SPD-Chef plädiert angesichts Querelen in der Union für Neuwahlen.
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Berlin. Händeschütteln, freundliches Lächeln für die Kameras, Dank und Anerkennung des Bundespräsidenten für die geleistete Arbeit. Die Übergabe von Entlassungsurkunden an Minister ist ein eingespielter Vorgang. Von der gelassenen Stimmung dürfte am Dienstag wenig übrig bleiben, wenn Staatsoberhaupt Joachim Gauck den bisherigen Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) offiziell verabschiedet - pikanterweise wohl auch in Anwesenheit von Angela Merkel. Die Kanzlerin hatte ihren Parteifreund vergangenen Mittwoch nach dessen Niederlage als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen unsanft vor die Tür gesetzt.
Röttgen mutiert derzeit zum angeschlagenen Boxer im Berliner Polit-Ring, der aber Kraft für entscheidende Angriffe und Treffer gegen seine Gegnerin Merkel hat. Er unterstellt der Kanzlerin nicht weniger als eine Täuschung der Wähler. Über die "Bild-Zeitung" ventilierten Vertraute des geschassten Ministers, Merkel habe ihm vor der Landtagswahl versichert, selbst bei einer Niederlage weiter in Berlin die Energiewende vorantreiben zu können. Röttgen solle aber im Wahlkampf behaupten, auch nach einer Niederlage in den Düsseldorfer Landtag einzuziehen. Seine Weigerung war ein Grund für das Wahldebakel der CDU, die mit 26 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten einfuhr.
Vertraute Merkels holten am Montag zum Gegenschlag aus und warnten vor weiteren öffentlichen Abrechnungen: "In der Union kann jeder seine Meinung sagen. Vor allem für uns, die wir Verantwortung tragen, muss aber gelten: Zuerst kommen das Land und die Menschen, dann erst die Partei und ganz zum Schluss komme ich", sagte Fraktionschef Volker Kauder.
Das Zerwürfnis zwischen dem früheren Umweltminister und Merkel könnte die Konservativen noch Monate beschäftigen. Der gefallene Jungstar der CDU ist noch bis zum Parteitag im Dezember Vize-Vorsitzender und erster Stellvertretender seiner neuen Erzfeindin Merkel. Auf sein Abgeordnetenmandat in Berlin verzichtet er nicht, Röttgens Vertraute stellen sogar seine Wiederkandidatur für die Bundestagswahl 2013 in Aussicht.
Merkels Minister mauern
Der entlassene Minister hat nicht mehr viel zu verlieren und muss keine Rücksicht auf die Kanzlerin nehmen. Für Merkel geht es dagegen um alles: Sie muss eine Beschädigung ihrer Person unbedingt abwenden, will sie eine Chance auf die dritte Kanzlerschaft haben. Minister machen ihr bereits die Mauer: "Für eine Kanzlerin darf es am Ende nur darauf ankommen, was das Beste für das Land ist", rechtfertigte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen im "Spiegel" die Entlassung ihres Kollegen Röttgen. "Wenn die Bundeskanzlerin kein Vertrauen mehr hat, dass ihr zuständiger Minister ein vitales Projekt wie die Energiewende noch managen kann, dann muss sie so handeln." Nach der Fukushima-Katastrophe galt Röttgen als "grünes Gesicht" der Energiewende innerhalb der Koalition, nun werden ihm Versäumnisse gerade in diesem Bereich angelastet. EU-Energiekommissar Günther Oettinger deutete an, dass Röttgen auch habe gehen müssen, weil er in der Energiewirtschaft keinen Rückhalt gefunden habe. Auch das Scheitern Röttgens, eine Senkung der Solarförderung im Bundesrat durchzusetzen, könne eine entscheidende Rolle gespielt haben, sagte Oettinger der "Welt".
Zufriedenstellen kann diese Erklärung nicht die politische Heimat Röttgens, den CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen. "Das entspricht nicht meinen Vorstellungen, wie man miteinander umgeht", zürnte Ex-Vorsitzender Norbert Blüm. Zudem gibt es nach dem Rücktritt Röttgens mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla nur mehr einen Nordrhein-Westfalen in gewichtiger Position im Kabinett Merkels.
Genüsslich verfolgen die Sozialdemokraten die CDU-internen Querelen. Parteichef Sigmar Gabriel forderte gar Neuwahlen und richtete Merkel fehlenden Mut dazu aus. Auf diese müsste aber auch die SPD bang blicken: Noch fehlt ein Spitzenkandidat, in Umfragen liegt sie weit hinter der CDU und die rot-grüne Wunschkoalition wäre ohne Mehrheit.