Personalrochaden bei ÖVP und FPÖ in Wien. Stadtregierung zerpflückt Programm der Bundesregierung.
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Wien. Es schien am Dienstag fast so, als sei die Wiener Stadtregierung in die Oppositionsrolle geschlüpft: Während Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) unabhängig voneinander über das Programm der neuen Bundesregierung herzogen, präsentierte Neo-Minister Gernot Blümel fast zeitgleich die personellen Veränderungen innerhalb der Wiener ÖVP und die Pläne der Partei für die nahe Zukunft: Seinen Posten als nicht-amtsführender Stadtrat übernimmt der bisherige ÖVP-Landesgeschäftsführer Markus Wölbitsch (35). Diesem wiederum folgt Bernadette Arnoldner (39) als erste Frau auf diesem Posten in Wien nach.
"Wien braucht ordentlichenTurn-around"
Neo-Stadtrat Wölbitsch will die bisherige "kantige Oppositionspolitik" seiner Partei fortsetzen. Als Schwerpunkte nannte er am Dienstag unter anderem Wirtschaft, Innovation und Stadtplanung - wobei er meinte, dass Wien nicht nur einer kleinen strukturellen Reform bedürfe, sondern für die Stadt sei "ein ordentlicher Turn-around" notwendig. Nicht zuletzt, weil es bei der rot-grünen Stadtregierung seit Monaten nur um Nachfolgefragen gehe, anstatt sich um Standortfragen zu kümmern.
Voranzutreiben seien bisher vernachlässigte Themen wie etwa der Lobau-Tunnel oder die umstrittene dritte Piste für den Wiener Flughafen. Zum Krankenhaus Nord will er mit seiner Fraktion für einen U-Ausschuss einsetzen und die Pläne der neuen Bundesregierung in Sachen Mindestsicherung auch in Wien umsetzen.
Auch in der Wiener FPÖ gibt es Personalrochaden: Weil Vizebürgermeister Johann Gudenus als Klubobmann ins Parlament wechselt, übernimmt seinen Posten der bisherige Wiener Klubobmann Dominik Nepp, dem wiederum der nicht-amtsführende Stadtrat Anton Mahdalik nachfolgt. Auf dessen Stadtratsposten rückt Maximilian Kraus nach.
Kaum als neuer FPÖ-Bundesklubobmann angekündigt, ließ Gudenus mit einem fragwürdigen Vorschlag aufhorchen: In einem Radiointerview erklärte er, Asylwerber sollten in Quartieren in "Gebieten am Stadtrand" untergebracht werden, um ihnen zu zeigen, dass es in Wien "doch nicht so gemütlich ist". Damit löste er sogleich bei SPÖ und Grünen einen Sturm der Entrüstung aus. "Die Idee, 13.000 gut integrierte Menschen am Stadtrand zusammenzupferchen, ist menschenverachtend und inkompetent", polterte etwa Vassilakou. Nachsatz: "Dass ich das hier in Wien erleben muss, ist unfassbar für mich." Laut Häupl müssten für die 13.000 in Wien lebenden Flüchtlinge eigens 150 Quartiere errichtet werden. "Wo will der die bitte hinstellen? Vielleicht in die Sisi-Villa im Lainzer Tiergarten, da hätten sicher alle eine Freude damit", meinte der Bürgermeister zynisch.
Häupl ortet "lupenreinen Sozialabbau"
Neo-Minister Blümel selbst blieb - angesprochen auf Gudenus’ Wortmeldung - eine klare Antwort schuldig. "Da müssen Sie schon Gudenus selbst fragen", meinte er. Er, Blümel, stehe zu dem, was mit der FPÖ in den Koalitionsverhandlungen ausgemacht worden sei. Wie diese politischen Absichtserklärungen umgesetzt würden, werde man sich noch genau ansehen müssen.
Bürgermeister Häupl ortet im Regierungsprogramm von Türkis-Blau jedenfalls einen "lupenreinen Sozialabbau". Man spare bei den "Ärmsten der Armen", gleichzeitig gebe es Steuererleichterungen für die großen Unternehmen und Millionäre. Der Wiener SPÖ-Chef kündigte vor allem Widerstand im Bereich Mieten oder Mindestsicherung an. Bei Letzterer werde etwa das Modell aus Oberösterreich nahezu 1:1 übernommen - mit Nachteilen für anerkannte Flüchtlinge.
Ein rechtliches Vorgehen werde bereits geprüft. Denn laut Verfassungsjuristen dürfe zwischen Mindestsicherungsbeziehern mit österreichischer Staatsbürgerschaft und jenen mit positivem Asylbescheid kein Unterschied gemacht werden. "Das ist eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, und deswegen werden wir klagen", so Häupl. Er warnte auch einmal mehr davor, die Grundversorgung zu streichen. "Denn das befeuert Obdachlosigkeit und Kriminalität."
Vizebürgermeisterin Vassilakou stieß ins selbe Horn: Die 1500-Euro-Deckelung der Mindestsicherung etwa würde vor allem Kinder dafür bestrafen, dass sie viele Geschwister haben. Und der sogenannte Familienbonus der neuen Regierung käme nur den Besserverdienern zugute. Ein weiterer Kritikpunkt: Priorisierungen in Sachen Öffi-Ausbau oder umweltschonende Mobilität suche man im Regierungsprogramme vergeblich. Es gebe nur "Straße, Straße, Straße", so Vassilakou. "Unser neuer Verkehrsminister erweist sich offensichtlich als Dieselbruder."
"Mit Vollgasin die Mottenkiste"
Abgesehen davon befürchten die Grünen eine schleichende Privatisierung des öffentlichen Verkehrs unter dem Deckmantel wettbewerblicher Vergabeverfahren: Die Privaten würden sich auf diese Weise die Filetstücke holen, während der öffentlichen Hand alles Defizitäre bleibe. "So vernichtet man öffentliche Unternehmen."
Die neue Regierung steuere "mit Vollgas in die Mottenkiste", ätzte Vassilakou. "Wir haben den jüngsten Kanzler Europas, aber die älteste Politik Europas." So entsprächen die Wiedereinführung von Noten für Volksschüler, die Verhinderung des Rauchverbots sowie Kürzungen im Sozialbereich bei gleichzeitigem "Ausbau von Polizei, Militär und Überwachung" nicht dem 21. Jahrhundert. Wien werde "als Gegenmodell zu Türkis-Blau so gut wie möglich dagegenhalten", versicherte Vassilakou.