Aufsichtstrupps schaffen Ordnung in 100 Gemeinden. | Mustersiedlung in Dunajská Streda wird ausgebaut. | Pressburg. Ein Musikant und ehemaliger Zirkus-Manager und Eiscreme-Lieferant auf der einen Seite, ein Sozialwissenschafter, Romakundler und Hochschullehrer auf der anderen Seite. Ladislav Richter, Vorsitzender des Rats der Nicht-Regierungsorganisationen von Roma-Gemeinschaften (RMORK), und Jozef Ravasz, Geschäftsführer der Institution für Roma-Forschung und -Methodik sowie deren praktische Anwendung, könnten unterschiedlicher kaum sein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zu den wichtigsten Exponenten eines aufkeimenden neuen Selbstbewusstseins der Roma in der Slowakei zählen.
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320.000 Roma
Offiziell bekennen sich rund 320.000 Menschen zur zweitgrößten Minderheit im Nachbarland. Sie gelten als größte Verlierer der gesellschaftlichen Wende von 1989 und werden oft genug nur als Bewohner von Slums in der Ostslowakei wahrgenommen, die sich nahezu zwangsläufig immer mehr vom Rest der Bevölkerung entfernen. Richter und Ravasz sehen sich aber gerade nicht als Menschen, die ihr Leben nicht selbst in die Hand nehmen können.
"Die Roma haben in den vergangenen 20 Jahren schon eine ganze Menge erreicht. Schließlich wurden sie als Volk immer unterdrückt, und da kann jetzt keiner Wunder erwarten", betont Ravasz. Diese Sichtweise ist so unkonventionell wie ein Indiz für die Tatkraft, die Richter wie Ravasz seit Jahren eindrucksvoll an den Tag legen. Gemeinsam setzten sie durch, dass 2006 im südslowakischen Dunajská Streda das bisher einzige Mahnmal für die Roma unter den Opfern des Holocaust in der Slowakei enthüllt wurde.
Richter reichte außerdem vor kurzem bei Vize-Premier Dusan Caplovic den Entwurf für ein zunächst auf drei Jahre angelegtes Programm zur Einrichtung von Roma-Trupps in mehr als 100 Gemeinden ein. Die Streifen sollen für Ordnung in Roma-Gemeinden sorgen, also auf Sauberkeit in den Straßen achten, auf konfliktträchtige Orte hinweisen und einen regelmäßigen Schulbesuch von Roma-Kindern sicherstellen.
Ungefähr 80 der etwa 120 RMORK-Mitglieder hat Richter für seine Pläne begeistern können. Was ihm aber fast noch wichtiger ist: "Wir haben erstmals ein umfassendes Bild von der Situation der Roma."
Die Not sei dort am größten, "wo viele Roma an einem Ort leben", sagt Richter. Trebisov oder Jarovnice in der Ostslowakei seien solche Problemgebiete.
Richter wurde zumindest teilweise durch Roma-Streifen inspiriert, wie es sie in der Plattenbausiedlung Lunik IX in der zweitgrößten slowakischen Stadt Kosice bis Ende August gegeben hat und etwa in den ostslowakischen Städten Moldava nad Bodvou und Vranov nad Toplou noch gibt. Die Trupps in Kosice wurden vom Magistrat bezahlt, dem aber das Geld ausging. Die anderen Streifen sind als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entstanden.
Ravasz wiederum stellt im Rahmen eines bisher einzigartigen Projekts seit nunmehr fünf Jahren auf einem früheren Industriehof in Dunajská Streda unter Beweis, wie Roma den Weg zurück in die Gesellschaft finden, wenn sie ihren eigenen Leuten tatkräftig dabei unterstützt werden.
Rund zehn Prozent der knapp 25.000 Einwohner von Dunajská Streda sind Roma. Vor fünf Jahren saßen viele von ihnen auf der Straße, weil sie über Jahre hinweg nicht ihre Miete bezahlt hatten. Mehr als 300 von ihnen hat Ravasz in enger Kooperation mit der Stadt auf dem Hof inzwischen eine Brücke in die Zukunft gebaut. Rund 15.000 Euro kostet das jährlich, das Geld kommt von der Stadt, vom Arbeits- und Sozialministerium, vom Arbeitsamt, vom Roma-Bevollmächtigten und aus dem Fonds für soziale Entwicklung.
"Wir, das Volk der Roma, wollen mit unseren Pflichten und Rechten anständig leben" steht am Eingang zum Areal auf der Kracanská, auf dem außer Ravasz noch fünf weitere Sozialarbeiter, allesamt Roma, rund um die Uhr im Einsatz sind. Eine Reihe von Wohncontainern, ein weißes Wohnhaus, ein sandfarbener Neubau, dazu ein Büro und ein Lebensmittelgeschäft im Werden sowie einige Müllcontainer sind der Rahmen für den Neuanfang von 55 Familien. "Die Kinder sind in der Schule, und die Erwachsenen arbeiten, deshalb ist es hier so ruhig", leitet Ravasz den Gang über das Gelände ein. Viele der Männer arbeiten als Maurer, die meisten Frauen gehen putzen. Das ist zumindest eine Grundlage. "Wir sind noch nicht einmal das Geld für Strom oder Wasser schuldig geblieben", sagt ein sichtlich stolzer Ravasz.
Schulbus holt Kinder ab
Roma, die in die Siedlung aufgenommen werden wollen, müssen bei der Stadt einen Antrag auf Wohnraumvermittlung stellen. In der Siedlung wird ihr Lebenswandel regelmäßig anhand von 20 Kriterien überprüft. Oberste Priorität haben dabei der regelmäßige Schulbesuch der Kinder und das ernsthafte Bemühen um einen Job.
Das Konzept hat auch die Stadtväter offensichtlich überzeugt. Inzwischen holt ein Schulbus die Kinder morgens direkt an der Siedlung ab. Außerdem verhandelt der Bürgermeister gerade über den Ankauf von zwei Arealen im Industriegebiet, wo weitere Roma die Chance auf ein besseres Leben bekommen sollen.