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Rote Chaostage

Von Alexander Dworzak

Politik
Bundespräsident Steinmeier (l.) hält wenig von den Neuwahl-Ideen von Parteichef Schulz.
© Bundespresseamt, reu/Denzel

SPD-Chef Martin Schulz kommt nicht aus der Defensive. Womöglich rettet ihn ausgerechnet eine Koalition mit der Union.


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Berlin/Wien. Es war nicht nur ein Gespräch zwischen Bundespräsident und SPD-Chef. Als Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag im Berliner Schloss Bellevue Martin Schulz empfing, trafen zwei gescheiterte Wahlkämpfer aufeinander. Das jetzige Staatsoberhaupt war als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 2009 für das zweitschlechteste SPD-Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik verantwortlich. Schulz führte die Sozialdemokraten im September mit 20,5 Prozent zum bisherigen Tiefpunkt. Vor acht Jahren ging die SPD in die Opposition - beziehungsweise musste gehen, CDU/CSU und FDP hatten die Mehrheit für ihre Wunschkoalition errungen. Nun wird der Druck auf Martin Schulz immer größer, entgegen all seinen bisherigen Äußerungen die Partei doch in eine Regierung zu führen.

Zuallererst drängt Steinmeier darauf. Der Bundespräsident hält nichts von Neuwahlen. Der Idee einer Minderheitsregierung kann er wenig abgewinnen. Nachdem die Jamaika-Sondierungen zwischen CDU, CSU, Grünen und FDP Ende vergangener Woche geplatzt waren, bliebe dann nur die Fortsetzung der schwarz-roten Regierung, die seit 2013 amtiert (derzeit geschäftsführend). Nach dem Gespräch mit Steinmeier beriet sich Schulz mit der engeren Parteiführung und den SPD-Ministerpräsidenten.

Kein Regierungsauftrag

13,8 Prozentpunkte verloren Union und SPD gemeinsam bei der Wahl vor zwei Monaten. Schulz zog daraus sofort den Schluss, Schwarz-Rot sei abgewählt. Noch am Wahlabend verschrieb er der SPD einen Oppositionskurs. Das wirkte auf die Parteibasis wie eine Befreiung nach vier Jahren unter Angela Merkel, in denen sozialdemokratische Positionen wie Mindestlohn und Mietpreisbremse eingeführt wurden, vom Wähler aber unbedankt blieben. Doch stellt sich nach dem Jamaika-Ende in der Nacht auf Montag die Frage, ob die SPD als älteste Partei Deutschlands tatsächlich eine staatstragende Rolle ablehnen kann.

Abgeordnete bangen um Mandat

Je mehr Tage seitdem verstreichen, desto unklarer ist die Lage. "Wir scheuen Neuwahlen nicht", richtete der 25-köpfige SPD-Vorstand den anderen Parteien und der Öffentlichkeit aus. Schulz ging bereits am Montag so weit, zu sagen, er halte eine Minderheitsregierung für "nicht praktikabel". Damit hatte der Vorsitzende die SPD einzementiert, anstatt abzuwarten, wie sich die vier Nicht-Partner von Schwarz-Gelb-Grün aus der verfahrenen Lage manövrieren. Die Sozialdemokraten wurden so zum zweiten Buhmann neben der FDP, die den Jamaika-Sondierungstisch verlassen hatte. Die Liberalen verfolgen seitdem zumindest eine klare inhaltliche Linie und in der Kommunikation. Parteichef Christian Lindner schloss am Donnerstag abermals aus, dass die Gespräche wieder aufgenommen werden. Bei der SPD sucht man vergebens nach einer Strategie, es herrscht Chaos.

Innerhalb der Fraktion kamen sehr schnell Zweifel am Kurs von Schulz und dem Beschluss des Parteivorstandes auf; angefangen bei der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles. Bestimmte Parlamentarier fürchten, bei einer erneuten Wahl könnten die Sozialdemokraten noch schlechter abschneiden - und sie damit aus dem Bundestag fliegen. Anstatt um Mandat und Abgeordnetengehalt zu fürchten, dürften manche Parlamentarier in einer Koalition gar auf ein Regierungsamt hoffen. Schulz hat seine Mitstreiter primär außerhalb der Fraktion, vor allem der mächtige Landesverband seiner Heimat Nordrhein-Westfalen, die Jungsozialisten und die Basis stehen hinter ihm. In den vergangenen Wochen besuchte Schulz unzählige Regionalkonferenzen und punktete bei den Funktionären.

Zur Uneinigkeit in der Partei kommt, dass die SPD auf Neuwahlen denkbar schlecht vorbereitet ist. Sie hat noch nicht den Posten des Bundesgeschäftsführers neu bestellt, zu dessen Aufgaben die Wahlkampforganisation zählt. Außerdem steckt die Partei mitten in der inhaltlichen Erneuerung. Nicht einmal ansatzweise geklärt ist die Frage, ob nun ein Linksruck nach Vorbild des britischen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn eingeschlagen werden soll oder ein Mitte-links-Kurs, für den Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz steht.

Zeit gewinnen

Um Zeit zu gewinnen, könnte die SPD Steinmeiers Empfehlung folgen und zumindest Gespräche mit der konservativen Union führen. Teile der Sozialdemokraten sträuben sich allerdings auch davor. Für sie ist das ein erster Schritt weg von Neuwahlen hin zu einer als schier unvermeidlich verkauften Regierungsbeteiligung. "In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten", hat Schulz ebenfalls frühzeitig verkündet. Doch ausgerechnet ein schwarz-rotes Bündnis könnte sein politisches Überleben sichern. Stark zu bezweifeln ist nämlich, dass Schulz angesichts des Debakels im September erneut als Spitzenkandidat in einen frühzeitigen Wahlkampf gehen dürfte.

Parteitag in zwei Wochen

Selbst Martin Schulz’ Wiederwahl als Parteivorsitzender ist angesichts seiner überstürzten Aktionen nicht mehr sicher. Die Fraktionsspitze, den wichtigsten Job im parlamentarischen Alltag, hat bereits Andrea Nahles inne. Schulz wollte als Parteichef den inhaltlichen Erneuerungsprozess vorantreiben. Ob er darf, entscheiden die Genossen in zwei Wochen. Der Parteivorsitzende besitzt aber auch das Vorschlagsrecht auf den Spitzenkandidaten bei Bundestagswahlen. Ein Grund mehr für Schulz’ Kritiker, ihn loszuwerden.