Zum Hauptinhalt springen

Robin Hood zieht die Notbremse

Von WZ-Korrespondent Arian Faal

Politik

Ahmadinejad nutzt Druck von außen für sich. | Russland, China und die Schwellenländer als Partner für die Zukunft. | Iran als viertgrößter Ölexporteur musste | Benzin rationieren. | Teheran. "Uns geht es gut - trotz aller Fehler der Regierung. Und wir werden dem Westen trotzen. Wir sind Perser, und wir haben unser Öl, das Recht auf Nukleartechnologie und unseren Stolz." Afshin, 39-jähriger Familienvater mit drei Kindern aus Teheran, bringt die Stimmung im Iran auf den Punkt. Mit den 438.400 Toman (rund 320 Euro), die er mit zwei Jobs verdient, bringt er seine Familie gerade einmal durch. Mehr als zwei Jahre, nachdem der damals unbekannte islamische Revolutionär Mahmud Ahmadinejad, der sich als zutiefst "sauberer" Mann der Armen (Beiname: "Robin Hood") präsentiert, zu Irans Präsidenten gekürt wurde, sinkt die Zahl jener, die an mehr Wohlstand und weniger Korruption glauben, rapide.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Von den Rekordeinkünften der vergangenen zwei Jahre - mehr als 95 Milliarden Euro an Ölerträgen - spüren die Bürger wenig. Im Gegenteil: Die Lebenskosten stiegen bei mehr als 20 Prozent Inflation rasant. Zwölf Prozent der Bevölkerung leben offiziell unter der Armutsgrenze, die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Erste Proteste gegen das Regime formieren sich. Mit Streiks bekunden Arbeiter, Angestellte und Lehrer ihren Ärger über niedrige, oft sogar nicht bezahlte Löhne und fehlende Rechte.

Eine vierköpfige Lehrerfamilie etwa kann sich mit einem Durchschnittsgehalt von 280.000 Toman (rund 200 Euro) im Monat nicht über Wasser halten, da allein die Wohnungsmiete etwa 190.000 Toman verschlingt. Viele müssen drei oder mehr Jobs annehmen, um zu überleben. In offenen Briefen warnte eine Gruppe von mehr als 50 führenden iranischen Ökonomen vor den katastrophalen Folgen der Politik Ahmadinejads, welche "die Grundprinzipien der Wirtschaft ignoriert". Statt die Erträge aus dem Ölministerium in den produktiven Sektor mit langfristigen Zielen zu investieren, praktiziere der Präsident eine Spendenpolitik, durch die er gezielt seine auf die Revolutionsgarden gestützte Hausmacht ausbauen wolle.

Die Wurzel des Übels sehen Ökonomen vor allem darin, dass der Präsident den wirtschaftlichen Entscheidungsprozess vom Finanz- und Wirtschaftsministerium ausschließlich auf sich selbst übertrug. Nach monatelangen Debatten über die Ölpolitik hat er seinen Einfluss aufs Schlüsselressort (und die Staatseinnahmen) deutlich ausgeweitet und die Minister für Öl und Industrie, Kasem Wasiri Hamaneh und Ali Reza Tahmasebi, Anfang August ersetzt. Die Rede war von einer faktischen Entlassung der Minister. Offiziell wurden keine Gründe für die Kabinettsumbildung genannt. Das Ölministerium war in die Kritik geraten, weil es Gas zu Spottpreisen an Indien und Pakistan verkauft haben soll.

(Politisches) Köpferollen

Hamaneh wurde auch vorgeworfen, er sei an der Anwerbung ausländischer Investoren gescheitert. Und das alles in einer Zeit, in der Teheran wegen des umstrittenen Atomprogramms weitere Sanktionen blühen könnten. Die Ölpolitik wird sich nicht wesentlich ändern, wohl aber stehen weitere Personalwechsel in der Ölindustrie an, denen Hamaneh sich widersetzte. Der Minister weigerte sich auch, von Ahmadinejad benutzte Begriffe wie "Ölmafia" zu übernehmen.

Mit der Bestellung des Chefs des staatlichen Ölkonzerns Nioc, Gholam Hossein Nosari, zum Interimsminister konnte Ahmadinejad nach mehreren Misserfolgen einen seiner Kandidaten ins Amt hieven. Er hatte Hamaneh als Ölminister akzeptieren müssen, weil das Parlament drei von ihm vorgeschlagene Kandidaten abgelehnt hatte. Die Rückweisung seiner Kandidaten wegen fachlicher Mängel galt 2005 als peinliche Schlappe für Ahmadinejad. Nun könnten die Abgeordneten die Personalia durchgehen lassen, weil sie mit den Vorbereitungen für die im März 2008 anstehenden Parlamentswahlen beschäftigt sind, mutmaßen Beobachter. Auf den neuen Chef des von vielen als Achillesferse der iranischen Regierung verspotteten Ölministeriums wartet viel Arbeit. Ahmadinejad war 2005 mit Versprechen über eine gerechtere Verteilung des iranischen Ölreichtums angetreten, blieb diese jedoch weitgehend schuldig. Der Iran als viertgrößter Erdölexporteur der Welt leidet wegen fehlender Raffineriekapazitäten an Benzinknappheit. Im Juni gab es Proteste gegen die staatliche Benzinrationierung.

Zudem, klagen iranische Ökonomen, verfolge Ahmadinejad keine langfristige Strategie, sondern entscheide von einem Tag auf den anderen: Seit seinem Amtsantritt 2005 erlebte die Teheraner Börse einen Rückgang von 25 Prozent. Der vom Staat kontrollierte Sektor - etwa 70 Prozent der Wirtschaft - leidet unter chronischer Unproduktivität und Korruption. "Wir verschwenden unser Geld, unsere Zeit, unsere Arbeitskräfte", lamentiert ein Teheraner Händler.

Washington blockierte im Zuge der Sanktionen auch jede Kooperation westlicher Institute mit zwei führenden iranischen Banken. Dies brachte das gesamte Finanzsystem in große Schwierigkeiten. Doch, so betont der führende Reformpolitiker Ahmad Shirzad, "die Auswirkungen der Sanktionen verblassen im Vergleich zu dem Schaden, den diese Administration durch unfähiges Management und Wirtschaftspolitik dem Land zufügt."

Der Präsident weist das als übertrieben und propagandistisch zurück und schiebt alle Probleme auf internationalen Druck. Aber viele Iraner misstrauen mittlerweile dieser Argumentation. Daher begann die Führung eine Repressionspolitik, wie sie der Iran seit vielen Jahren nicht mehr erlebte. Hauptziel dieser Politik sind Intellektuelle, Frauenrechtsaktivistinnen, Lehrer und Arbeiter, aber auch Journalisten und Studenten. In Teheran fand im Juli 2007 die erste öffentliche Exekution seit fünf Jahren statt. 180 Menschen - darunter politische Aktivisten - wurden heuer hingerichtet. Auch politisch werden wohl bald weitere Köpfe rollen.

Nun zieht das Regime die Notbremse und nimmt radikale Veränderungen vor. Die Benzinrationierung beginnt zu greifen, neue Wirtschaftspartner sind avisiert und der Iran scheint im Atomstreit derzeit alle Trümpfe in der Hand zu haben, da Russland und China sich demonstrativ hinter Präsident Ahmadinejad stellen.

Irans neue Taktik greift

Und der Medienprofi hat sein Volk auf den Kampf gegen den Westen vorbereitet und lässt keine Gelegenheit aus, seine Haltung zu forcieren. Da viele Großbanken Europas keine Geschäfte mehr mit dem Iran machen, bedienen sich die Mullahs bei Transaktionen neuerdings der Banken in Dubai. Zudem werden - nicht ohne Erfolg - stets neue Ventile gefunden, um die Folgen der Wirtschaftssanktionen zu kompensieren. So wurden die Beziehungen mit Russland (v.a. im Reaktorbau), China (Autoindustrie) und den Schwellenländern (Gas) ausgebaut. Die "Jetzt erst recht"- Taktik scheint erfolgreich zu sein.

Auch die geplante Kooperation mit der OMV ist Teil des Plans. Mit steigendem Druck der USA verstummen sogar die sechs oppositionellen Gruppierungen im Land. Schließlich hat das Volk in der traditionsreichen Geschichte des Iran bewiesen, dass es in Krisenzeiten zusammenhält. So hat sich Ahmadinejads Heimat parallel zum Wirtschaftsdebakel zu einer regionalen Großmacht im schiitischen Halbmond entwickelt. Der Besuch von Russlands Präsident Wladimir Putin gehört ebenso zur Taktik wie tägliche TV-Berichte, wonach ohne Teherans Einfluss im Irak nichts mehr möglich sei.

Das eigentlich Groteske an der ganzen Sache ist dabei, dass dem redegewandten iranischen Präsidenten von ausländischen Medien viel zu viel Macht zugeschrieben wird. Die Letztentscheidung in allen essentiellen Fragen liegt nämlich nicht bei ihm, sondern beim geistlichen Oberhaupt des Iran, Ayatollah Seyed Ali Khamenei.

Wissen

Der Präsident - derzeit Mahmud Ahmadinejad - wird in der Islamischen Republik Iran gemäß der Verfassung, die ihn nach dem obersten geistlichen Führer (derzeit Ayatollah Ali Khamenei) als zweithöchsten Vertreter des Landes definiert, für vier Jahre gewählt. Zwei aufeinander folgende Amtszeiten sind möglich. Hinsichtlich der Machtverteilung steht der Präsident eher im Hintergrund der zentralen Entscheidungsgewalt. Zwar steht er formell an Spitze der Exekutive, doch in der Praxis sind es der schiitische Klerus und der oberste geistliche Führer, welche die wichtigen Entscheidungen in der Sicherheits- und Außenpolitik treffen. So ist Khamenei und nicht Ahmadinejad auch Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte.