Der Sieg der Reformkräfte treibt die Öffnung des Landes voran.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Teheran/Wien. Die Hardliner im Iran sind in Schockstarre verfallen. Nach ihrer Niederlage bei der Parlaments- und der Expertenratswahl ist ihnen klar geworden, dass sie künftig sehr viel weniger Macht in der Islamischen Republik haben werden.
Ein Blick zurück lohnt sich dabei: Der persische Ausdruck "Radde salahiat" ("durchgefallen") wird rund um Wahlen im Iran immer überstrapaziert. Mit großer Genugtuung vermelden die von den ultrakonservativen Kräften dominierten Staatsmedien, wenn ein gemäßigter Kandidat durchfällt, was ja oft schon vor der Wahl geschieht. Denn alle Kandidaten, die zum Votum antreten wollen, müssen sich ihre Kandidatur vom Wächterrat, einem ultrakonservativen Gremium aus sechs Geistlichen und sechs Juristen, genehmigen lassen. Viele moderate Kandidaten (heuer etwa Hassan Khomeini, der Enkel des Revolutionsvaters Ayatollah Ruhollah Khomeini) erhielten den Vermerk "Radde salahiat" unter ihrem Akt und verschwanden damit von der Bildfläche der Wahl.
Doch diesmal ist alles anders. Diejenigen, die andere gerne durchfallen lassen, sind nämlich selbst durchgefallen: Einer von ihnen ist der aktuelle Chef des Expertenrats, Ayatollah Mohammad Yazdi. Er wurde deutlich abgewählt und erhielt in seinem Wahlkreis nur wenige Stimmen.
Summa summarum zeigt sich, dass die oft gehässigen Tiraden der Hardliner und die restriktiven Maßnahmen dem konservativen Lager nichts genutzt haben. Der als moderat geltende Präsident Hassan Rohani ist nach seiner überraschenden Wahl im Juni 2013 und dem Atomdeal mit dem Westen im Juli 2015 für ein drittes "Wunder" mitverantwortlich: nämlich für den fulminanten Doppelerfolg bei Parlaments- und Expertenratswahl, bei denen viele moderate Kandidaten reüssierten.
Hardliner erleiden in Teheran Debakel
"Das Volk hat genug von den mittelalterlichen Geistlichen, die Repression als Bodenschablone des Islam sehen", sagt Jamshid Reizani, ein 25-jähriger Jusstudent "Wir sind natürlich nicht naiv und wissen, dass Rohani auch Teil dieses Apparates ist, aber ein altes Sprichwort sagt, dass Grau besser als Schwarz ist", fügt er hinzu.
Unter den Ergebnissen sticht besonders jenes für den Expertenrat im Wahlkreis Teheran hervor. Das Gremium besteht insgesamt aus 88 Geistlichen und nimmt eine entscheidende Rolle im Machtgefüge des Iran ein, ist es doch etwa im Falle des Todes des Obersten Geistlichen Führer, des 76-jährigen Ayatollah Seyed Ali Khamenei, für die Wahl seines Nachfolgers zuständig. 16 Vertreter des Expertenrates kommen aus dem Wahlkreis Teheran, und sie sind zumeist auch diejenigen, die in diesem Gremium besonders den Ton angeben. Hier haben bei dieser Wahl Reformer um Präsident Hassan Rohani 15 der 16 Sitze gewonnen. Einzig der Chef des Wächterrates, Ayatollah Ahmad Jannati (90) konnte sich mit Mühe und Not den 16. Platz sichern.
Diese Rote Karte der iranischen Bevölkerung für die Hardliner hat weitreichende Auswirkungen. So kann die Regierung jetzt ihren Reformkurs vorantreiben, die desolate iranische Wirtschaft auf Vordermann bringen und die Öffnung in Richtung Westen forcieren. Sogar die Beziehungen zu den USA werden nun - wenn auch zunächst nur hinter vorgehaltener Hand - neu definiert. Hier könnte es nun eine Annäherung an den jahrzehntelangen Erzfeind geben.
Großes Comeback von Ex-Präsident Rafsanjani
Möglich wurde all dies aber erst durch einen raffinierten Schachzug von Ayatollah Akbar Hashemi-Rafsanjani, Nummer zwei im Iran und Chef des Schlichtungsrates. Der wegen seines diplomatischen Geschicks oft als iranischer Kardinal Richelieu bezeichnete politische Ziehvater Rohanis hat geschickt eingefädelt, dass er und Rohani auf verschiedenen Listen antraten, womit den Hardlinern das Wasser abgegraben wurde.
Entsprechend freudig lächelte Rafsanjani am Montag in die TV-Kameras, als er zum landesweiten Sieger bei der Wahl zum Expertenrat wurde. Vergessen scheint, dass ihm vorgeworfen wird, dass er selbst in den 1980-er Jahren in Korruption und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein soll. Jetzt gibt er den moderaten Kleriker, der die Hardliner in die Schranken weist.
Damit feiert der mächtige und bei der ultrakonservativen Kräften verhasste Ex-Präsident ein großes politisches Comeback und wird neben dem Schlichtungsrat nun auch im Expertenrat den Ton angeben. Auf den Plätzen zwei und drei landeten der Konservative Mohammad Emami-Kashani und der aktuelle Staatspräsident Rohani.
Rafsanjani hat einiges vor, denn er will so rasch als möglich die unter Hausarrest stehenden politischen Oppositionellen Mehdi Karroubi und Mir Hossein Moussavi freilassen, das gefürchtete Gefängnis Evin in Teheran schließen und in einen Nationalpark verwandeln - und die Beziehungen zum Westen intensivieren. Außerdem wurde er von Khamenei gebeten, wieder das Freitagsgebet in Teheran zu halten.
Die Voraussetzungen für Rohani und seinen Mentor Rafsanjani sind mehr als günstig, denn auch bei der Parlamentswahl (Majles) mussten die Hardliner ihre Hochburgen an die Reformer abtreten. In der wichtigsten Provinz Teheran etwa mussten sie nach Auszählung fast sämtlicher Stimmen alle 30 Sitze (von 290) an die moderaten Kräfte abgeben.
Der Jubel der Reformkräfte kann aber nicht überdecken, dass die Islamische Republik immer noch von Khamenei regiert wird und dieser in allen strategisch wichtigen Belangen das letzte Wort hat. Daran kann auch der Wahlausgang nichts ändern: Justiz, Zensurapparat, Militär und Polizei bleiben ebenso in den Händen der Ultrakonservativen wie der Wächterrat.