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Rot-Blau-Supergau?

Von Clemens Neuhold

Politik
"Auf allen Ebenen": Der Parteitagsbeschluss lässt keinen Spielraum für Interpretationen: FPÖ-Verbot gilt auch für die SPÖ-Burgenland. Wen kümmert’s?
© WZ-Montage/fotolia Kaycco

Vom Burgenland aus geht ein Riss quer durch die Sozialdemokratie.


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Eisenstadt. Nicht nur am sonnigen Feiertag, sondern am eigenen Hochzeitstag verhandelte der FPÖ-Burgenlandchef Johann Tschürtz mit der SPÖ. Dem roten Landeshauptmann Hans Niessl scheint es nicht schnell genug zu gehen, den Tabubruch zu wagen. Am Wochenende könne man in der Zielgeraden sein, hieß es zu Fronleichnam aus seinem Büro.

Seit 1986 gilt in seiner Partei die Doktrin des ehemaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky: Keine Koalition mit der FPÖ. Nach der Verkündigung der Koalitionsverhandlungen am Mittwoch ist die Partei in der Frage Rot-Blau nun tief gespalten. Hier die kompromisslosen Gegner von Rot-Blau und zwar "auf allen politischen Ebenen". So lautet ein Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2014. Der Landesgeschäftsführer der Wiener SPÖ Georg Niedermühlbichler ließ via Twitter wissen: "Ich halte Niessls Entscheidung für einen schweren Fehler."

Die roten Jugendorganisationen richteten Niessl aus: "Es kann nicht sein, dass die SPÖ als Steigbügelhalterin für rechtes Gedankengut herhält und Ausgrenzung und Diskriminierung salonfähig macht. Im Gewerkschaftsflügel hat sich Metaller-Boss Rainer Wimmer wiederholt kategorisch gegen Rot-Blau positioniert.

Die zweite Gruppe sieht kein grundsätzliches Problem in Rot-Blau, solange sich das Abenteuer aufs Burgenland beschränkt. Zu ihnen zählt der Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos, der selbst aus dem Burgenland stammt.

Er habe persönlich "kein Problem" mit der sich abzeichnenden Koalition zwischen seiner Partei und den Freiheitlichen im Burgenland. Denn er kenne die handelnden Personen, sagte er im Ö1-"Morgenjournal". Es gebe im Burgenland auch kaum Widerstände in der Bevölkerung oder innerhalb der SPÖ.

Darabos kann sich sogar vorstellen, dass Rot-Blau zum "gelungenen Experiment" wird, wenn die FPÖ eine vernünftige Politik vertrete. Freilich schränkt er ein, dass es auf Bundesebene keine Zusammenarbeit geben werde.

Der Chef der Baugewerkschaft Josef Muchitsch stößt ins selbe Horn. Es komme auf die handelnden Personen in der FPÖ an. Zwischen Rot und Blau gebe es bei sozialen Themen mehr Überschneidungen als mit der ÖVP. Deswegen sei die Haltung gegenüber Ausländern und Minderheiten die entscheidende Frage.

Die zweite Gruppe legt den Parteitagsbeschluss "keine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ" so aus, dass er nicht per se für jeden Politiker der FPÖ gilt, sondern der Grad an Rechtspopulismus entscheidet.

Und jener Mann, der den Parteitagsbeschluss exekutieren müsste: Parteichef und Bundeskanzler Werner Faymann? Der hat wiederholt klargestellt, dass er sich in die Entscheidungen der Landesparteichefs nicht einmischt - und bei Niessl handelt es sich um einen mächtigen Genossen, auch wenn er aus dem einwohnerschwächsten Bundesland stammt. Er ist stellvertretender Obmann der Partei. Und sollte die SPÖ-Wien im Oktober wie prognostiziert deutlich Federn lassen, mit 42 Prozent auch der beliebteste rote Landeshauptmann.

Das Pouvoir, mit der FPÖ zu verhandeln und eine Partnerschaft einzugehen, holte er sich einstimmig von seiner Landespartei. Doch das oberste Parteigremium der SPÖ ist der Parteitag. Und der untersagt das.

"Juristisch betrachtet wäre eine rot-blaue Koalition ein gravierender Verstoß dagegen", sagt dazu der Politologe Hubert Sickinger und weist darauf hin, dass Verstöße vor einem Schiedsgericht landen und zu Disziplinarverfahren bis hin zum Parteiausschluss führen können. "Aber es kommt darauf an, wer dagegen verstößt. Quod licet jovi, non licet bovi." Ob ein Schiedsgericht kommt, entscheidet der Parteivorstand im Bund oder Land. Der burgenländische scheidet aus; der Bundesvorstand ebenso - siehe die Linie, die Faymann in der Causa vorgibt.

Die ÖVP Burgenland ist über das Tempo, das SPÖ-Landesparteichef Niessl vorlegt, in Schockstarre. Die Volkspartei hatte am Mittwoch noch mit der SPÖ gesprochen, bevor die SPÖ am Abend ihre Koalitionsverhandlungen mit Blau ankündigte.

Donnerstagabend traf der Landesparteivorstand der ÖVP in Eisenstadt zusammen. Wie der "Kurier" berichtete, sollte dabei Parteichef Franz Steindl durch den Eisenstädter Bürgermeister, Thomas Steiner, ersetzt werden. Steindl ist seit 15 Jahren an der Spitze, Steiner war viele Jahre sein Büroleiter. Ob es tatsächlich zum Wechsel kam, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Nach den herben Verlusten am Wahltag und dem Abrutschen unter die 30-Prozent-Marke hielt Steindl nur noch eine mögliche Koalition mit der FPÖ und der Liste Burgenland im Sattel. Nun dürfte ihn Niessl mit seinem blauen Abenteuer abgeworfen haben.

Vergaloppieren könnte sich auch die SPÖ, wenn sie Niessl den Tabubruch durchgehen lässt. SPÖ-Wähler, die mit der FPÖ liebäugelten, könnten ihre Hemmungen verlieren; stramme Antifaschisten könnten als Enttäuschung mit Rot brechen - mit allen Konsequenzen für Wiens Bürgermeister Michael Häupl und Parteichef Werner Faymann.

Koalition schon am Wochenende?
(wzo) Nach der ersten Verhandlungsrunde am Donnerstag sprachen die Teilnehmer von"sehr konstruktiven" Gesprächen. Landeshauptmann Hans Niessl gab sich optimistisch: "Ich gehe davon aus, dass es am Wochenende schon eine Einigung geben wird." Den Kuschelkurs ergänzte FPÖ-Obmann Johann Tschürtz: "Es gibt bis jetzt ausschließlich Konsenspunkte und die Bereitschaft, den Konsens zu suchen und zu finden - und das ist bis jetzt geschehen."