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Rot-weiß-rote Leuchtspuren

Von Heiner Boberski

Wissen

Von Heinrich Jasomirgott bis Alois Mock - "Sternstunden Österreichs".


Was ist eine Sternstunde? Von den "Sternstunden der Menschheit", die Stefan Zweig einst beschrieben hat, war ja zum
Beispiel die Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 zwar
für die siegreichen Türken, aber nicht für alle Menschen eine solche. Gerhard Jelinek wählt in seinem neuen Buch "Sternstunden Österreichs" nicht die globale, sondern die rot-weiß-rote Perspektive.

Aus dieser gehört natürlich die Befreiung Wiens von der Türkenbelagerung 1683 eindeutig zur "hellen Seite unserer Geschichte". Wenn der historisch versierte Sachbuchautor und ORF-Journalist auch den Mord am Philosophen Moritz Schlick 1936 thematisiert, sieht er zweifellos nicht dieses Verbrechen, sondern den mit Schlick verbundenen "Wiener Kreis" und dessen geistesgeschichtliche Bedeutung auf dieser "hellen Seite". Mit Schlicks Tod ging eine Blütezeit der Wiener Mathematik, Logik und Philosophie zu Ende.

Jelinek beginnt sein Werk mit der Erhebung Österreichs durch das "Privilegium minus" zum Herzogtum 1156 und beendet es mit dem am 1. Jänner 1995 in Kraft getretenen Beitritt zur EU. Die meisten Kapitel widmet er Ereignissen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Aus den Epochen davor berichtet er vom englischen König Richard Löwenherz, von der Heiratspolitik der Habsburger, von den Türkenkriegen, von der Entstehung von Mozarts Requiem und vom Reformwerk Kaiser Josefs II., das sich im Westgalizischen Gesetzbuch und dann im bis heute wirksamen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1812 niederschlug.

Was Jelineks Werk auszeichnet, sind das Heranziehen neuester Quellen und ein nüchterner Blick auf unterschiedlich interpretierbare Ereignisse. Vieles, was er schreibt, ist auch historisch interessierten Lesern nur zum Teil bekannt. Jelinek räumt auch mit Legenden auf - etwa der vom Sänger Blondel, den es zwar gab, der aber sicher nie vor Richards Gefängnis in Dürnstein gesungen hat. Und er nennt Richards Gefangennahme in Erdberg eine Sternstunde, "auch wenn sie moralisch im Zwielicht dämmert", denn das horrende Lösegeld für ihn machte große Investitionen in Österreich möglich.

Wieso fehlt die Gründungder Republik?

Man kann bei solchen Werken immer darüber streiten, ob etwas Wichtiges fehlt. Nicht fehlen durfte natürlich Österreichs Kampf gegen Napoleon mit dem ersten Sieg gegen den Korsen durch Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern. Jelinek ruft die Begegnung von Fürst Metternich mit Napoleon in Dresden im Jahr 1813 in Erinnerung und den Wiener Kongress, der nach dem Napoleonischen Zeitalter die Weichen für ein neues Europa stellte und die Abschaffung des Sklavenhandels einleitete.

Im Jahr 1918 stellte für Jelinek seltsamerweise die Ausrufung der Republik im November keine Sternstunde dar, wohl aber der erste reguläre Linienflug der Welt, der damals im März von Wien startete. Leopold Figls Weihnachtsansprache von 1945 - die erst viel später als Tondokument "festgehalten" wurde - und der Unterzeichnung des Staatsvertrages widmet das Buch erwartungsgemäß eigene Kapitel.

Mehr als um Politik geht es Jelinek aber offenbar um österreichische Kreativität und Leistungen, die international nachwirkten. Ob das Lied "Stille Nacht", die Sachertorte, die Psychoanalyse, die Salzburger Festspiele, etliche Pioniertaten aus Medizin und Technik (Semmeringbahn, Großglocknerstraße) - vieles aus Österreich hat die Welt erobert. All das kann ein solches Buch nicht umfassend darstellen, wohl aber exemplarisch an Hand von Personen wie Ignaz Semmelweis, Sigmund Freud, Gustav Klimt, Bertha von Suttner, Toni Sailer oder Udo Jürgens.

Einige kleine Fehler, offenkundig zum Beispiel bei der Datierung der Sachertorte, und das sonderbare Ausklammern des
12. November 1918 trüben ein wenig den positiven Gesamteindruck dieses durchaus lesenswerten Buches.

Sachbuch
Gerhard Jelinek
Sternstunden Österreichs.
Die helle Seite unserer Geschichte (Amalthea, 320 Seiten,
24,95 Euro)