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Roma in der Krise

Von Martin Tschiderer

Politik

Mit der Corona-Pandemie spüren Roma und Sinti in Europa steigende Anfeindungen. Wie ist die Situation in Österreich? Eine Nachfrage zum heutigen Internationalen Tag der Roma.


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Die Covid-19-Epidemie bestätigt eine bekannte Tendenz krisenhafter Ereignisse: Jene, deren Lebensumstände schon zuvor prekär waren, trifft die Krise mit besonderer Wucht. Roma und Sinti, mit mehr als zehn Millionen die größte ethnische Minderheit in Europa, geraten gerade in südosteuropäischen Ländern unter verstärkten Druck. Rund die Hälfte aller europäischen Roma lebt in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Mazedonien, wo in großen Elendssiedlungen vielfach etliche Menschen auf engstem Raum zusammenleben - ideale Bedingungen für die Ausbreitung von Covid-19.

Krisen befeuern aber auch Repressionen gegen Randgruppen und Minderheiten, die gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten vermehrt in Sündenbock-Rollen gedrängt werden. Krisen können deshalb auch zum Brandbeschleuniger rassistischer Gewalt werden. In Bulgarien wurden von Roma bewohnte Stadtviertel staatlich abgeriegelt, die Menschen darin von medizinischer und Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Den Abriegelungen ging auch das Gerücht voraus, Roma könnten das Coronavirus aus dem Ausland eingeschleppt haben. In Rumänien und der Slowakei gab es ähnliche Maßnahmen.

Roma-Organisationen schlagen deshalb Alarm. Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma warnte, dass nationalistische Politiker in Südosteuropa die Corona-Krise nützen könnten, um "rassistische Positionen als Regierungshandeln zu legitimieren". Rassismus gegen Roma, der dort seit Jahren massiv und gewaltbereit existiere, bekomme durch dieses staatliche Handeln eine neue Qualität.

Wie aber ist die Situation in Österreich? Hierzulande leben nach Schätzungen zwischen 10.000 und 50.000 Roma und Sinti. Armuts-Siedlungen gibt es hier nicht. Und das Leben der in Österreich seit 1993 anerkannten Volksgruppe hat wenig mit alten Roma-Klischees vom "fahrenden Volk" zu tun. Die größte zusammenhängende Roma-Siedlung des Landes ist jene am Stadtrand von Oberwart - und auch hier leben nur rund 55 Menschen. Ansonsten sind Gemeinschaftssiedlungen unüblich, die große Mehrheit der Volksgruppen-Angehörigen lebt verteilt in den Städten.

Rassismusgefahr besteht immer

Vor rund zwei Wochen sorgte aber eine Gruppe von Roma und Sinti aus verschiedenen Ländern, die mit ihren Wohnwägen unter anderem in Steyr und Linz Halt gemacht hatte, für mediale und politische Aufregung. Der Linzer FPÖ-Sicherheitsstadtrat Michael Raml sprach von "Unklarheit über die gesundheitliche Lage der angereisten Gruppe". Und die Berichterstattung regionaler Medien kritisierten Roma-Vertreter als stereotyp bis rassistisch.

"Die Gefahr ist, dass Roma zunehmend zu Prügelknaben gemacht werden", sagt Emmerich Gärtner-Horvath im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Gärtner-Horvath ist Vorsitzender des Volksgruppenbeirats der Roma und Obmann des Vereins Roma-Service, der größten Roma-Organisation in Österreich. Die Lage der Volksgruppe in Österreich bewertet er zwar sehr positiv, die Gefahr, dass steigender Rassismus in Nachbarländern mittelfristig über die Grenzen hinausstrahle, sei aber immer gegeben.

Zudem habe es auch in Österreich immer Gruppen gegeben, die antiziganistische Ressentiments bedient hätten, sagt Gärtner-Horvath, "auch in der Politik". Die Wachsamkeit in weiten Teilen der Republik ist indessen nicht zuletzt aus historischen Gründen stark ausgeprägt: Vor 1938 lebten rund 11.000 Roma und Sinti in Österreich. Rund zwei Drittel von ihnen wurden im Nationalsozialismus ermordet.

Gute Zusammenarbeit mit der Politik

Tatsächliche Rückschläge für Roma in Österreich erwartet Gärtner-Horvath aktuell nicht: "Wir haben in der Volksgruppe auch eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Politik." Die 2011 von der EU initiierte Roma-Strategie 2020, die Verbesserungen etwa im Wohn- und Bildungssektor und am Arbeitsmarkt zum Ziel hatte, sei sehr gut umgesetzt worden.

"Nicht ganz so optimistisch" sieht das Mirjam Karoly, Politikwissenschafterin und stellvertretende Obfrau des Vereins Romano-Centro in Wien, der sich für Verbesserung der Lebensbedingungen von Roma und gegen Diskriminierung engagiert. In der konkreten Umsetzung der Strategie 2020 gebe es durchaus noch "viel Spielraum zur Verbesserung" - bei der Förderung von Roma im Bildungsbereich als auch der Antidiskriminierungsarbeit.

Der Verein Zara dokumentierte im vergangenen Jahr 54 antiziganistische Vorfälle, 2020 bislang elf. Erfasst werden sowohl Fälle im Onlinebereich wie Anfeindungen in sozialen Medien, als auch offline. Das Spektrum reicht dabei von verbalen Beschimpfungen bis zu Drohungen und körperlichen Attacken. Dokumentiert werden können nur Ereignisse, die Betroffene oder Zeugen an Zara melden. Die offiziellen Zahlen bezeichnet Dilber Dikme, Juristin und Leiterin der Zara-Beratungsstellen, deshalb gegenüber der "Wiener Zeitung" als "Spitze des Eisbergs".

Zu Beginn der Corona-Epidemie habe man verstärkte Attacken auf "asiatisch aussehende Menschen" registriert, im weiteren Verlauf auch auf geflüchtete Menschen. Ob Angriffe auf weitere Minderheiten wie Roma zunehmen, wertet der Verein längerfristig aus. "Ich befürchte aber, dass das erst der Anfang einer Entwicklung ist", sagt Dikme. "Denn wenn die Krise sich verfestigt, die Arbeitslosigkeit lange hoch bleibt, werden auch öfter andere zu Sündenböcken gemacht."