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Künstliche Muscheln, elektronische Fische und automatische Seerosen untersuchen Wasserqualität.
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Graz/Venedig/Wien. Als die US-Mäzenin Peggy Guggenheim 1949 den Palazzo Venier dei Leoni für ihre Sammlung erwarb, konnte sie noch direkt vor ihrer Eingangstür schwimmen gehen: So wird es zumindest in Venedig erzählt. Heute würde wohl niemand freiwillig in den Canale Grande springen. Industrie, Tourismus und Verkehr haben die Wasserwelt in der Lagune grundlegend verändert. "Der steigende Schiffsverkehr, eine wachsende Besucherzahl und immer größere Schiffe verursachen Störungen im Meereskörper. Im Wasser werden Partikel aufgewirbelt, die wie ein mariner Sandstrahler auf die historischen Gebäude wirken", sagt der Zoologe Thomas Schmickl, Leiter des Artificial Life Laboratory der Uni Graz.
Eine europäische Forschergruppe unter Schmickls Leitung entwickelt nun einen autonomen Roboterschwarm, der das Ökosystem in der Lagune beobachten soll. Künstliche Muscheln, elektronische Fische und vollautomatische Seerosen sollen die Unterwassergebiete in Bezug auf Erosion, Verschmutzung, Schwebstoffe, Salz- und Sauerstoffgehalt sowie auf die Auswirkungen des Klimawandels überprüfen. Auch die Zahl der Meeresbewohner soll den robotischen Helfern nicht entgehen. Ziel der sieben Forschergruppen aus Österreich, Deutschland, Kroatien, Frankreich, Belgien und Italien ist es, ein engmaschiges, bewegliches und schnell wandelbares Monitoring-Netzwerk über den aquatischen Lebensraum von Venedig zu spannen.
Konkret sollen drei neue Robotertypen erstmals zum Einsatz kommen. Künstliche Muscheln (aMussels für "artificial mussels") von 30 bis 80 Zentimeter Durchmesser sollen sich am Lagunenboden festsetzen und dort über längere Zeiträume Daten zur Wasser- und Bodenbeschaffenheit sammeln. "Diese Muschel-Roboter haben ihr eigenes Verhalten. Wenn sie mit einer Messung fertig sind, gehen sie woanders hin", erklärt Schmickl: "So wird das Ergebnis dynamisch." Gemeinsam im Schwarm können die aMussels unter Nutzung der Strömung den Standort wechseln.
Die schnellen, beweglichen "aFish"-Roboter übernehmen die Rolle des Vermittlers zwischen den aMussels und den an der Wasseroberfläche wie Seerosen schwimmenden "aPads". Die künstlichen Seerosen fungieren als Basisstationen für den Datenaustausch zu den Forschern im Labor. Sie dienen auch als Energieladestationen für die "aFish"-Roboter, die ihre Energie aus Solarzellen gewinnen. Damit die Roboter möglichst energiesparend unterwegs sein können, werden neue Methoden der Energiegewinnung im Unterwasserbereich entwickelt. Der Roboterschwarm kommuniziert laut Schmickl über bioinspirierte Algorithmen, die aus dem Schwarmverhalten von Insekten und Fischen abgeleitet wurden. Diese Algorithmen ermöglichen es, dass jeder der 120 Roboter über seinen Aufenthaltsort und Energiestatus Bescheid weiß, aber auch so etwas wie eine Schwarmintelligenz besitzt. Durch die hohe Anzahl an Robotern sollen größere Mengen an Umweltdaten von verschiedenen Plätzen der Lagune Venedigs gesammelt werden.
"Derzeit sind die meisten Roboter in einer künstlichen Umgebung unterwegs. In der realen Welt können sie allenfalls staubsaugen. Wir wollen zeigen, dass Roboter autonom unter echten Bedingungen agieren können, wenn sie wie Ameisen zusammenarbeiten. Denn die Gruppe ist intelligenter als der Einzelne", so Schmickl. Das Projekt verfügt über ein EU-Forschungsbudget von vier Millionen Euro und ist auf vier Jahre angelegt. Die ersten Prototypen werden am 15. Oktober auf der Expo 2015 in Venedig präsentiert.