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Rosens Ringfinger

Von Hermann Schlösser

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"Maestro" heißt die Musiksendung, die am frühen Sonntagabend in "arte" ausgestrahlt wird. Und Charles Rosen hieß der Pianist, der dort vorgestern Beethovens "33 Veränderungen über einen

Walzer von Anton Diabelli" spielte. Ruhig und konzentriert saß der ausgezeichnete Musiker vor seinem Instrument und ließ Beethovens sperriges Alterswerk in kontrolliertem Fluß dahinströmen.

Wie der Pianist, verzichtete auch die Bildregie auf allen Schnickschnack. Es wurden keine poetischen Landschaftsbilder eingeblendet, Porträts des alten Beethoven wurden nicht gezeigt. Statt dessen

sah man Rosens Hände und gelegentlich sein Gesicht.

Diese Beschränkung war vernünftig. Wer den "Diabelli-Variationen" wirklich zuhören will, darf nicht unnötig abgelenkt werden. Denn dieses monumentale Klavierstück stellt nicht nur an den Interpreten

seine Anforderungen, sondern auch an den Zuhörer.

Soweit war alles sehr schön. Doch dann trat ein, was beim Fernsehen niemals ausgeschlossen ist: eine technische Störung. Das ruhige Bild begann zu zerflattern, eine eingeblendete Schriftzeile

entschuldigte sich dafür. Und im letzten Drittel des Stückes lief zwar die Tonspur ungestört dem Ende zu, das Bild aber hielt nicht Schritt: Man hörte Charles Rosens wunderbares Spiel, sah aber seine

rechte Hand unbeweglich auf den Tasten liegen. Einzig der Ringfinger schlug immer und immer wieder denselben Ton an.

Der Ärger darüber, daß die Mängel der Technik eine musikalische Glücksstunde trübten, wurde immerhin dadurch gemildert, daß das Bild bei der letzten und sublimsten aller Variationen wieder

auftauchte. Zum Lohn für alle, die noch nicht abgeschaltet hatten.