Der Österreicher Harald Posch ist neuer Chefstratege der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA. Für ihn ist ein Termin 2030 für einen bemannten Mars-Flug "optimistisch". Wichtiger sind Investitionen in den Weltraum als Infrastruktur der Erde.
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"Wiener Zeitung": Sie übernehmen im Juni den Vorsitz des ESA-Rats. Wie bekommt man diese Funktion?Harald Posch: Die ESA ist eine zwischenstaatliche Organisation und der Rat ist ihre oberste Mitgliederversammlung. Er wählt aus seinen Reihen einen Vorsitzenden für zwei bis drei Jahre. Die Wahl ist wahrscheinlich eine Alterserscheinung, aber sie wird auch strukturell getroffen: Auf England folgte Deutschland, und nun ist ein kleineres Land dran. Weiters werden bei der ESA alle Vorsitzenden mit erstem Juni gewechselt, was möglichst repräsentativ erfolgen soll. Und nicht zuletzt hat Österreich eine stabile, zu seiner Größe überproportionale Sichtbarkeit erreicht in diesem Bereich, meine Wahl ist wohl auch eine Anerkennung dessen.
Im Dezember entscheiden die Mitgliedsstaaten über den Kurs für die Zukunft. Zur Debatte steht eine brandneue Trägerrakete, Deutschland ist dagegen, Frankreich dafür. Welche Linie haben Sie?
Wir haben ein sehr gut funktionierendes, sehr erfolgreiches Trägerraketensystem, aber das muss nicht immer so bleiben. Ariane-5 kommt in die Jahre, und der internationale Konkurrenzdruck ist groß. Auf dem Tisch ist einerseits die Option, Ariane-5 weiterzuentwickeln, und andererseits mit Ariane-6 einen neuen Träger zu bauen. Im Laufe des Jahres muss sich verdichten, ob man einen Zwischenschritt oder gleich den großen Schritt machen wird.
Wir reden über einen Finanzbedarf von rund 9,5 Milliarden Euro und einer Entscheidung mit einer Reichweite von 30 bis 40 Jahren. Die jetzige Ariane-5 stammt aus den 1980er Jahren. Selbst bei einer verbesserten Variante könnten Jungfernflüge erst ab 2018 stattfinden. Ich selbst bin tendenziell für Ariane-6. Wir sind nämlich gezwungen, etwas zu tun, sonst werden wir gegenüber US-Launcher-Systemen Boden verlieren, nicht mehr so erfolgreich im Markt sein können und die Entwicklungsinvestitionen schwerer zurückverdienen. Derzeit starten Ariane-5-Raketen sechs bis sieben Mal jährlich. Davon benötigt die ESA-Raumforschung etwa einen Start. Den Rest verkauft sie auf dem freien Markt an Unternehmen, die Satelliten für Internet, Telekom oder Fernsehübertragungen betreiben.
Der US-Haushalt sieht für die US-Raumfahrtbehörde Nasa 13,35 Milliarden Euro Jahresbudget vor. Wie schlägt sich die ESA mit 4,1 Milliarden Euro?
Das US-Verteidigungsministerium investiert noch einmal so viel in den Bereich. Die Amerikaner haben außerdem einen wesentlich größeren Heimmarkt, denn sie geben das Siebenfache des Durschnittseuropäers für diese Technologien aus. Dennoch klappt es auch für uns ganz gut. Zu den 4,1 Milliarden kommen zwei Milliarden aus nationalen und EU-Programmen. Zu 50 Prozent leben wir vom freien, kommerziellen Markt.
Österreichs Unternehmen bauen bei ESA-Forschungsmissionen mit, etwa bei "Rosetta", die im Dezember auf einem Kometen landen soll. Wie ist die Auftragslage?
Für heimische Industriefirmen ist es schwierig, vom institutionellen US-Markt angenommen zu werden. Auch die Amerikaner bauen an europäischen Satelliten nur zu zwei bis drei Prozent mit. Auf dem freien Markt wird hingegen zum besten Preis gekauft. Hier führen Großkonzerne wie etwa EADS die europäische Industrie an. In Österreich ist aber eine Zulieferkette entstanden, die mit Top-Firmen am oberen Ende der Wettbewerbsfähigkeit geschickt aufgestellt ist. Mittlerweile sind auch die Rückflüsse, die Österreich aus ESA-Aufträgen lukriert, höher als das, was wir einzahlen.
Wie viel kostet die ISS Europa, und lohnt es sich?
Nach derzeitigen Plänen soll die ISS bis 2020 betrieben werden. Die Amerikaner sind aber der Ansicht, dass man sie noch bis 2024 nutzen kann. Sie haben daher Europa, Russland, Japan und Kanada eingeladen, sich länger zu beteiligen. Auch darüber werden wir bis Ende des Jahres entscheiden, denn Europa zahlt für die ISS 300 Millionen Euro im Jahr. Ob es das wert ist, ist schwer zu beantworten. Die Raumstation bietet beste Voraussetzungen für Materialforschung unter Schwerelosigkeit und biomedizinische Experimente im Grundlagenbereich. Wenn man den Forschern Glauben schenken darf, ist sie das größte Labor der Menschheit. Und was die Zahl der Publikationen betrifft, scheint die ISS definitiv gerechtfertigt.
Ende des Jahres soll die Sonde "Rosetta" auf einem Kometen landen. Welche inhaltlichen Schwerpunkte wollen Sie danach setzen?
Ein großes Thema wird die Untersuchung von Exoplaneten sein, etwa mit der Sonde "Cheops". Außerdem wurde soeben der erste "Copernicus"-Satellit gestartet, ein umfassendes Überwachungssystem für Umwelt, Klima und Sicherheit (siehe Story links, Anm.).
Ist die bemannte Raumfahrt ein Thema?
Doch, doch, es gibt ein ESA-Astronauten-Corps, das zur ISS fliegt. Ob es aber einen Schritt weitergehen wird, ist die Frage. In einem Fernziel wollen wir Menschen zum Mars schicken - gesprochen wird über 2030, aber ich halte das für zu optimistisch. Die Weltgemeinschaft hat nämlich weder eine Einigung, wie sie das machen will, noch ein Raumschiff, das Menschen zum Mars und vor allem wieder zurückbringt. Es gibt politische Differenzen, etwa haben die Amerikaner ein Grundmisstrauen gegenüber den Chinesen, was den Technologietransfer betrifft. Wie soll man gemeinsam etwas bauen, wenn man Bedenken hat gegenüber der Zuverlässigkeit der Partner?
Die USA wollen in der Raumfahrt nicht mehr mit Russland zusammenarbeiten wegen der kriselnden Stimmung zwischen Ost und West. Welchen Einfluss nimmt das?
Das gehört zum Säbelrasseln der politischen Situation seit der Krim-Problematik und ist als solches zu bewerten. Bestehende Verträge müssen jedenfalls eingehalten werden, und der Mars ist keine Frage der nächsten Monate. Allerdings wird eine bemannte Mission die politische Situation, wie immer sie dann sein wird, abbilden.
Die Raumfahrt verfolgt Ziele, die nicht wirklich irgendjemandem etwas bringen, warum bemannt erforschen, was auch Roboter können: Wie begegnen Sie solcher immer wieder geäußerten Kritik?
Die Kritik ist berechtigt, man soll immer fragen, wofür man Steuergeld ausgibt. Ich glaube aber, dass sich die Raumfahrt gewandelt hat, denn weitaus mehr wird heute ausgegeben für Aktivitäten, die nicht so sexy sind wie die Mondlandung. Das ESA-Budget widmet sich der Erdbeobachtung (Copernicus), Navigation (Galileo) und den Starter-Raketen (Ariane). Statt Riesen-Summen an Explorer-Missionen zu geben, erforschen wir den Kosmos und bauen Teleskope - sowie Satelliten, ohne die die Welt nicht mehr funktionieren würde. Der Weltraum ist Teil des irdischen Lebens. Er hat die große Aufmerksamkeit verloren und ist, wenn man so will, normaler geworden. Wie unsere Vorfahren die Eisenbahnen, brauchen wir weltraumgestützte Infrastruktur.
Weitere Aspekte der ESA-Raumfahrt finden Sie am 16. April in unserer Forschungsbeilage "Future".
"Copernicus" und "Sentinel"
Zur Person
(ski) Am späten Donnerstagabend (3. April) ist der erste Satellit einer neuen ESA-Mission ins All gestartet. "Sentinel-1A" hob an Bord einer Sojus-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana ab, 2015 soll ihm der baugleiche "Sentinel-1B" folgen. Insgesamt soll die "Sentinel"-Flotte im Rahmen des Erdbeobachtungsprogramms "Copernicus" sieben Satelliten umfassen und mindestens zwei Jahrzehnte im Einsatz sein. Aus Sicht des Österreichers Josef Aschbacher vom ESA-Erdobservatorium nahe Rom, der im März mit der Koordination der ESA-Erdbeobachtungsprogramme betraut wurde, ist Copernicus das ehrgeizigste derartige Programm, das je geplant wurde: "Es existiert nichts Gleichwertiges."
Aschbacher erwartet, dass der rund 2,2 Tonnen schwere, auf einer Höhe von 700 Kilometern im Orbit befindliche "Sentinel" (zu Deutsch "Wächter") dank seines speziellen Radargerätes bei jedem Wetter und rund um die Uhr scharfe Bilder liefern kann: "Sobald das System funktionstüchtig ist, werden wir eine ganze Flotte von Satelliten haben, die für uns eine riesige Menge von Daten sammelt, alles, was man vom Weltraum aus messen kann: die Beschaffenheit der Erdoberfläche, Waldbrände, vulkanische Aktivitäten, Ölteppiche nach Havarien, die Meeresparameter im Allgemeinen, Wasserstände, die Meeresoberfläche, Klimadaten, Luftqualität, Eisdecken, und so weiter. Alles, was man messen kann, wird auch gemessen."
"Sentinel" könne innerhalb von maximal sechs Tagen jeden Ort der Erde kontrollieren und manche Orte im Durchschnitt sogar jeden dritten Tag erfassen, sagt Aschbacher. Sowohl die hohe Qualität der neuen Aufnahmen als auch die wesentlich raschere Benutzbarkeit - fast in Echtzeit - lassen Experten von einem Wendepunkt, ja sogar von einem "Quantensprung" in der Erdbeobachtung sprechen.
Das erlaube eine raschere Reaktion bei Katastrophen wie Überschwemmungen oder Umweltverschmutzung. Mit dem neuen System können die von den Satelliten erhobenen Daten, die frei zugänglich gemacht werden sollen, schon drei Stunden nach einer Aufnahme beim Benutzer sein. In speziellen Fällen, so Aschbacher, sei es sogar möglich, bestimmte Stellen innerhalb von zehn Minuten mit Bildmaterial zu versorgen, wenn Ölunfälle passieren oder Schiffe ihr Öl ins Meer kippen, beispielsweise die Europäische Agentur für Meeressicherheit in Lissabon, die dann die Informationen an die Küstenwachen weitergeben kann.
Harald
Posch,
seit 2005 Leiter der Agentur für Luft- und Raumfahrt der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG, ist ab 1. Juli 2014 für drei Jahre der erste österreichische Vorsitzende des ESA-Rates. Der Weltraumexperte arbeitete seit 1984 in seinem Fachgebiet, unter anderem für Austrian Aerospace (AAE) und die Österreichische Gesellschaft für Weltraumfragen (ASA). Die European Space Agency ESA, der Österreich als Vollmitglied 1987 beitrat, wurde als Nachfolgeorganisation mehrerer Institutionen im Jahr 1975 gegründet.