Politische Dynastien bilden in den USA heute einen ganz normalen Bestandteil der politischen Landschaft.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
New York. Das Signal zum offiziellen Start des Rennens zu geben blieb dem Beelzebub höchstselbst vorbehalten. Getreu der Devise, dass man nicht verlieren kann, wenn man soundso keine Chance auf den Sieg hat, verkündete Ted Cruz Ende März seine Absicht, sich ums höchste Amt im Staat zu bewerben. In den Reihen der Republikaner war er damit der Erste auf einer Liste, die am Ende - sprich am Anfang der im Winter 2016 beginnenden Vorwahlen - wahrscheinlich zwischen bis zu zwei Dutzend Namen umfassen wird.
Selbst im Konzert jener Stimmen, die sich den Einzug ins Weiße Haus mehr erschreien als erarbeiten wollen, bildet der 44-Jährige eine Ausnahme von der Regel: kompromisslos, störrisch, extrem konfrontativ; und weil ihn die Texaner genau wegen all dem 2013 in den Senat gewählt haben, sieht er auch als Präsidentschaftskandidat keinen Grund, daran etwas zu ändern. Die Tatsache, dass er wegen seiner extremen Positionen keine realistischen Aussichten auf die Nominierung durch die Partei, geschweige denn den Sieg hat - über die entscheidet in den USA noch immer die mal nach rechts, mal nach links neigende Mitte -, mindert freilich nicht seinen Einfluss auf die Politik einer künftigen Regierung. Was 2016 umso entscheidender sein wird, als ein historisch einmaliges Szenario heraufdräut: die Neuauflage eines epischen Kampfes zweier Politdynastien.
Auf der einen Seite steht Hillary Diane Rodham Clinton, 67, ehemalige Außenministerin und Ex-Senatorin des Bundesstaats New York. Auf der anderen John Ellis "Jeb" Bush, 62, ehemaliger Gouverneur von Florida. Beide verfügen kraft ihrer bisherigen Karrierewege über ausreichend politische Erfahrung und Stehvermögen. Vor allem aber auf die in einem Präsidentschaftswahlkampf mit Abstand wichtigste Eigenschaft: die Fähigkeit, unendlich viel Geld zu sammeln. Ersten, konservativen Schätzungen zufolge könnte der Wahlkampf 2016 insgesamt bis zu fünf Milliarden Dollar (4,7 Milliarden Euro) kosten. Die Zugpferde werden jeweils mindestens 1,5 Milliarden aufstellen müssen, um bis zum Ende wettbewerbsfähig bleiben zu können. Darin und in nichts anderem liegt der Grund, warum die Mehrheit der politischen Experten in den USA das Match Clinton gegen Bush als quasi unausweichlich ansieht: Keiner ihrer Konkurrenten verfügt bisher auch nur ansatzweise über vergleichbare Netze an Geldgebern, alteingesessene Casino-Magnaten aus Las Vegas hin, neureiche Silicon-Valley-Entrepreneure her.
Dynastisches Konzept nicht neu
Neu ist alles nicht: Das Konzept der politischen Dynastien wurde den USA quasi in die Wiege gelegt. Als erster Begründer einer solchen gilt John Adams (1735-1826), der Nachfolger von George Washington. Nachdem er Letzterem als Stellvertreter gedient hatte, trat er 1797 seinen Dienst als zweiter Präsident der Vereinigten Staaten an. Er währte nur vier Jahre lang. Nach einer von eher bescheidenen Erfolgen geprägten Periode, die von den Kämpfen zwischen den Zentralisten und den Föderalisten der jungen Republik gekennzeichnet war, folgte ihm 1801 Thomas Jefferson nach. Die Genugtuung, die Adams deshalb 24 Jahre später empfunden haben muss, lässt sich gestern wie heute kaum mehr nachvollziehen: Da legte sein Sohn John Quincy Adams seinen Amtseid ab, als sechster Präsident der USA.
Aufgewachsen in einem Haushalt, der seit der Zeit des Unabhängigkeitskrieges von den Briten den Gesetzen der Politik unterworfen war, hatte er in den Zehner- und Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts eine steile Karriere in der Diplomatie wie in der Innenpolitik hingelegt. Auch John Quincy Adams hielt sich nur vier Jahre im Amt. Aber seine Familie wird für alle Zeiten die erste in Amerika bleiben, die zwei Präsidenten hervorbrachte.
Während die Adamses zwei volle Amtszeiten auf sich vereinen konnten, mutet die Biografie der Harrisons, der nächsten Dynastie in der US-Innenpolitik, die diesen Namen verdient, fast kurios an. William Henry Harrison trat seinen Job als Präsident am 4. März 1841 an - und starb genau einen Monat später, im Alter von 68 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er ein erfülltes Leben hinter sich: Offizier, Senator für Ohio sowie Botschafter in Kolumbien. Zu Letzterem hatte ihn 1828 Adams junior ernannt.
Anders als dessen Familie, deren politische Leistungen heute allgemein anerkannt werden, sind die Harrisons weitgehend vergessen. Was nichts daran ändert, dass sie die erste US-Politdynastie sind, die zwei Männer hervorbrachte, die im Verhältnis des Großvaters zum Enkel standen und als solche als Präsidenten dienten. 1889 zog Benjamin Harrison ins Weiße Haus ein. Dort halten konnte auch er sich nur vier Jahre. Sein Vorgänger war gleichzeitig sein Nachfolger: Grover Cleveland, dem es quasi in Putin-Manier gelang, nach vier Jahren Unterbrechung wieder ins Präsidentenamt gewählt zu werden. (Der Vollständigkeit der Verwandtschaftsverhältnisse halber: Zachary Taylor, der zwölfte US-Präsident, der von 1849 bis 1850 amtierte, war ein Cousin zweiten Grades von James Madison, dem vierten Staatsoberhaupt.)
Familienbande kein Vorteil
Der Eindruck, der angesichts all dessen erweckt wird, kann indes täuschen: Dass Blutsbande zu früheren Amtsinhabern einen Vorteil im Rennen ums Weiße Haus bedeutet, wird angesichts des seit der Unabhängigkeitserklärung 1776 versammelten Zahlenwerks eindeutig widerlegt. Nicht zuletzt, weil die Mehrheit der amerikanischer Politiker quer durch die Jahrhunderte stets darauf bedacht war, nicht in die Muster der in Sachen republikanischer Gesinnung als rückständig empfundenen Europäer zu verfallen. Barack Obama ist der 44. Präsident der USA und tatsächlich gelang es in den 43 Fällen vor ihm einer Familie nur in den seltensten Fällen, einen Verwandten auf diesem Sessel zu installieren.
Daran, dass die Wahrnehmung heute trotzdem eine andere ist, trägt vor allem das 20. Jahrhundert Schuld. Die politische Geschichte Amerikas schrieben dort in der ersten Hälfte des nämlichen die Roosevelts: zuerst Theodore (Präsident von 1901 bis 1909), der bis heute im Guten wie im Bösen als Inkarnation des amerikanischen Geistes gilt, und dann Franklin Delano (1933-1945), der einem unter der Großen Depression leidenden Amerika mit seinem "New Deal" wieder auf die Beine half. Obwohl sie den gleichen Namen trugen, waren sie aber nur extrem entfernt verwandt (Cousins fünften Grades).
Was sie teilten, war indes das, was schon auf alle weiter oben angeführten Charaktere zutraf und -trifft: Sie entstammten allesamt modernen Patriziergeschlechtern, die ihnen problemlos erlaubten, die Passion Politik zum Beruf zu machen. Was auch auf die bis heute mit Abstand berühmteste US-Politdynastie zutrifft, die ihren Mythos vor allem den Dramen verdankt, an denen sie die Welt seit nunmehr rund 70 Jahren teilhaben lässt. Über die Kennedys sind nicht umsonst Myriaden an Büchern geschrieben worden; aber was sie bis heute so besonders macht, ist vor allem eines: Dass sie ein Familienoberhaupt hatten, das die talentiertesten seiner Kinder systematisch darauf hintrimmte, einmal ins Weiße Haus einzuziehen.
Joe Kennedy sr., der Vater von John F., Robert und Edward Kennedy, mag ein ehemaliger Alkoholschmuggler und ein historisch verbürgter Gauner gewesen sein - was man ihm nie absprechen konnte, war seine Fähigkeit, die Macht einer wirklichen Dynastie aufzubauen und zu erhalten. Auch wenn fast alle Geschichten, die zur Mythologisierung des Clans aus Massachusetts im Laufe der Zeit beitrugen, von der Ermordung von John F. 1963 bis zum Flugzeugabsturz seines gleichnamigen Sohnes 1999, nicht auf seinem Mist gewachsen waren, hatte Joe Kennedy sr. doch dafür den Grundstein gelegt. (Selbiges trifft, wenn auch mit starken Abstrichen, ebenso auf George W. Romney sr. zu, von 1963 bis 1969 Gouverneur von Michigan und Vater des erfolglosen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney; und auf Ron Paul, den langjährigen Bannerträger des Libertarismus im US-Kongress, dessen Sohn Rand heute ebenfalls um die Nachfolge Obamas kämpft.)
Clinton kandidiert offiziell
Im Vergleich dazu nimmt sich Prescott Sheldon Bush, der Großvater von Jeb und George W. und Vater von Reagan-Nachfolger George H., vergleichsweise unaufregend aus. Nach einer erfolgreichen Wall-Street-Karriere wurde er zum Senator des kleinen Connecticut gewählt, ein Amt, das er elf Jahre lang ausfüllte. Ambitionen aufs Präsidentenamt wurden dem 1972 Verstorbenen keine nachgesagt. Aber das Kunststück, einen Sohn und (bisher) einen Enkel im Weißen Haus untergebracht zu haben, wird ihm wahrscheinlich nie wieder jemand nachmachen. Genau darin liegt vielleicht auch eine Achillesferse des Kandidaten Jeb Bush: Während die Clintons als politische Schwergewichte gerade mal eine Generation alt sind, versammeln die Bushs über ein halbes Jahrhundert an den Schaltstellen der Macht.
Hillary Clinton wird am Sonntag ihre Kandidatur offiziell bekannt geben. Ted Cruz wird es kaum erwarten können, bietet sich Leuten wie ihm doch dadurch die Möglichkeit, sich noch besser in der Außenseiterrolle zu profilieren. Im Gegensatz zu ihr, die mit einem immer noch redseligen Ex-Präsidenten verheiratet ist, und Jeb Bush, der mit dem Erbe seines Bruders zu kämpfen haben wird, braucht sich Cruz nicht vor der eigenen Verwandtschaft zu fürchten. Im Gegenteil: Die Überzeugungen seines Vaters Rafael, dass Barack Obama in Wahrheit ein Kenianer sei, der im Gleichschritt mit den Medien Amerika zerstören will, können ihm in seiner Stammklientel nur nützen. Seine Verwandten kann man sich eben nicht aussuchen, und das ist gut so.