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Rot-schwarze Urangst

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Noch 80 Tage bis zur Nationalratswahl. Und die Stimmung ist seltsam unentschlossen. Sicher, was sonst als unzufrieden soll man mit seiner Regierung sein. Gleichzeitig sorgt jede andere Variante für ähnlichen Verdruss.

Typisch österreichisch. In anderen Ländern streben Parteien nach der Macht, um die eigenen Vorstellungen von einer besseren Gesellschaft zu verwirklichen. In Österreich geht es SPÖ und ÖVP dagegen vor allem darum, die Kernideen des anderen zu verhindern. Zuvorderst in der Bildungs- und Familienpolitik, aber auch bei Justiz oder Steuern. In den meisten anderen Bereichen sind sich die beiden ähnlicher, als ihren Anhängern wohl lieb ist. Das erklärt auch, weshalb Österreich durchaus leidlich gut regiert wird.

Dennoch bleibt die Furcht vor einer Majorisierung durch den politisch "Anderen" die Urangst beider Parteien, ausgelebt in ihrer Personalpolitik. Darüber täuscht alle darüber gestülpte Gemütlichkeit, die demonstrative Zusammenarbeit der Sozialpartner nicht hinweg: Die aller Politik zugrunde liegende Formel lautet "nichts ohne meine Zustimmung".

Andere Staaten vertrauen den Schutz ihrer verfassungsrechtlich verbrieften Bürgerrechte der Gewaltenteilung und einem funktionierenden Rechtsstaat an. In Österreich haben Einrichtungen dieser Art nur dann das Vertrauen der Parteien, wenn diese auch selbst darin vertreten sind - unbedingt prominent und am liebsten dominierend.

Die große Koalition dient deshalb nur in absoluten Ausnahmefällen der Lösung großer Probleme. Noch wichtiger, den Klassenfeind zu kontrollieren. Die Tiefenpsychologie des Bürgerkriegs hält SPÖ wie ÖVP bis heute gefangen. Und kettet sie, gleichwohl widerwillig, aneinander.

Natürlich tragen auch die arithmetischen Kräfteverhältnisse im Parlament wie auch die besondere Natur einiger hier vertretenen Parteien ihren Teil dazu bei, dass die beiden ehemaligen Großparteien nicht voneinander lassen können. Aus dieser Perspektive entfalten sogenannte stabile Verhältnisse einen ganz eigenen Charme.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus bemerkenswert, dass der zweite Anlauf, das De-facto-Monopol der großen Koalition zu durchbrechen, diesmal aus den Ländern kommt. Die Grünen etwa sind bereits in mehr Landesregierungen vertreten als die SPÖ. Bewegung ist möglich.