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"Rotes" Unions-Wochenende in Pörtschach

Von Erika Bettstein, Pörtschach

Europaarchiv

Der kurzfristig angesetzte Besuch von Palästinenserpräsident Yasser Arafat rückt das informelle EU-Gipfeltreffen der 15 Staats- und Regierungschefs am Wochenende im Kärntner Pörtschach in den | Blickpunkt des weltweiten Interesses. Ein Mittagessen der · mit dem künftigen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder · insgesamt 11 sozialdemokratischen Regierungschefs vor Beginn der EU- | Arbeitssitzungen drehte sich vor allem um das Thema Beschäftigung, und Europaparlaments-Präsident José Maria Gil-Robles warnte zum Auftakt des Gipfels vor der Ernennung eines "Mr. GASP" und schlug | für mehr Bürgernähe ein neues Finanzierungssystem der Union vor.


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In seiner Rede stellte Gil-Robles fest, daß nur eine Stärkung des parlamentarischen Modells die Bürgernähe der Europäischen Union verbessern könne. Dazu müsse sich die EU-Kommission zu einer

wirklichen Regierung der Union entwickeln und der Rat auf sichtbare Weise seine legislative Tätigkeit von seiner Rolle als EU-Staatschef trennen. Die Verträge sollten klar bestimmen, welche

Kompetenzen der EU zustünden, Debatten über Subsidiarität will Europas Parlamentspräsident "den Politikwissenschaftern überlassen". Die Vertragstexte sollten jedenfalls so formuliert werden, daß sie

auch "der Normalbürger" verstehen könne.

Europasteuer für mehr

Bürgernähe

Dem "Teufelskreis der Diskussionen zwischen den Mitgliedsstaaten" darüber, "wer mehr zu zahlen hat und wer weniger", will Gil-Robles entkommen, indem er eine "Europasteuer" vorschlägt: Statt der

bisher üblichen Mitgliedsbeiträge sollte ein System der Finanzierung eingeführt werden, daß sich unabhängig von der jeweiligen Nationalität am persönlichen Einkommen bemißt. Ein direkter EU-Beitrag

aus den nationalen Lohn-und Kapitalertragssteuern könne die Union den Bürgern näherbringen. Die Steuerlast solle dadurch aber nicht erhöht werden.

Das europäische Sozialmodell bezeichnete Gil-Robles als unverzichtbar, auch die Erweiterungskandidaten müßten Sozialstandards festigen, um massive Zuwanderungen zu verhindern. Im internationalen

Handel sollten soziale Mindeststandards Teil der EU-Politik werden.

Um zu verhindern, daß die EU-Mitgliedsstaaten in Sachen Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) "weiterhin im Schlepptau der USA agieren", wäre es verfehlt, nur "eine Frau oder einen Herrn

GASP" nach einem "wenig demokratischen Verfahren und ohne parlamentarische Kontrolle" zu ernennen. Dies würde das langsame und schwerfällige System nur noch komplizierter gestalten und bedeuten, daß

die EU in Krisenfällen wie Bosnien oder dem Kosovo weiterhin "zu spät komme". Dementgegen müßten die Grundlagen für eine Integration der WEU in die Union geschaffen werden.

"Linke" Vorberatungen

der SPE-Staatschefs

Im Parkhotel Pörtschach berieten die SPE-Regierungschefs bei einem Mittagessen über die europäische Agenda mit dem Hauptthema Beschäftigungspolitik. Als Gastgeber fungierte der Präsident der

Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), Deutschlands künftiger Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Mit dem designierten deutschen Bundeskanzler Schröder, der beim Gipfel eine mit seinem

Amtsvorgänger Helmut Kohl akkordierte Erklärung abgeben wird, und Italiens neuem Premierminister Massimo D'Alema sind die EU-Regierungen deutlich linksdominiert, in Luxemburg und Belgien sind die

Sozialdemokraten in Regierungskoalitionen. Nur in Spanien und Irland sind bürgerliche Alleinregierungen an der Macht.

Das eigentliche informelle EU-Gipfeltreffen begann am späteren Samstag nachmittag mit Schlüsselreferaten des britischen Premierministers Tony Blair zum Thema GASP, des niederländischen

Ministerpräsidenten Wim Kok über wirtschaftliche Stabilität und Beschäftigungspolitik und des spanischen Premiers José Maria Aznar über die innere Sicherheit in der Union.

Ratsvorsitzender Bundeskanzler Viktor Klima erwartet sich vom Pörtschacher Gipfel "Weichenstellungen" für die Zukunft der EU-Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sicherheitspolitik. Formelle Beschlüsse

werden bei diesem Gipfel allerdings nicht gefaßt.

Palästinenserpräsident Arafat traf am Samstag Nachmittag in Begleitung von Vizekanzler Außenminister Wolfgang Schüssel in Pörtschach ein. Arafat informierte die EU-Staats- und Regierungschefs über

die Ergebnisse des Treffens in Wye Plantation, wo er am Freitag ein Abkommen mit Israels Premier Benjamin Netanyahu unterzeichnet hat.