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Romneys Spurt in die Mitte

Von Thomas Seifert

Leitartikel

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Wenn Europa wählen dürfte, wäre die Sache entschieden: Barack Obama wäre auch nach dem 6. November weiterhin US-Präsident. Was viele Europäer überrascht: Die US-Medien und Demoskopen sagen ein knappes Rennen voraus. Zwischen Lissabon und Helsinki gingen die meisten Regierungschefs und Beobachter bis zum 3. Oktober von einem Obama-Sieg aus.

Doch an diesem Tag erlebte Obama bei der Fernsehdebatte gegen Mitt Romney ein Debakel. Obama wirkte an jenem Abend nicht wie einer, dem der Job an seinem Arbeitsplatz an der 1600 Pennsylvania Ave in Washington Spaß macht. Der bisher hölzern und uncharismatisch wirkende republikanische Herausforderer Mitt Romney wiederum war plötzlich aufgetaut, gut gelaunt und gerierte sich wie jener Mann, der am 21. Jänner 2013 als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird.

Romney hatte zudem zu einem Sprint Richtung politischer Mitte angesetzt. Daher musste das Team Obama die Strategie ändern: Zuvor war es für die Demokraten ein Leichtes, Romney als Geisel der Rechts-außen-Tea-Party-Fraktion seiner Partei - Prädikat: unwählbar - hinzustellen.

Nun merkte Obama: Er muss sich anstrengen. Und das tat er auch. Das zweite Fernsehduell konnte der amtierende Präsident klar für sich entscheiden und in der dritten - von außenpolitischen Themen dominierten - TV-Diskussion unterschieden beide Kandidaten sich zwar im Stil, aber kaum inhaltlich. Obama traf es ganz gut, als er meinte, Romney wolle außenpolitisch dasselbe, "nur sagt er es lauter".

Obama hat den Vorteil, dass er in den wahlentscheidenden Bundesstaaten - Florida und Ohio - über eine höchst effiziente und gut geölte Wahlkampfmaschine verfügt. Romney wiederum besetzt die Werbeslots der TV-Stationen, da seine Kriegskasse besser gefüllt ist.

Einmal mehr wird der frühere Stratege von Bill Clinton, James Carville, recht behalten: "It’s the economy, stupid", "es geht um die Wirtschaft, Dummchen". Keiner der beiden Kandidaten hat eine Heilsbotschaft zu verkünden. Obama kann nicht mehr tun, als darauf zu verweisen, dass er aus dem katastrophalen Erbe des Republikaners George W. Bush - der große Abwesende dieses Wahlkampfs - noch das Beste gemacht hat. Romneys Versprechen niedrigerer Steuern klingt angesichts des Schuldenbergs von 16 Billionen Dollar wie ein Märchen. Kein Wunder, dass man wenig Begeisterung in diesem Wahlkampf spürt.