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Michael Häupl im Doppelpass mit der "Krone". | Volkspartei spricht von "Wahlkampf-Gag". | Wien. "Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt. Mit mir als Verteidigungsminister wird es kein Ende der Wehrpflicht geben." Also sprach Norbert Darabos am 3. Juli zur "Tiroler Tageszeitung". Rückendeckung erhielt er nicht zuletzt von Bundespräsident Fischer. | Kommentar: Die Wehrpflicht bleibt | Das Zeitfenster für ein Berufsheer schließt sich ab 2012 | Rückzugsgefecht des Pflichtheeres
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Am Dienstag klang das Bekenntnis des Verteidigungsministers schon vager, aber da hatte auch bereits - mit expliziter Unterstützung von Kanzler Werner Faymann - Wiens wahlkämpfender Bürgermeister Michael Häupl recht unverblümt das Ende des Grundwehrdienstes via "Kronen Zeitung" gefordert. Diese hatte in den Wochen zuvor eine Kampagne gegen die Wehrpflicht geführt.
"Ich gehe davon aus, dass die Wehrpflicht in Österreich nicht zu halten ist", präzisierte Häupl, um gleich pflichtschuldig für die rote Seele anzufügen: "Unabhängig von persönlichen Wünschen." Dazu muss man wissen, dass die Wehrpflicht in der SPÖ bis vor kurzem quasi Dogma-Status innehatte. Verantwortlich dafür war das Trauma des Bürgerkriegs 1934, als das damalige Berufsheer auf Geheiß der Ständestaat-Regierung gegen die Sozialdemokratie eingesetzt wurde.
Seitdem galt die Partei als Gegner eines Berufsheeres und die Wehrpflicht als Garant dafür, dass Soldaten nicht noch einmal auf das eigene Volk schießen. Diesen historischen Bedenken erteilte Häupl nun mit dem Satz "Wir leben nicht 1934" eine schnörkellose Absage.
1999 waren SPÖ und ÖVP bereits so weit
Damit gerät die SPÖ aber in Widerspruch zum Arbeitsübereinkommen der Regierung, in dem die Wehrpflicht explizit festgeschrieben ist. Als Außenminister Michael Spindelegger vor Wochen - und ebenfalls in der "Krone" - laut über ein mögliches Ende der Wehrpflicht nachgedacht hatte, rechtfertigte die SPÖ ihr Nein unter anderem mit dem geltenden Koalitionsvertrag. Um allerdings der Wahrheit die Ehre zu geben: So weit war die SPÖ bereits 1999. Damals - es herrschte zufällig ebenfalls Wahlkampf - versprachen SPÖ und ÖVP den Wählern die Abschaffung der Wehrpflicht. Statt der Fortsetzung von Rot-Schwarz kam jedoch Schwarz-Blau und die SPÖ trat den Gang in die Opposition an. Die Wehrpflicht blieb.
Aber auch diesmal wird in Sachen Abschaffung der Wehrpflicht nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Für Häupl ist die Mission erfüllt: Das Thema ist in der heißen Phase der zunehmend öden "Schlacht um Wien" gesetzt, um das weitere Vorgehen müssen sich andere kümmern.
Zum Beispiel der Verteidigungsminister. Und Darabos hat es mit der Frage einer Volksbefragung verständlicherweise alles andere als eilig. Zunächst einmal müssen die Arbeiten an einer neuen Sicherheitsstrategie für Österreich beendet werden, die seit Jahresbeginn laufen und ein möglichst ganzheitliches Konzept für die innere und äußere Sicherheit des Landes zum Ziel haben.
ÖVP-Kritik am Stil, weniger am Inhalt
Beim Koalitionspartner ÖVP stößt man sich vor allem an Form und Stil der Häupl-Initiative - zu offensichtlich steht der Wiener Wahlkampf als Movens im Hintergrund. Vizekanzler Josef Pröll zeigte sich überrascht, dass sich Häupl ein paar Tage vor der Wahl mit der Wehrpflicht beschäftige, obwohl er viele andere Fragen, wie etwa Integrationsprobleme, zu lösen hätte. Für Klubchef Karlheinz Kopf ist das Ganze ohnehin ein "Wahlkampf-Gag". Und Spindelegger fragt sich ob des plötzlichen Schwenks von Darabos, ob dieser nicht in zwei Wochen auch für einen Nato-Beitritt eintrete. Inhaltlich hätte man bei der ÖVP weit geringere Probleme mit einem möglichen Aus der Wehrpflicht.
Die Grünen begrüßen die Schwenk der SPÖ, die FPÖ ist zwar für die Beibehaltung der Wehrpflicht, hat aber kein Problem mit einer Volksabstimmung. BZÖ und Grüne wollen die Wehrpflicht abschaffen und brachten einen Initiativantrag im Parlament für eine Volksbefragung ein. Harsche Kritik kommt dagegen von der Offiziersgesellschaft.
Chronologie
1.August 1952: Gründung der "Bereitschafts-Gendarmerie" als Vorläufer des Bundesheeres. Das von den Alliierten erlassene Verbot militärischer Aktivitäten wird erst nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 aufgehoben.
7.September 1955: Verabschiedung des ersten Wehrgesetzes inklusive allgemeiner Wehrpflicht. Die ordentliche Präsenzdienstzeit beträgt neun Monate.
4.März 1969: Verordnung über die freiwillige Verlängerung des Grundwehrdienstes um drei bis 15 Monate.
1.August 1971: Der Grundwehrdienst wird auf sechs Monate verkürzt. Inklusive zusätzliche Truppenübungen dauert der Wehrdienst aber acht Monate.
1.Jänner 1975: Einführung des achtmonatigen Zivildienstes als Wehrersatzdienst inklusive "Gewissensprüfung" durch eine Kommission. Bis dahin bestand nur die Möglichkeit der Wehrdienst-Verweigerung.
10. Juni 1975: Aufnahme der Wehrpflicht in die Bundesverfassung.
1.Jänner 1992: Die Gewissensprüfung für Zivildiener wird abgeschafft, der Zivildienst auf zehn Monate verlängert. Weil die Zahl der Zivildiener stark steigt, wird der Wehrersatzdienst weiter verlängert: 1994 auf elf Monate und 1997 auf zwölf Monate.
1.Jänner 2001: Eine Novelle zum Wehrgesetz ermöglicht Frauen die Ableistung von freiwilligen Waffenübungen, Funktionsdiensten sowie Milizarbeit.
1.Jänner 2006: Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate.
2010: Angesichts des Plans zur Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland intensive Debatte auch in Österreich.