In den Massenmedien werden zwar genüsslich die Schwächen der großen Koalition breitgetreten, es fehlt aber an plausiblen Deutungen ihrer Gründe.
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Das Minimalkompromissprogramm der neuen Regierung erkennen viele Beobachter als fragil und brüchig. Es lässt vermuten, dass in Kürze neue Konflikte zu dramatischen Problemen führen werden. Verschiedene Befragungen zeigen einen enormen Vertrauensverlust für SPÖ und ÖVP. Einige Berufsgruppen haben schon demonstriert und mit Streiks gedroht. Noch keine Regierung hat so einen schlechten Start mit so wenig Vertrauen hingelegt wie diese Partie der Verlierer, die zusammen meinen, das Volk zu repräsentieren.
Auffällig ist, dass den Parteien die heftigste Kritik aus den eigenen Reihen entgegengeschleudert wird. In den Massenmedien werden zwar genüsslich die Schwächen breitgetreten, aber es fehlt an plausiblen Deutungen der Hintergründe: Warum hat die ÖVP das Wissenschaftsministerium geopfert? Zu leicht gibt man sich mit der dümmlich-lapidaren Formulierung des Vizekanzlers zufrieden. Es heißt, weil man die Zahl der Ministerien nicht erhöhen wollte, musste eines eingespart werden zugunsten des neuen Familienministeriums. Darum übernehme der Wirtschaftsminister die Agenden von Wissenschaft und Forschung, ein Bereich, der prädestiniert sei für die Wirtschaft. Dass die Familienagenden vorzüglich ins Sozialministerium passten, wäre logisch. Aber das ist ja in roter Hand, und es ging um ein schwarzes Ministerium. Der ÖVP war aus populistischen Gründen das Familienministerium wichtig. Wissenschaft und Forschung sind leicht abzugeben, wenn der Wirtschaftsminister smart das Management dafür übernimmt.
Diese Wertigkeit, diese Einschätzung, diese miserable Politik der ÖVP, die von sich immer behauptete, für Wissenschaft, Forschung und Bildung einzutreten, verdiente eine genauere Analyse. Wenn eine Partei aus kurzsichtigen politischen Erwägungen solche Revirements vornimmt, disqualifiziert sie sich hinsichtlich ihrer Ausrichtung für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Eigentlich insgesamt für ihre Ernsthaftigkeit und politische Verantwortlichkeit.
Dass die SPÖ klein beigab, beweist nur ihren eigenen Tiefstand. Beide Parteien reduzierten sich auf einen Mindeststandard von Verwaltung, ohne Vision, Reformwillen, politischen Weitblick. Es herrscht ein Geist wie einst in der unseligen Monarchie, mit Angst vor Veränderungen, borniertem Interesse des Machterhalts, soweit er noch absteckbar ist.
Als in Berlin 2002 die CDU meinte, den Haushalt durch drastische Kürzungen die Berliner Universitäten sanieren zu können, indem die Geistes- als unwichtig gegenüber den Naturwissenschaften hingestellt wurden, regte sich just im Lager der CDU lautstarker Protest.
Nun, die deutsche Bundesregierung hat von den meisten Universitäten das Fach Philosophie verbannt, eingespart, weil es nicht wichtig ist. Forschung komme ohne (philosophisches) Denken aus. In Österreich unternimmt die ÖVP ähnliche Maßnahmen und beweist damit ihre Kulturfeindlichkeit und kurzsichtige Einschätzung der Forschung, die nach ökonomischen Kriterien "Erfolge und Nutzen" bringen soll. Eine Bankrotterklärung.