"Es gehört zur Lebenskunst, mit Verzicht leben zu können."
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"Wiener Zeitung": Herr Haubl, Neid ist verpönt, und die meisten Menschen sagen von sich, dass sie nicht neidisch sind. Sogenannte "Neidhammel" kennt aber fast jeder. Gibt es Situationen, in denen man sich für den Neid nicht schämen muss, weil er gerechtfertigt ist?Rolf Haubl: Ja, wenn ich weniger besitze als jemand anderer, der mir gegenüber mit seinem Vermögen prahlt. Denn an sich bin ich mit meiner Unterprivilegiertheit schon gestraft genug. Wenn ich jetzt noch zusätzlich beschämt werde, dann werde ich als Person beschämt. Dann ist es entschuldbar, dem Beneideten seinen Besitz zu missgönnen. Es gehörte zu den Klugheitsregeln der Antike, nicht mit begehrten wertvollen Gütern anzugeben.
Wird denn viel geprahlt?
Legendär ist inzwischen die Beschwerde von Boris Becker, er laufe bei jedem seiner neuen Autos Gefahr, dass ihm jemand Kratzer hinein macht, wenn er weiß, dass das ein "Becker-Auto" ist.
Was hat Becker dazu gesagt?
Seine Argumentation war: Man muss doch das, was man hat, auch ausstellen dürfen!
Aber hat Becker nicht Recht? Schließlich gilt doch bei uns das Zitat: "Neid ist die ehrlichste Form der Anerkennung"!
Es macht deutlich, dass bei uns die Fähigkeit, andere neidisch zu machen, als Indikator für den eigenen gesellschaftlichen Erfolg gilt. Ich weiß, dass ich es zu etwas gebracht habe, wenn mich andere um etwas beneiden.
Wie erleben Menschen dieses Gefühl?
Wenn man Menschen danach fragt, sind die Antworten sehr diffus. Es wird etwa als Stich in der Brust beschrieben. Oder die Gedanken kreisen nur noch um dieses Thema. Aber Neid wird nicht so klar körperlich erlebt wie Ärger, Wut oder Traurigkeit - und wird auch von diesen Gefühlen überlagert. Neid ist eine zusammengesetzte Emotion aus Ärger und Wut einerseits und Traurigkeit andererseits. Ich bin also entweder stinksauer oder aber tief betrübt, dass jemand anderer etwas hat - und ich nicht.
Woran merke ich denn körperlich, dass ich neidisch bin?
Kulturhistorisch gibt es eine lange Ikonographie des Neides. Meistens sieht man auf diesen Bildern abgehärmte ältere Frauen, die Ungetier an ihrem Busen nähren, wie etwa Schlangen, Zecken oder Spinnen. Sie sind abgehärmt, weil sie durch Neid ihr ganzes Leben vergällen. Wenn ich immer nur das Gefühl habe, dass ich benachteiligt bin, alle anderen aber über das verfügen, was ich begehre, zerstört dies das eigene Leben.
Woher kommt eigentlich die Redewendungen "Gelb oder grün sein vor Neid"?
Gelbe und grüne Haut zeigen der antiken Temperamentenlehre zufolge ein Gallenleiden an. Roter Blutfarbstoff wird tatsächlich zu gelbem und grünem Gallenfarbstoff abgebaut. Neidisch sind also Menschen, denen die Galle überläuft. Es ist eine seelische Vergiftung.
Sie beschreiben Neid als die Unfähigkeit, zufrieden zu sein.
Feindselig-schädigender Neid und depressiv-lähmender Neid zerstören Glück und Zufriedenheit. Wenn ich permanent darauf schaue, was die anderen haben, dann höre ich auf, meine eigenen Talente zu entwickeln. Damit verarme ich letztendlich. Wenn ich aufgrund meiner persönlichen Lebensgeschichte immer wieder soziale Vergleiche ziehe, lerne ich nicht, mich kennen zu lernen. Unter Umständen lege ich dann meine Träume ab - und das ist nicht gesund.
Erleben Männer und Frauen Neid unterschiedlich?
Männer ärgern sich eher über sich selbst, Frauen empfinden sich als traurig. Darüber wird aber nicht gesprochen, was verständlich ist. Keiner sagt, dass er wütend ist, weil Wut sozial nicht erwünscht ist. Männer haben die Erwartungshaltung an sich, bestimmte Dinge zu haben oder zu erreichen. Frauen sagen gemäß ihrer traditionellen Rolle eher: "Vermutlich schaffe ich es ohnehin nicht."
Entstehen daraus unterschiedliche Verhaltensweisen, mit Neid umzugehen? Oder ist das eine produktiver als das andere?
Neiddämpfend wirkt reales oder symbolisches Teilen - und das findet sich eher bei Frauen. Wenn ich also doppelt so viel habe wie Sie und ich will verhindern, dass Sie neidisch auf mich sind, dann gebe ich Ihnen real etwas ab.
Meinen Sie damit zum Beispiel Charity-Galas, die häufiger von Frauen veranstaltet werden?
Zum Beispiel. Oder eben durch symbolisches Teilen. Das würde bedeuten: "Es tut mir leid, dass Sie so viel weniger haben als ich, und wenn Sie mal bedürftig sind, dann bin ich für Sie da." Das kann Neid dämpfen. Eine andere beliebte Praktik ist es, die Mehrkosten zu benennen, die mein "Mehr-Haben" hat: "Würden Sie gerne so wie ich 14 Stunden pro Tag arbeiten? Seit einem halben Jahr hatte ich kein Wochenende."
Denn der Neider macht immer eine Rechnung zu seinen Gunsten auf. Er sagt: "Das Auto meines Nachbarn hätte ich auch gerne." Aber dass dieser Mensch möglicherweise tatsächlich dafür das letzte Jahr auf Urlaub verzichtet hat und zudem jedes zweite Wochenende gearbeitet hat, interessiert den Neider nicht.
Kann Neid nicht auch ein positives Zeichen sein?
Das psychologische Problem ist, dass die christliche Tradition aus dem Neid eine Todsünde gemacht hat und damit in erster Linie feindselig-schädigenden Neid meint. Das christliche Modell lautete: So, wie die Welt eingerichtet ist, ist es gottgewollt und dementsprechend hat niemand über seine soziale Schicht hinaus zu begehren. In einer modernen Gesellschaft kehrt sich das um: Wir wollen Dynamik, Differenzierung und soziale Unterschiede, also ist soziale Ungleichheit ein Motor für Entwicklung. So sublimieren wir den Neid in eine Form ehrgeizig-stimulierenden Neides. Ich vergleiche mich mit den anderen, denke, wenn die mehr haben, kann ich das auch. Ich beginne also, mich anzustrengen, mehr zu arbeiten usw.
Aber lohnen sich denn Ausbildung und Anstrengung wirklich?
Es findet eine Entkoppelung statt von Anstrengung, Leistung und Gewinn. Es gibt eine Art Sport, mit Nichts-Können viel Geld zu machen. Ausbildung und Anstrengung ist zumindest die risikoärmere Variante. Und wenn man mit Bildung auch Persönlichkeitsbildung meint, ist das ein wichtiges Element, um eine eigene Lebensführung oder Lebenskunst zu entwickeln. Das gewährleistet psychische Stabilität in Situationen, wo etwas schief läuft.
Was verstehen Sie unter Lebenskunst?
Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass wir in unseren Wünschen maßlos sind und in einer Gesellschaft leben, die Wünsche und Bedürfnisse produziert. Es klingt furchtbar konservativ, aber es gehört zur Lebenskunst, mit Verzicht leben zu können.
Können sie ein Beispiel nennen?
Ein Mädchen wird ab seinem dritten Lebensjahr von den Eltern genötigt, Geige zu lernen mit der Vision, eine zweite Anne-Sophie Mutter zu werden. Anfangs spielt sie gerne Geige und wird auch immer besser. Gleichzeitig begreift sie aber allmählich, dass aus ihr keine Stargeigerin wird. Sie erkennt ihre Grenzen und kann es dennoch positiv besetzen, indem sie privat weiter Geige spielt. Oder sie schmeißt alles hin und macht etwas völlig anderes.
So etwas wird oft als Scheitern erlebt.
Ja, aber uns fehlt eine Kunst des Scheiterns.
Wenn man bei uns scheitert, bedeutet es häufig das Aus. Karriere und Ansehen sind beendet. Ist in den USA ein Neustart leichter?
Es heißt, dass der soziale Wettkampf dort leichter genommen wird. Wenn man weniger habe als andere, sei das ein Ansporn und es werde nicht gejammert. Ich halte das für Politik. Bei den horrenden Armutszahlen, die in den USA herrschen, kann mir keiner erzählen, dass diese Menschen das sportlich nehmen.
Und wie ist es bei uns?
In unserer Gesellschaft wird vom Einzelnen erwartet, dass er sich hohe persönliche Ziele setzt. Da bleiben viele auf der Strecke.
Hohe persönliche Ziele sind doch nicht schlecht.
Die Frage ist, wie wir unser Scheitern erleben. Empfinden wir es als Scheitern unserer Pläne oder von uns als Person. Es gehört zur Lebenskunst, zwischen mir und meinen Handlungen unterscheiden zu können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Erfolg und Misserfolg zuzurechnen.
In Zeiten der Wirtschaftskrise steigen die Arbeitslosenzahlen. Gerade der Jobverlust wird oft als Scheitern erlebt. Wie leicht ist es, eine Arbeit anzunehmen, die unter dem bisherigen Status liegt?
Das setzt Menschen voraus, die nicht um der Arbeit selbst willen arbeiten, sondern wegen des damit verbundenen Status. Das ist sicher schwierig. Aber Status ist nicht der einzige Grund, warum wir arbeiten.
Sondern?
Es wird gerne so dargestellt, dass wir nicht mehr der Tätigkeit selbst wegen arbeiten, sondern in erster Linie des Geldes wegen oder um des Status willen.
Aber wir sind überwiegend mit unserer Arbeit identifiziert, weil uns Arbeit sozial integriert. Über unsere Arbeit schaffen wir Kontakte und werden wahrgenommen. Jenseits von Status und Gehalt hat das eine eigene Wertigkeit.
Sonja Panthöfer, geboren 1967, arbeitet und lebt als Journalistin und Coach in München.