Drehbücher, die Schauspieler, die Orte, die Herangehensweise, die Machart. Und es wird auch nach vielen Filmen nicht leichter, die Akzeptanz der Zuschauer und der Produzenten zu gewinnen. Man muss immer kreativ bleiben und den Mut haben, Neues zu probieren. Am besten ist es natürlich, man ist der Erste, der mit etwas Neuem erfolgreich ist.
Wie gehen Sie mit Kritiken um, insbesondere mit schlechten?
Ich nehme Kritiken nicht mehr so wichtig wie noch in meinen Anfangszeiten als Regisseur. Das hängt auch mit der Menge zusammen: Nach der Premiere eines Kinofilms erscheinen in Amerika rund 500 Kritiken, nach einem Fernsehfilm bis zu 1000. Das ist ein ganzes Buch. Soll ich das alles lesen? Ich lasse mir sagen, welche die beste und welche die schlechteste Kritik ist, mache mir ein paar Gedanken zu den Argumentationen und versuche daraus zu lernen. Und ich lese die Kritiken in den wichtigsten Zeitungen wie der "New York Times". Diese sind ja auch mitentscheidend, ob ein Film gut anläuft.
Ihr neues Projekt, ein von Terra Film produzierter und von der RAI sowie von Cine Tirol mitfinanzierter TV-Zweiteiler über die erfolgreiche italienische Expedition aus dem Jahr 1954 auf den K2, scheint jedenfalls schon allein vom Thema her sehr quotenträchtig zu sein . . .
Die Geschichte zumindest ist spannend, denn es geht um die Illusion des Heldentums und den Preis, den man dafür bezahlen muss. Diese K2-Expedition und die nachfolgenden Ereignisse haben damals in den italienischen Medien großen Nachhall gefunden. Die Expedition schafft trotz großer Spannungen im zwölfköpfigen Team, die durch den Tod von Mario Puchoz ausgelöst werden, die Erstbesteigung. Aber nur zwei Personen können die italienische Flagge am K2 hissen. Tatsächlich stehen zwei der Männer am Gipfel, doch danach kommt es zu einem Prozess, der 50 Jahre dauert. Walter Bonatti führte ihn gegen seine Bergkameraden Lino Lacedelli und Achille Compagnoni, weil sie sich nicht an eine Vereinbarung hielten und die Gipfelbesteigung ohne ihn in Angriff nahmen. Er sah darin ein Vergehen an der Kameradschaftlichkeit und einen Verrat. Letztlich gewann er den Prozess, dadurch war für ihn seine Ehre wieder hergestellt. Er starb friedlich in hohem Alter.
Auf welcher Seite sind in diesem Drama Ihre Sympathien?

Auf der Seite des Berges. Damals in den 1950er Jahren haben die einheimischen Pakistani gesagt - und viele sagen es wahrscheinlich noch heute -, sie verstünden nicht, warum man den Heiligen Berg besteigen müsse, es genüge doch, ihn anzusehen, zu seinem Gipfel hinaufzuschauen. Ich bin kein Bergsteiger, auch kein Bezwinger, und kann das gut nachvollziehen. Wenn es um meine Filmfiguren geht, bin ich unparteiisch, denn ich porträtiere sie alle mit gleich großer Leidenschaft und behandle auch meine "Schweinehunde" gut. Auch sie haben ihre Beweggründe, die mir einsichtig erscheinen. Hollywoods Filmindustrie basiert auf dem Rezept der Simplifizierung, es lebt davon, Schwarz-Weiß zu zeichnen und den Konflikt zwischen Gut und Böse auszuschlachten. Mich interessieren aber viel mehr die Grauschattierungen des menschlichen Charakters, obwohl das nicht unbedingt ein Erfolgsrezept ist. Ein Film hat zwar meistens eine Moral, vor allem, wenn es um grundlegende Dinge geht wie Freundschaft oder Ehre, aber ich will sie niemandem aufs Auge drücken. Jeder Zuschauer soll sich mit dem Film auf die Reise machen und selber entscheiden können, was er für richtig hält. Direkte Einflussnahme halte ich für Propaganda.
Lassen Sie sich selbst noch von Filmszenen rühren?
Und wie! Mir kommen sehr leicht vor Rührung die Tränen. Man kann mich prinzipiell viel schneller zum Weinen bringen als zum Lachen, was aber nicht heißt, dass ich nicht gern lache. Am liebsten mag ich es, wenn Komik und Tragik miteinander einhergehen. Die beiden sind für mich ein unzertrennliches Paar. Es gibt keine gute Komik ohne implizierte Tragik und es gibt keinen glaubwürdigen Helden, der nicht auch den Verlierer in sich trägt.
Irene Prugger, geboren 1959 in Hall, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mils in Tirol. Zuletzt ist von ihr der Erzählungsband "Letzte Ausfahrt vor der Grenze" (Haymon, 2011) erschienen.
Zur Person<br style="font-weight: bold;" /> <br style="font-weight: bold;" /> Robert Dornhelm wurde 1947 in Timişoara (Rumänien) geboren und emigrierte im Jahr 1961 mit seiner Familie nach Österreich. Von 1965 bis 1967 studierte er an der Universität für Musik und darstellende Kunst, Abteilung Film und Fernsehen, in Wien. Anschließend arbeitete er von 1967 bis 1975 als Dokumentarfilmregisseur für den Österreichischen Rundfunk (ORF). Für seinen 1977 fertig gestellten Debütfilm "The Children of Theatre Street" erhielt er eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester Dokumentarfilm.
Nach diesem großen Erfolg übersiedelte er nach Los Angeles (USA), wo er u. a. Filme wie "She Dances Alone" (1981) oder "Digital Dreams" (1983) realisierte. Mit seinem nächsten Spielfilm, "Echo Park" (1986), konnte Dornhelm sowohl in den USA als auch in Europa Erfolge feiern. Danach verlagerte er seine Arbeitswelt wieder nach Europa. "Requiem für Dominic" wurde für den Golden Globe nominiert, 2001 erhielt er für die Verfilmung der Lebens- und Leidensgeschichte von Anne Frank den Emmy-Award. 2004 drehte er "Spartacus" fürs amerikanische Fernsehen; die 2005 ausgestrahlte TV-Serie "In den Westen" brachte ihm zehn Nominierungen für den Emmy ein, 2006 drehte er den Fernseh-Monumentalfilm "Die zehn Gebote" mit 40.000 Statisten, 2007 erhielt er für seinen Film "Kronprinz Rudolf" die Goldene Romy als bester Regisseur des Jahres. Ebenfalls im Jahr 2007 realisierte Robert Dornhelm mit einer Neuverfilmung von Leo Tolstois "Krieg und Frieden" sein bisher aufwändigstes Filmprojekt. Seine Verfilmung der Puccini-Oper "La Bohème" mit Anna Netrebko und Rolando Villazón kam 2008 ins Kino.
Robert Dornhelm lebt in Los Angeles. Sein Film über die italienische Erstbesteigungs-Expedition auf den K2 mit Alberto Molinari und Marco Bocci in den Hauptrollen wird voraussichtlich noch heuer im italienischen Fernsehen (RAI) erstmalig ausgestrahlt. Wann er ins österreichische Fernsehen kommt, steht noch nicht fest.