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Egal wie der Streit zwischen Christian Kern und der SPÖ ausgeht: Alle werden dabei verlieren.
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Wien. In diesen Tagen ist Christian Kern viel unterwegs. Da ein Foto mit EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans nach einem Gespräch im kanadischen Montreal, tags darauf mit dem kanadischen Prime Minister Justin Trudeau und zuletzt ein Selfie mit "meinem Freund" Matteo Renzi auf einem Balkon, im Hintergrund die römische Stadt in die Dunkelheit der Nacht gehüllt. "Wer an die europäischen Grundwerte denkt", schreibt Kern auf der bunten Bilderapp Instagram, der "muss sich engagieren". Die Frage ist: Wie lange wird er das noch können?
Für Kern ist ein Jahr nach dem Verlust des Kanzleramts an Sebastian Kurz wieder Wahlkampf, diesmal geht es für ihn um Europa, aber er verläuft schon jetzt so, wie der vorhergehende aufgehört hat: unglücklich und selbstschädigend. Für Kern und die SPÖ.
Kerns übereilter Abgang vor nun mehr als zwei Wochen sorgt für Ungemach unter den Sozialdemokraten. Von seinen Plänen, als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten in die Europawahl zu gehen, wusste nur ein enger Kreis. Aus diesem drangen auch die internen Informationen an die Öffentlichkeit. Nicht aus Wohlgefallen - im Gegenteil. Man schadete Kern bewusst, indem man nicht seine Kandidatur, sondern gleich seinen Rückzug ankündigte.
Statt eines geordneten Übergangs für Kerns Nachfolgerin und Wunschkandidatin Pamela Rendi-Wagner folgten Tage der Intrigen und der Selbstzerstörung, eine Woche voller Chaos, die in der allzu fehleranfälligen Ära Kern in der SPÖ beinahe schon zur Gewohnheit geworden ist.
Ein vollmundiger Vorstoß
Inzwischen ist es ruhiger um den Zwist zwischen den Genossen geworden. Zumindest nach außen hin. Innerhalb der roten Parteigemäuer brodelt es nach wie vor. Da wird weiter übereinander gemault, werden despektierliche Geschichten über den Boulevard lanciert, in denen Kern nur noch als "Klotz am Bein" der Partei abgetan wird. Manche in der SPÖ stellen aber auch offen und ehrlich die Frage, auf die sie keine Antwort finden: Wie geht es weiter mit Kern?
Am Montag wird Rendi-Wagner, die über beste Umfragewerte verfügt, jedenfalls auch den Klubvorsitz übernehmen. Daran wird nicht mehr gerüttelt. Das haben inzwischen selbst die größten Kritiker der vergangenen Wochen unisono eingesehen, dass sie nun Rückendeckung braucht. In dieser Situation müssten die Parteigenossen nun eine Unterstützung sein und nicht noch mehr Probleme bereiten als ohnehin schon.
Unsicherer wird innerparteilich die Zukunft der Personalie Kern gesehen, die auch am Sonntag bei der Präsidiumsklausur sicher Thema sein wird. Die übereilte Vorwärtsstrategie, nicht nur die heimische, sondern auch die Europäische Sozialdemokratie als Spitzenkandidat anzuführen, und Letzteres sogar als Begründung für die übereilte Kandidatur anzugeben, war vollmundig. Der Top-Job für Kern ist alles andere als sicher. Der Niederländer Frans Timmermans, bisher immerhin erster Vizepräsident der EU-Kommission, gilt eigentlich als Favorit. Das dürfte Kern inzwischen auch so sehen. Er tritt bereits den Rückzug an: "Es ist nicht unbedingt mein Ziel, Spitzenkandidat zu sein", sagte Kern kürzlich in der "ZiB 2".
Offiziell gehen die Parteispitzen davon aus, dass Kern als SPÖ-Spitzenkandidat bei der Europawahl antritt. Hinter vorgehaltener Hand wollen das einige noch nicht so recht glauben - vielmehr wird damit spekuliert, dass ihn der Verrat aus den eigenen Reihen, die Kritik der Boulevardpresse und die doch sehr fernen Spitzenjobs in Brüssel womöglich dazu bewegen, doch noch alles hinzuschmeißen. "Das mit dem Glaskinn und Prinzessin stimmt ja alles", erzählt man sich im SPÖ-Pavillon am Heldenplatz.
Kern in der Boulevardpresse
Der Boulevard und die Wiener Genossen bauen bereits eine Kern-Alternative für die Europawahl auf: den erst kürzlich von Rendi-Wagner abmontierten Klubobmann Andreas Schieder.
Eine Zukunft in Brüssel war für Schieder zunächst nicht erreichbar. Nach der aussichtslosen und letztlich verlorenen Kampfabstimmung gegen den neuen Chef der Wiener Genossen, Michael Ludwig, wurden aber die Gerüchte lauter, dass Schieder als SPÖ-Spitzenkandidat bei der Europawahl antreten könnte. Ludwig selbst soll ihn bestärkt haben, dies zu tun. Mit zugesagter Unterstützung der Wiener Genossen. Als langjähriger außenpolitischer Sprecher der SPÖ verfügt Schieder über Kontakte ins Ausland.
Kern kam Schieder aber mit seiner unrühmlichen Kandidatur in die Quere, dessen Nachfolgerin Rendi-Wagner verdrängte Schieder dann auch noch vom Klubvorsitz. Da bleibt viel Raum für Ärger. Auch weil die Rochaden mit der einflussreichen Wiener Landespartei nicht abgesprochen waren.
Auch die Gewerkschaft ist sauer, dass Kern mit seiner Bruchlandung die erste ÖGB-Konferenz für Kollektivverträge und den "heißen Herbst" bei den Lohneverhandlungen abgeschossen hat. Auch dass Kern der Regierung mit seinem 12-Stunden-Vorschlag in seinem Plan A der Regierung für ihre Pläne eine unmoderierbare Steilvorlage lieferte, sorgt in der Gewerkschaft immer noch für Stunk.
Im vergangenen Parteivorstand soll Kern bereits nahegelegt worden sein, sein Mandat im Nationalrat nach dem Parteitag im November niederzulegen. Dagegen soll sich der Ex-Kanzler aber wehren - noch.
Kern tritt gewissermaßen einmal mehr gegen seine eigene Partei an und ist schon jetzt eine ordentliche Hypothek für die neue Oppositionsführerin Rendi-Wagner, deren erste unangenehme Aufgabe es ist, diesen offenen Streit zu befrieden. Aber egal wie dieser endet, es wird, zumindest kurzfristig, nur Verlierer geben.
Die bessere schlechte Option
Nicht wenige in der Partei legen Rendi-Wagner nahe, sich von ihrem "Erfinder" loszusagen. Einerseits, um die Attacken der Wiener zu kalmieren. Andererseits, um zu verhindern, bis zur Europawahl im Mai 2019 monatelang hinter Kerns Schatten zu verschwinden, sollte er tatsächlich antreten. In ihrem ersten "ZiB 2"-Interview als Parteichefin hat sie sich bereits etwas distanziert: "Weil ich nicht Christian Kern bin."
Tritt Kern nicht an, stößt er die SPÖ ebenso vor den Kopf. Zumal sich die Sympathiewerte des Ex-Kanzlers innerparteilich wie in Umfragen zwar im Sturzflug befinden, Kern aber nach wie vor über mehr Zugkraft verfügt als alle kolportierten EU-Alternativkandidaten à la Schieder.
Zumindest in manchen Landesparteien ist man noch überzeugt, dass die Basis für Kern laufen würde. In der Gewerkschaft ist Gegenteiliges zu hören.
Rendi-Wagner steht vor einem Dilemma. Sie hat die Wahl zwischen zwei für die SPÖ schlechten Varianten. Für die aus ihrer Sicht bessere wird sie sich zeitnah entscheiden müssen.