Sozialpartner lassen EU nicht bei Lohnverhandlungen dazwischenfunken. | Brüssel. Damit Schuldenkrisen künftig vermieden werden, soll Europas Wirtschaft besser koordiniert werden. Sicherstellen soll das ein Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit: Die deutsch-französische Initiative wird wohl am 11. März in eine konkrete Form gegossen. Doch woran misst man, wie konkurrenzfähig ein Eurostaat ist?
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Maßstab werde die Entwicklung der Lohnstückkosten sein, kündigte EU-Kommissar Olli Rehn an. Prinzipiell sei das ein vernünftiges Kriterium, sagt Wifo-Experte Markus Marterbauer zur "Wiener Zeitung". Damit werde aber nur die preisliche Wettbewerbsfähigkeit, nicht die qualitative verglichen: Ob ein Land überhaupt Produkte herstellt, die auf dem internationalen Markt verkauft werden können, sei damit nicht gesagt.
Unberücksichtigt bleibt zudem die Wirtschaftsstruktur: In Deutschland und Österreich ist der Anteil der Industrie ungleich größer als in Griechenland. Kritiker betonen zudem, dass Lohnkosten in hochmodernen, vollautomatisierten Produktionsanlagen natürlich viel geringer ausfallen als bei überalterten Fabriken. Daran ändere auch ein Vergleich der Lohnstückkosten nichts.
Der Einfluss, den Brüssel auf die nationale Lohnentwicklung nehmen könne, sei ohnedies "sehr gering", so Marterbauer: "Die Lohnstückkosten können nur ein Indikator sein. Bei uns werden Löhne relativ zentralisiert verhandelt, aber in anderen Ländern fast nur auf betrieblicher Ebene."
Kritischer sieht die Debatte der leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz: "Das ist der völlig falsche Weg. Die EU sollte nicht die Krisenfolgen auf den Rücken der Arbeitnehmer abwälzen, sondern lieber die Finanztransaktionssteuer und eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte beschließen." Der ÖGB lehne jeden Versuch eines Eingriffs in die Lohnpolitik entschieden ab und erwarte von Österreichs Regierung, sich strikt gegen Versuche zu stellen, die Löhne nach unten zu nivellieren. Diese Ideen seien "bedrohlich", sagt Achitz zur "Wiener Zeitung": Man habe bei Griechenland und Irland gesehen, wie Staaten über die Finanzhilfen erpresst werden, die Löhne zu kürzen.
Ebenfalls kritisch, aber gelassener sieht die Wirtschaftskammer die Debatte: "Wir vertreten den Standpunkt, dass Lohnverhandlungen in nationaler Autonomie und Sache der Nationalstaaten bleiben sollen", sagt Wirtschaftskammer-Sprecher Rupert Haberson: "Wir können vor Ort auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Branchen reagieren - mit den rund 700 Kollektivverträgen, die wir verhandeln, sind wir flexibler, als es Brüssel jemals sein könnte."
Auch Österreichs Sozialminister Rudolf Hundstorfer kritisiert den Pakt harsch: Die EU solle sich bei den Löhnen und Pensionen "nicht übernehmen". Den Vorschlag der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die Lohnstückkosten zu vergleichen, quittierte Hundstorfer sarkastisch mit: "Na, viel Vergnügen."
In der gemeinsamen Diskussion mit EU-Sozialkommissar Laszlo Andor griff der deutsche Gewerkschaftschef Frank Bsirske seine eigene Regierung scharf an. Berlin agiere im Stil einer "Hegemonialmacht", das den anderen EU-Ländern seine "Wirtschaftsphilosophie" aufzwingen wolle.
Wissen
(hes) Mit Lohnstückkosten ist meist gemeint, wie sich der Lohnanteil an der Wirtschaftsleistung entwickelt (auf Pro-Kopf-Basis). Sie sind also eine Maßzahl dafür, ob die Löhne im Einklang mit der Produktivität steigen oder nicht. Steigen diese nämlich zu rasch, sind die hergestellten Produkte und Dienstleistungen international nicht mehr konkurrenzfähig (sprich billig genug) - die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Deutschland hat mit extremer Lohnzurückhaltung über viele Jahre das Manko der desolaten Industrie im ehemaligen Osten mehr als kompensiert und sich den Status als führende Exportnation zurück erkämpft. Das erzeugt allerdings Druck auf alle anderen Länder, deren Import-Überschüsse zu Leistungsbilanzverlusten führen, die sich wiederum in Defizite übersetzen: So lassen sich makroökonomisch die Schulden-Probleme der Europeripherie erklären.