Bei Nuklearkatastrophen wie in Tschernobyl und Fukushima wird stillschweigend hingenommen, dass Einsatzkräfte in Lebensgefahr gebracht werden.
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Wenn es stimmt, dass sich im Fach-Slang für die Helden der Technik und der Humanität schon der Begriff "Wegwerfmenschen" eingebürgert hat, zeigt das die schaurige Dimension des nicht beherrschbaren atomaren Fortschritts.
Freilich gibt es vergleichbare Phänomene auch auf Gebieten, die weit weniger spektakulär sind als Reaktorunfälle, nämlich auf lateinamerikanischen Obstplantagen oder in Bergwerken Chinas und Afrikas. Dort ist nicht die Hilflosigkeit der Manager, sondern die Habgier von Besitzern die treibende Kraft. Auf jeden Fall sind "Wegwerfmenschen" ethisch nicht tolerierbar. Was aber tun, wenn sie, wie in Japan, nicht ersetzbar sind und eine vielfach höhere Zahl von Menschen zu Schaden käme, wenn das technische Kader- und Hilfspersonal die Flucht anträte?
"Ich wundere mich schon die ganze Zeit, dass die Japaner, die doch in der Robotertechnik führend sind, in Fukushima keine entsprechenden Methoden zur Verfügung haben", sagt der Chef des Austrian Research Instituts for Artificial Intelligence, Robert Trappl. Er erinnert daran, dass in den USA schon "rescue robots" eingesetzt werden, die fernzusteuern sind und einfachere Handgriffe durchführen können. Die Zukunft dieser Technik verspricht viel mehr, nämlich den autonomen Roboter, also einen, der gewissermaßen mitdenkt und nach festgelegten Programmen und Prioritäten handelt.
Seit der Katastrophe von Tschernobyl sind 25 Jahre vergangen und dennoch ist die Entwicklung der entsprechenden Technik noch nicht weit genug. Sie hinkt deutlich hinter militärischen Errungenschaften wie den fliegenden "Drohnen" nach, die in Afghani stan und anderswo ihr Kriegsgeschäft ohne Piloten erledigen. Im friedlichen Bereich ist das Bodenpersonal der Roboter nicht nur ihrer Intelligenz nach, sondern auch physisch schwach - die marschierenden Männchen sind rund 1,20 Meter groß und die Wägelchen mit diversen
Armaturen wenig leistungsstark.
Eigentlich müssten AKW-Betreiber in aller Welt gezwungen werden, ab sofort gemeinsam mit der Industrie menschenlose Einsatzbrigaden zu erfinden und in Bereitschaft zu halten, die im Ernstfall definierbare Aufgaben erledigen, also etwa Kühlanlagen in Betrieb halten oder Wasserfontänen regulieren. Das ehrgeizige Ziel, autonome und nahezu menschenähnliche maschinelle Individuen zu erzeugen, ist zwar fern, aber in Planung. Die Münchner Technische Universität erhielt 30 Millionen Euro für ein fünfjähriges Forschungsprogramm, um Roboter als Partner der Menschen am Arbeitsplatz zu entwickeln. Das multinationale Programm Social Engagements with Robots and Agents (Sera), das auch von der EU gefördert wird, wurde von Trappls Institut koordiniert. Diesen künftigen Robotern neuer Generation wird mehr abverlangt werden als bloß auf vorhersehbare Signale zu reagieren. Trappl: "Es ist bisher wenig erforscht, was es bedeutet, wenn Menschen mit Robotern kooperieren. Da geht es um Vertrauensbildung zwischen beiden Seiten, um das Erkennen von Absichten, ja sogar von Missstimmungen, wenn eine Leistung nicht geklappt hat."
Das klingt utopisch. Da Atomkraftwerke in zahlreichen Staaten noch viele Jahrzehnte laufen werden, wäre genug Zeit, Forschungsergebnisse umzusetzen. Das hätte sogar Sinn, wenn es hoffentlich zu gar keiner dritten Nuklearkatastrophe kommt.
Der Autor ist Sprecher der Initiative Qualität im Journalismus; zuvor Journalist für "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".