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Warum ein Wechsel Cristiano Ronaldos nach Turin weniger ein Knalleffekt denn konsequent wäre.
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Cristiano Ronaldo ist wieder da. Nicht in Russland, aber in den Schlagzeilen. Diese Woche prangte auf der Titelseite der Madrider Zeitung "Marca" ein Bild von ihm, der Blick fast so traurig wie bei seinem WM-Ausscheiden, und das Zitat: "Wenn sie meinen Wert auf 100 Millionen bemessen, lieben sie mich nicht." Gemeint war die Vereinsführung von Real Madrid, die sich offenbar bereit erklärt hatte, ihren Superstar für 100 Millionen Euro ziehen zu lassen - anstatt seinen Vertrag aufzubessern.
Laut spanischen und italienischen Medien will Juventus diese Summe auf den Tisch legen, am Freitag meldeten sie den bevorstehenden Transfer und einen Vierjahresvertrag als fix. Eine Bestätigung der Klubs stand aber noch aus. 100 Millionen Euro scheinen Ronaldo also ein Schleuderpreis zu sein. Kann man so sehen. Jedenfalls ist es weniger als die Hälfte dessen, was Paris Saint-Germain für Neymar gezahlt hat, und nur ein Zehntel der festgeschriebenen Ablösesumme. Doch Papier ist bekanntlich geduldig, Ronaldo 33 Jahre alt, und die WM hat seinen Marktwert trotz seiner vier Tore nicht gerade in schwindelerregende Höhen steigen lassen. Ein Transfer Ronaldos nach neun Jahren als Primadonna im weißen Ballett wäre tatsächlich eine Sensation - und auch wieder nicht. Juventus spielt schon seit Jahren eine wichtige Rolle in der Champions League. 2017 stand man wie 2015 (gegen Barcelona) im Finale, scheiterte dort an Real Madrid. Und wer weiß, wie weit es heuer gegangen wäre, wäre nicht im Viertelfinal-Rückspiel diese verflixte Nachspielzeit gewesen, dieser verflixte Schiedsrichter, der auf den Elfmeterpunkt gezeigt hat, und dieser verflixte Ronaldo, der den Italienern nicht den Gefallen tat, den Ball zu verschießen wie bei der WM gegen den Iran. Zudem würde Ronaldo in Turin auf seinen Ex-Kollegen Gonzalo Higuaín treffen, mit dem er sich blind versteht. Die Aussichten auf noch größeren Erfolg würden sich für Juventus zumindest kurzfristig erhöhen - während Real sich nach all den Erfolgen der vergangenen Jahre in einem Neuaufstellungsprozess befindet. Als Trainer kommt (Ex-Spanien-Teamchef) Julen Lopetegui, als möglicher neuer Kassenmagnet fällt immer wieder der Name Neymar. Auch Juventus erfindet sich gerade neu. Die alte Dame will sich ein spritzigeres Image geben, vor kurzem wurde ein neues Logo vorgestellt, der digitale Auftritt soll verbessert werden. Ronaldo wäre mit seiner Social-Media-Reichweite der ideale Botschafter dafür. Dazu passt, dass er aktuell nicht nur mit dem Verein verhandelt, sondern auch mit Facebook - über die Rechte für eine Reality-Show, in der er Einblick in seinen Alltag geben soll. (Der "Guardian" kommentierte das kolportierte Neun-Millionen-Pfund-Geschäft nicht ohne Zynismus: "Exakt neun Millionen mehr, als der Rest von uns bekommt.") Die Marke CR7 will eben ausgequetscht werden, so lange es geht. Dass dies noch immer der Fall ist, zeigten auch der Kurs der Juventus-Aktie, die nach den Ronaldo-Meldungen binnen Kürze um zehn Prozent zulegte, und die Reaktion der Turiner Bürgermeisterin Chiara Appendino, die von einer einzigartigen Chance für die Stadt sprach. Ronaldo kann sich also trösten: Wenn ihn schon Real zum vermeintlichen Schnäppchenpreis verscherbeln will - zumindest in Turin würden sie ihn lieben. Immerhin.