"Es ist unglaublich selten, dass neue Primatenarten entdeckt werden, gar nicht zu sprechen von drei neuen Arten", ist Steven Goodman vom Naturhistorischen Museum in Chicago begeistert. Goodman war an einer Studie beteiligt, welche die Lemuren-Population in Madagaskar und die Charakteristika der Zwerglemuren - sogenannter Mausmakis - aus zwölf verschiedenen Gebieten verglich. Dabei wurden sieben verschiedene - darunter drei der Wissenschaft bislang völlig unbekannte - Arten entdeckt. Doch sie sind bedroht.
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Das internationale Forscherteam stellte Abweichungen bei Schädel und Zähnen der Funde fest, konnte jedoch erst durch genetische Tests beweisen, dass es sich bei den gefundenen Mausmakis tatsächlich um neue Arten handelt, die zu den kleinsten Primaten der Erde zählen. Noch bis vor wenigen Jahren kannte man nur zwei Mausmaki-Arten, Microcebus murinus in den Trockenwäldern an der Westküste Madagaskars und Microcebus rufus, in den feuchteren, östlichen Wäldern der Insel. Die Lemuren gehören weltweit zu einer der am stärksten gefährdeten Arten. Es sind Halbaffen mit langen Nasen, wendigen Gliedmaßen und durchdringenden, großen Augen. Die 40 verschiedenen Arten können von der Größe eines mittleren Hundes bis zur Größe eines Eichhörnchens variieren.
Nische in der Evolution
Den Lemuren in Madagaskar wird von Forschern eine Schlüsselstellung in der Evolution des Menschen und anderen Primaten eingeräumt, denn die Insel gilt als eine "Nische in der Evolution". Da viele Pflanzen und Tierarten nur auf Madagaskar und sonst nirgendwo mehr vorkommmen, glauben Wissenschaftler, daß die der Ostküste Afrikas vorgelagerte Insel vor rund 165 Millionen Jahren vom Kontinent abgetrennt wurde - und damit allem Leben darauf der Rückweg aufs Land verwehrt wurde. Auch in umgekehrter Richtung - also vom Festland auf die Insel - gab es so gut wie keinen "Verkehr" mehr. Nichts und niemand war also gezwungen, sich ständig auf neue Gegebenheiten wie etwa neue natürliche Feinde, neue Nahrungsquellen oder Klimawechsel einzustellen.
Die Zwerglemuren
Die ältesten Lemurenfossile auf Madagaskar sind rund 58 Millionen Jahre alt. Mausmakis sind die in Madagaskar am meisten verbreiteten Primaten, manchmal von bis zu 400 Tieren pro Quadratkilometer. Aber ihr nachtaktiver Lebenswandel macht es schwer, sie zu beobachten. Bisher waren drei Arten der Mausmakis bekannt: der graue Mausmaki (Microcebus murinus), der braune oder Rufus-Mausmaki (M. rufus), und der Zwergmausmaki (M. myoxinus). Die drei neu entdeckten Arten heißen Microcebus berthae, Microcebus sambiranensis, und Microcebus tavaratra. Zusammen mit der im Zuge der Forschungsarbeit wiederentdeckten Art Microcebus ravelobensis ergänzen M. griseorufus, M. myoxinus und M. murinus den Artenreichtum der Zwerglemuren. Die auf Madagaskar und den benachbarten Comoro-Inseln lebenden Zwerg-Halbaffen haben die Größe eines Eichhörnchens, sind ohne Schwanz etwa 12,5 cm lang, der Schwanz selbst mißt noch einmal 13,5 cm. Sie bringen nur 50 bis 90 Gramm auf die Waage und fressen am liebsten Früchte, Käfer und Pflanzen. Ihre Lebenserwartung beträgt 10-15 Jahre.
Sie sind über weite Teile der Inseln verbreitet, aber die einzelnen Unterarten sind nur auf sehr kleine Gebiete beschränkt. Zum Beispiel lebt M. griseorufus nur in der trocknen Dornenbuschsavanne am Südwestende Madagaskars, der rötliche M. berthae lebt hingegen ausschließlich in Madagaskar´s Kirindy Forest. Die Mausmakis erreichen mit einem Jahr die Geschlechtsreife, paaren sich Mitte September und bringen nach 59 bis 62 Tagen in einem Nest aus Blättern oder einem hohlen Baumstamm üblicherweise Zwillinge zur Welt. Diese sind zwei Monate völlig von der Mutter abhängig. Mütter und Babys schlafen dabei in Gruppen von bis zu 15 Tieren. Der graue Mausmaki ist die am meisten verbreitete und auch die anpassungsfähigste Art dieser Lemurengattung. Er ist auch am wenigsten bedroht, ganz im Gegensatz zu den anderen Lemuren. Derzeit gibt es auch mehr als 250 graue Mausmakis in mehr als 50 zoologischen Einrichtungen auf der ganzen Welt. Im Duke Primate House etwa leben sieben Individuen.
Das Paradies ist bedroht
Bisher sind viele Gebiete auf den Inseln östlich vor Afrika noch nicht erforscht worden. "Da ist noch viel mehr zu entdecken", so Dean Gibson, Manager des Duke University Primate Center. Er glaubt, daß weitere Expeditionen durchaus noch mehr Arten ausforschen könnten. Problematisch ist jedoch, daß Madagaskar bereits 90 Prozent seines Waldbestandes verloren hat, was das Überleben vieler Arten gefährdet. Immerhin gibt es hier mehr als 12.000 Blütenpflanzen, die Hälfte aller Chamäleonarten der Erde, 300 verschiedene Schmetterlingsarten und fast 100 Säugetierarten. Und fast 100 Prozent der Säugetiere auf Madagaskar sind endemisch, das heißt, sie kommen sonst nirgendwo vor.
Doch auf Grund der fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Umgebung für die Gewinnung von Böden zugunsten der Landwirtschaft sind diese Arten bedroht - jährlich gehen 1 bis 2 Prozent Regenwald verloren). Und so ist alles, was in den Wäldern Madagaskars lebt, vom Aussterben bedroht. Goodman und die anderen Wissenschaftler beeilen sich, die Tiere und Pflanzen in den bedrohten Gebieten zu dokumentieren. "Zu diesem Zeitpunkt ist es kein Wettlauf zur Rettung der Arten, sondern ein Wettlauf um herauszufinden, welche Arten es hier überhaupt gibt", so Goodman.
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Rabemandratana ist Korrespondent von Tribüne Afrika in Madagaskar.