In Kerns Heimatbezirk Simmering ist die SPÖ in Opposition. Seit zwei Jahren hadert sie mit dieser Rolle.
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Wien. Christian Kern ist stolz auf seine Herkunft. In seinem ersten Wahlkampfwerbespot joggt er durch Simmering, vorbei an dem Gemeindebau in der Kaiserebersdorfer Straße, wo er mit seiner Schwester, und seinen Eltern, einem Taxifahrer und einer Sekretärin, aufgewachsen ist. "Es gab wenig Geld, dafür viel Liebe", sagt er im Spot. Ruhig erzählt er, wie sich die Familie alles absparen musste, die Sonderangebote im Supermarkt abgegrast hat, dabei zu Fuß gegangen sind, weil die Fahrscheine zu teuer waren. Aus dem Manager Kern im Slimfit-Anzug wird plötzlich das Arbeiterkind mit Topfhaarschnitt. Nah, bodenständig, rührend. "An Herausforderungen wächst man ja und wird zum Kämpfer", resümiert er.
Noch immer schaut er einmal die Woche vorbei in Simmering, besucht die Mutter, bringt ihr Blumen und tratscht mit ihr am Balkon, wie die Nachbarn erzählen. Man weiß um den berühmten Sohn. Seit knapp eineinhalb Jahren ist der Simmeringer nun Bundeskanzler. Und kämpft. Mit den Gegnern. Mit dem Boulevard. Und vor allem mit der eigenen Partei. Spätestens nach der Affäre um die Schmutzkübelkampagne auf Facebook gegen seinen Kontrahenten ÖVP-Chef Sebastian Kurz, rückt ein SPÖ-Sieg am 15. Oktober immer weiter in die Ferne.
Sollte er den ersten Platz nicht erreichen, wird die Partei wohl nicht mehr in der Regierung sein. Kern verkündete im ORF-Sommergespräch Anfang September, dass dann nur die Opposition bleibe, wenn die SPÖ Zweiter oder Dritter werde. Die SPÖ in Opposition? Weg von der Macht? Wird das der Partei guttun? Ein bisschen Kräfte sammeln, ein bisschen Profil schärfen und das von der Hinterbank aus? Kann das gelingen?
Rote Welt ist auf 25 Quadratmeter geschrumpft
Peter Kriz verzieht das Gesicht. Nie würde er seinen Chef kritisieren. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Das habe ihm 56 Jahre SPÖ-Parteimitgliedschaft gelehrt. "Ich folge unserem Kanzler und Parteivorsitzenden, weil ich darauf vertraue, was er tut", sagt der 69-Jährige, "aber wir sollten uns gut überlegen, wo wir unseren Leuten am Besten helfen können. Was erreichen wir in der Opposition mehr, als wenn wir in die Koalition gehen? Gar nicht dabei zu sein, ist gut zu überlegen."
Der Simmeringer weiß, was es heißt, nicht mehr vorne dabei zu sein. Seit zwei Jahren sitzt der SPÖ-Bezirksrat in Opposition. Und er hasst es. 70 Jahre lange war sein Bezirk rotes Hoheitsgebiet. Absolut haben die Sozialdemokraten hier regiert. So stark war man im einstigen Arbeiterbezirk. Stolz hat man in Simmering den Mythos vom roten Wien aufrechterhalten. Auch dann, als er im Rest von Wien nur noch an Feiertagen ausgegraben wurde. Das war Ehrensache. In Simmering war man kämpferische Arbeiterklasse. Nicht bemitleidenswertes Prekariat. Man war stolz auf seine proletarische Identität. Und brachte es Wahl um Wahl an der Urne zum Ausdruck.
Doch irgendwann war es nicht mehr en vogue, kämpferisch zu sein. Und stolz auf seine Klasse. Der Klassenkampf wurde ein Fremdwort und "die da oben" waren auf einmal sehr nahe. Die Genossen in der Regierung drehten an den Schrauben des Sozialstaates, setzten auf Konsum, Leistung und Statussymbole. Und der Simmeringer erkannte sich nicht mehr wieder, in der Partei, die er jahrzehntelang seine politische Heimat nannte. Seinen Frust brachte er am 11. Oktober 2015 zum Ausdruck.
Seit dieser Wien-Wahl stellt mit Paul Stadler zum ersten Mal ein Freiheitlicher den Bezirkschef. Ein Schock für die Genossen. 401 Stimmen haben sie den Sieg gekostet. Ein Verlust, den viele Simmeringer Sozialdemokraten bis heute nicht überwinden können.
"Die ersten drei Monate waren sehr fremd für mich. Ich musste mich bemühen, nach außen zu überzeugen. Ich hoffe, man hat es mir nicht so sehr angesehen", sagt Peter Kriz. Fünf Jahre lang hat er den ersten Bezirksvorsteherstellvertreter gestellt. Hatte mit seinem Generalschlüssel Zugang zum gesamten Amtshaus am Enkplatz, konnte sich aussuchen, in welchem Zimmer er mit seinen Kollegen konferierte, durfte so viel kopieren, wie er wollte und hatte Einblicke, von denen er heute nicht einmal zu träumen wagt. Er war Teil des Machtapparats. Nun ist seine Welt im Amtshaus auf 25 Quadratmeter zusammengeschrumpft. Als zweiter Bezirksvertreterstellvertreter ist der 69-Jährige auf den Informationswillen des blauen Bezirkschefs und seiner ersten Stellvertreterin angewiesen.
"Wir mussten alles von Grund auf aufbauen und die Möglichkeiten schaffen, dass wir schnell reagieren konnten und dass unsere Leute vor den Sitzungen rechtzeitig alle Unterlagen haben", erklärt Kriz. Auch die Kontakte zu den eigenen Gemeinderäten im Rathaus mussten erst hergestellt werden. Früher war er auf ihre Hilfe nicht angewiesen. Schließlich gehörten sie zu den Machern. Man war Goliath. Nun als David muss man anklopfen, bittstellen und netzwerken. Opposition ist harte Arbeit. Kein Apparat, der einen versorgt. Kein Antrag, der ohne Wenn und Aber einfach mal so bestätigt wird, weil man ohnehin die Mehrheit stellt.
"Es hat mindestens ein Jahr gedauert, bis es in ihren Köpfen angekommen ist: Unsere Anträge gehen nicht mehr automatisch durch, weil wir die Mehrheit nicht mehr haben. Es hat wirklich Fälle gegeben, da waren alle Fraktionen gegen die Roten, wo sie verdutzt geschaut haben", erzählt Wolfgang Kieslich, Simmeringer ÖVP-Obmann. "Erst dann haben sie gesehen, dass sie mit den anderen Fraktionen sprechen müssen. Nur zu sagen, wir wollen das, reicht einfach nicht mehr."
Heute muss die Simmeringer SPÖ auf ihre Gegner zugehen. Ihre Anträge konkretisieren, ihre Kosten genau aufstellen und Businesspläne herzeigen. Abnicken ist nicht mehr. Diese Zeiten sind vorbei. Umerziehen musste man die Genossen. Sie zu wahren Demokraten machen.
Demütigende Anbiederung an die Freiheitlichen
Mit 25 Mandataren stellt die SPÖ hinter der FPÖ mit 26 Mandataren, die größte Fraktion im Bezirksparlament. Vor ein paar Monaten ist ein FPÖ-Mandatar aus der blauen Fraktion ausgetreten. Er wildert nun als Freier herum. Das bedeutet: Parität.
Doch anstatt diese Situation zu ihren Gunsten zu nützen und sich als klare Alternative zum blauen Bezirkschef zu positionieren, würden sich die Bezirksgenossen den Freiheitlichen anbiedern, meint Patrick Zöchling, der grüne Bezirksparteiobmann: "Da ist eine irre demütigende Anbiederung an die FPÖ in gesellschaftspolitischen Dingen, weil sie sich einbilden, rot-blaue Wechselwähler zurückzugewinnen, wenn sie auch so rassistisch und ausländerfeindlich sind. Gleichzeitig verlieren sie sich in effekthaschender Pseudokritik und stimmen beispielsweise gegen Hundezonen, um den Blauen eins auszuwischen."
Karrieristisches Kalkül brachte Hochburg zu Fall
Parität. Dieses Wort gefällt Harald Troch. Bestätigt es doch seine Interpretation des Wahlergebnisses vor drei Jahren. "Simmering ist nicht blau", sagt er. Der Nationalratsabgeordnete ist Vorsitzender der SPÖ Simmering. Und weigert sich partout, die Niederlage von 2015 anzuerkennen. "Es steht 25 zu 25 Mandataren", sagt er. Und was seien schon 401 Stimmen. 401 Stimmen machen die SPÖ noch lange nicht zur Opposition.
Troch gilt als Wildcard in der SPÖ. Hinter vorgehaltener Hand machen ihn viele Genossen für die Niederlage im Bezirk verantwortlich. Während er nach der Wahl auf die eigene Stadtpartei schimpfte, ihren laxen Umgang in der Flüchtlingsfrage und ihre Zugeständnisse an den grünen Koalitionspartner für Simmerings Niederlage verantwortlich machte, begründen seine internen Kritiker vor allem seinen Zug zur Macht als größten Faktor für den Fall der roten Hochburg. So beschloss er 2014, die amtierende Bezirkschefin Renate Angerer durch das politische Leichtgewicht Eva-Maria Hatzl zu ersetzen und sie den Wahlkampf bestreiten zu lassen. Eine Wahl, die sie dann gegen Paul Stadler verlor. Er begründet seine damalige Entscheidung mit dem Parteistatut, das zum damaligen Zeitpunkt einen Abgang mit 65 Jahren vorsah. Angerer war zu diesem Zeitpunkt bereits 66 Jahre alt.
Autoritär würde Troch in der Bezirkspartei herrschen, aus karrieristischem Kalkül den eigenen Bezirk regelrecht in Geiselhaft nehmen, um sich als Stadtrat in Position zu bringen. Er selbst bestreitet das. Troch gilt als vehementer Unterstützer von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und gab mehr als einmal zu Protokoll, dass er ihn sich als zukünftigen Wiener Bürgermeister gut vorstellen könnte. Nicht umsonst, bringt er ihn auch immer wieder in den Bezirk. So auch bei einem Treffen des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands im "Harrys Augustin Weinkeller" in der Kaiserebersdorfer Straße. Knapp 60 Männer und Frauen haben sich an diesem Mittwochabend versammelt.
Bei Spritzwein und Schnitzel wird diskutiert, "wie das Geld nach Simmering kommt." Stargast des Abends ist Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. "Ludwig ist ein Brückenbauer. Ein Pragmatiker. Der ideale Bürgermeister. Er wird die Partei einen", sagt Harald Troch.
Zweieinhalb Stunden hören ihnen die Gäste konzentriert zu. Es ist eine rote heile Welt. Das Amtshaus ist weit weg. Der blaue Bezirkschef kein Thema. Selbst realpolitisch nicht. Wozu hat man denn auch die eigene Partei im Rathaus sitzen? Was auf Bezirksebene nicht klappt, wird eine Ebene darüber verhandelt, ohne blauen Bezirkschef.
Paradebeispiel war das bei der Straßenbahnverlängerung des 71ers. Schon unter roter Regentschaft wurde die Erweiterung der Linie beschlossen. Als die FPÖ plötzlich den Bezirksvorsteher stellte, gaben die Wiener Linien bekannt, dass kein Bedarf für einen Ausbau der Linie bestehe. Ein paar Unterschriftenlisten später gab es nun doch Bedarf. Die Lösung: Der 71er wird verlängert, die Straßenbahnlinie 6 dafür bis zum Enkplatz verkürzt. Für die Zwischenstrecke soll es eine spezielle Shuttle-Bim geben. Fotografiert für die Bezirkszeitungen, um die frohe Kunde unter das Volk zu bringen, wurde die verantwortliche Stadträtin Ulli Sima mit ihren Parteigenossen Harald Troch und Peter Kriz. Keine Spur vom FPÖ-Bezirksvorsteher Paul Stadler.
Dieser nimmt die Situation gelassen. "Die Leute sehen das. Das schadet nicht mir. Das schadet der SPÖ", sagt er. Er freut sich über das schizophrene Verhalten der politischen Konkurrenten. Im Auftritt inszenieren sie sich noch als Macher. Keine Grußworte bei Veranstaltungen. Keine Kenntnisnahme seiner Person bei Festakten. Keine aggressive Präsenz im Bezirk. Wozu auch? Schließlich steht es 25:25 im Bezirksparlament. An diese Erzählung klammern sich viele Genossen.
Von roter Aufholjagd ist nichts zu bemerken, meint Stadler. Zu traumatisiert scheinen die Sozialdemokraten in Christian Kerns Heimatbezirk noch zu sein von dem Verlust. Oder verblendet.
So oder so kann der blaue Bezirkschef seinem Parteiobmann Heinz-Christian Strache nur so eine SPÖ auch auf Bundesebene in der Opposition wünschen.