Grünen-Parteichef Robert Habeck kommt bei den deutschen Sondierungsgesprächen eine Schlüsselrolle zu.
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Die deutschen Grünen und die FDP gelten nach der Wahl am Sonntag als Kanzlermacher. Sie müssen nun entscheiden, ob sie lieber in einer Ampel-Koalition mit der SPD und Olaf Scholz oder in einem Jamaika-Bündnis mit der CDU/CSU und Armin Laschet regieren wollen.
Um das zu klären, fand am Dienstag ein erstes Treffen statt. Danach war man bei der FDP optimistisch, dass die beiden doch grundverschiedenen Parteien zu einer Einigung kommen können. FDP-Vize Wolfgang Kubicki zeigte sich vor allem vom grünen Co-Parteichef Robert Habeck sehr angetan: Dieser sei enorm kreativ, könne Brücken bauen und man sei in der Lage, mit ihm zu Lösungen zu kommen, an die vorher niemand gedacht habe, so der FDP-Mann. Habeck sei ein sehr pragmatischer Mensch, der nicht unterschätzt werden sollte.
In der Tat ist Habeck stark im Aufwind. Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock konnte die ursprünglich hohen Erwartungen nicht erfüllen und wurde bei der Wahl nur Dritte - jetzt ist offenbar wieder Habeck am Zug. Unbestätigten Berichten zufolge soll er sich den Posten des Vizekanzlers schon gesichert haben.
FDP und Grüne wollen jedenfalls am Freitag weitere Beratungen zur Bildung einer Regierung abhalten. Am Sonntag soll es dann Gespräche der Grünen mit der SPD geben. Was FDP und Grüne zuletzt verhandelt haben, wurde nicht verraten.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief die beiden Königsmacher auf, rasch in Sondierungsgespräche mit der SPD einzutreten. Drei Parteien hätten bei der Wahl einen Vertrauensvorschuss erhalten und könnten eine Fortschrittskoalition bilden, so Mützenich nach seiner wenig überraschenden Wiederwahl als Fraktionschef am Mittwoch: "Deswegen sollten auch Grüne und FDP klug genug sein, das Angebot von uns, jetzt bald Gespräche, Sondierungen für eine Koalition zu führen, auch zu ergreifen."
Bereits am Vortag hatte Mützenich mitgeteilt, dass die SPD Grüne und FDP zu Sondierungen in dieser Woche eingeladen habe. Wenn Grüne und FDP sich am Vortag getroffen hätten, deute er dies so, "dass beide Parteien, beide Fraktionen Misstrauen abbauen müssen, das offensichtlich vor vier Jahren entstanden ist, als es beide Parteien nicht geschafft haben, eine Regierung zu bilden".
Damals beendete die FDP Gespräche über eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen.
Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie FDP-Chef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing hatten am Dienstag mit einem aufsehenerregenden Foto auf Instagram mitgeteilt, dass sie sich zu einem Gespräch getroffen hatten. Sie schrieben: "Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten."
Rolf Mützenich: "Mache keine Selfies"
Mützenich hingegen stellte in einer Stellungnahme klar: "Ich mache keine Selfies, mit mir werden ab und zu Selfies gemacht. Wenn das notwendig ist, um andere davon zu überzeugen, belastbare Gespräche zu führen, dann soll’s so sein, aber auf der anderen Seite, ich finde: Deutschland braucht keine Fotos, sondern Deutschland braucht eine Regierung, die tatkräftig auch die Herausforderungen annimmt."
Die CDU/CSU war bei der Bundestagswahl auf den Tiefpunkt von 24,1 Prozent gestürzt. Die SPD wurde mit 25,7 Prozent stärkste Kraft. Die Grünen kamen als drittstärkste Kraft auf 14,8 Prozent. Dahinter lag die FDP mit 11,5 Prozent.
Wobei das Überleben Laschets derzeit an einem seidenen Faden hängt. Er muss rasch eine Koalition mit Grünen und FDP bilden, sonst wäre sein politisches Schicksal wohl besiegelt.
Jedenfalls würde eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland einen Rücktritt Laschets von allen politischen Ämtern begrüßen. So sprechen sich 68 Prozent dafür aus, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten YouGov-Umfrage hervorgeht. 13 Prozent lehnen das ab. Eine knappe Mehrheit der Deutschen gibt zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld am schlechten Abschneiden der Union. Die SPD dürfte die Wahl nicht zuletzt deshalb gewonnen haben, weil sie einen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde einführen will.
Die Union will nicht lange abwarten, ob eine Ampelkoalition zwischen SPD, Grünen und FDP zustande kommt. Laschet meinte dazu am Dienstagabend: "Wir werden in den nächsten Tagen mit FDP, mit Grünen sprechen. Unser Gesprächsangebot steht." CSU-Chef Markus Söder hatte zuvor aber klar gemacht, dass er den Auftrag für eine Regierungsbildung zuerst bei SPD, Grünen und FDP sieht.(schmoe)