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Ruanda: Darling oder Bully?

Von Gastkommentar von Leo Stollwitzer

Gastkommentare

Das kleine afrikanische Land hat den Bürgerkrieg mit Erfolg aufgearbeitet.


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Knapp 20 Jahre nach dem Völkermord zwischen Hutus und Tutsis ist das kleine ostafrikanische Land Ruanda zum Darling der internationalen Entwicklungshilfe- und Investment-Community mutiert. Das frühere Bürgerkriegsland besticht durch effiziente Verwaltung, moderne Straßen- und IT-Infrastruktur, zügige Aufarbeitung des Genozids und eine moderne Hauptstadt mit beinahe westlicher Lebensqualität. Zudem lebt Ruanda seit Jahren die von westlichen Geldgebern geforderte "Inclusiveness" - also Partizipation von Frauen in Politik. Mit derzeit 56 Prozent weiblichen Abgeordneten im Parlament in Kigali ist Ruanda weltweit führend.

Doch das Land droht durch zunehmend autoritäre Regierungsführung und wiederholtes militärisches Bullying im instabilen Ost-Kongo seine Förderer zu vergrämen. Dies könnte eine konstruktive Rolle bei den fragilen Friedensverhandlungen mit den von Ruanda unterstützten M23-Rebellen verhindern.

Woher rührt der bemerkenswerte wirtschaftliche Erfolg Ruandas nach der Stunde Null im Jahr 1994? Zunächst hat es die internationalen Hilfsgelder effizienter und weniger korruptionsanfällig eingesetzt als viele andere afrikanische Zielländer. Mit Rang 49 im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International rangiert es vor den EU-Ländern Slowakei, Lettland und Italien! Bezeichnend ist auch, dass kein anderes Land in Afrika (außer Senegal) laut Weltbank zuletzt die Kindersterblichkeit so dramatisch senken konnte. Wie groß die Herausforderungen dennoch sind, zeigt der hartnäckig niedrige Human Development Index von 0,434 -- ein Misch-Indikator aus Lebenserwartung, Einkommen und Bildung, auf dem Ruanda immer noch im unteren Drittel der Länder südlich der Sahara steht.

Eindrucksvolle makroökonomische Daten machen es jedoch weiterhin für internationale Investoren attraktiv: Das Wirtschaftswachstum von 8,8 Prozent 2011 hat sich trotz Krise 2012 nur marginal auf 7,7 Prozent verlangsamt und wird trotz globaler Wirtschaftsflaute auch 2013 immer noch über 5 Prozent liegen. Ruandas Position im Weltbank-Ranking der unternehmerfreundlichsten Länder (Ease of Doing Business Index) verbesserte sich 2012 auf Platz 52. Kein anderes Land in Afrika hat zuletzt so einen Sprung nach vorn geschafft. Und Präsident Paul Kagame versucht, Ruanda zu einer Art "Information Hub" zu entwickeln, indem IT-affine Dienstleistungsindustrien, vor allem Mobiltelefonie, gefördert und ausgebaut werden.

Funktionierende Versöhnungspolitik

Aus regional-strategischen und wirtschaftspolitischen Überlegungen beschloss Ruanda in einer bemerkenswerten kulturellen Volte 2008, seine aus belgischen Kolonialzeiten stammende Verkehrssprache Französisch durch Englisch zu ersetzen. Längst sind Großbritannien und die USA die weitaus größten Geldgeber des Landes. Überdies ist Englisch die Lingua Franca in den meisten Nachbarländern und dient so als Integrationsmotor für die angestrebte East African Community - eine Wirtschaftsgemeinschaft in der Region nach EU-Vorbild. Insider sehen Ruandas Abkehr von der "Frankophonie" aber auch als späte Reaktion auf Frankreichs umstrittene Rolle während des ruandischen Genozids 1994.

Internationaler Goodwill wurde auch durch anerkannte Versöhnungspolitik nach dem Genozid aufgebaut, was etwa reges Besucherinteresse am 2004 eröffneten "Genocide Memorial Museum" in Kigali belegt. Ruanda hat bei der gerichtlichen Verfolgung der Täter jedenfalls Bemerkenswertes geleistet. Laut BBC Africa wurden in "Gacaca Courts" - eigenen Gerichtstribunalen in Dörfern - bisher rund zwei Millionen Täter zur Verantwortung gezogen. Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf. Aufgrund Kagames extremer Auslegung der Genozid-Schuldfrage droht Kritikern dieser staatlichen Geschichtsschreibung eine Gefängnisstrafe, sollten sie diese Interpretation nicht vorbehaltlos teilen. So stand im Herbst 2012 die Oppositionspolitikerin Victoire Ingabire unter anderem wegen "Verleugnung des Völkermordes" vor Gericht, da sie ebendies hinterfragte.

Das moderne, ja sympathische Image Ruandas als prosperierendes Vorzeige-Land kollidiert in letzter Zeit mit der zunehmend anti-demokratischen Realität der ruandischen Politik Kagames. Zuletzt kritisierte Human Rights Watch zunehmende Menschenrechtsverletzungen. Trotz des harten Kurses wurde Ruanda 2012 für zwei Jahre als nicht-permanentes Mitglied in den Weltsicherheitsrat gewählt - was für das Land zweifellos weiteres internationales Prestige bedeutet.

Neuerliche regionale Machtpolitik

Kagame pokert hoch: Ende Oktober 2012 dokumentierte ein vertraulicher UNO-Bericht Ruandas (sowie Ugandas) angebliche Komplizenschaft mit den M23-Rebellen (Tutsi) in der benachbarten Provinz Nord-Kivu im äußerst instabilen und von rivalisierenden Rebellengruppen kontrollierten Ost-Kongo. Als Reaktion beschloss die EU, ihre Finanzhilfe von 380 Millionen Euro (2008 bis 2013) für Uganda teilweise einzufrieren. Kenner der Lage trauen Kagame sogar eine Annexion dieser Region um die landschaftlich wunderschönen Virunga-Vulkanberge nördlich des Lake Kivu zu. Im Herbst 2013 schien er auf internationalen Druck die Tutsi-geführten Rebellen jedoch endgültig fallen zu lassen, um seine Gönner nicht dauerhaft zu verärgern.

Doch Ruanda geht es nicht um die touristische Entwicklung der Region, sondern um die Nutzung der Rohstoffe in diesem Teil Kongos. Kritiker unken, Ruandas wirtschaftliche Prosperität basiere ohnedies zu einem erheblichen Teil auf der Ausbeutung dieser Rohstoffe mithilfe der verbündeten Tutsi-Rebellen ebendort. Das "Wall Street Journal" befürchtete kürzlich, die neuerlichen Kämpfe in den an Bodenschätzen reichen Kivu-Provinzen würden den Preis für seltene Erden wie etwa Tantalum (umgangsprachlich: Coltan), das in der Flugzeug- und Elektronikindustrie verwendet wird, weiter in die Höhe treiben. Dass die Erze ausschließlich über Schwarzmarktkanäle in den Westen gelangen, ist ein offenes Geheimnis.

Entsteht hier nach den "Blutdiamanten" (mit denen der Bürgerkrieg in Liberia zum Teil finanziert wurde) ein ähnliches Finanzierungssystem durch "Blutminerale"? Dies stünde in eklatantem Widerspruch zu den 2012 von der US-Börsenaufsichtsbehörde Security and Exchange Commission erstellten Regeln über den gesetzeskonformen Handel von "Konfliktmineralen."

Ruanda als innenpolitischer Stolperstein für Susan Rice

Militärisch ist dem kleinen Ruanda eine neuerliche massive Intervention im Ostkongo ohne weiteres zuzutrauen. Dort stehen seit Jahren 6700 UNO-Soldaten der Monusco. Doch diese konnten Ende 2012 nicht einmal den Vormarsch der M23-Rebellen auf Goma verhindern. Kenner der Situation fürchten, dass die UNO einer noch stärkeren Intervention Ruandas in diesem Teil Kongos nicht wirklich robust entgegentreten wird. Wie die britische Wochenzeitung "Economist" vermutet, könnte die internationale Gemeinschaft Kagames Machtstreben im Ost-Kongo nolens volens tolerieren, da die UNO seit ihrem skandalösen Nicht-Eingreifen in den Völkermord gegen die Tutsis 1994 in ihrer Glaubwürdigkeit schwer angeschlagen ist.

Schließlich argumentierten Analysten in US-Zeitungen wie der "Washington Post" oder "Foreign Policy", Ruanda hätte sich als einer von mehreren Stolpersteinen für die Ernennung der derzeitigen UNO-Botschafterin der USA, Susan Rice, als neue US-Außenministerin erwiesen. Da sich Rice als Washingtons seinerzeitige Chefdiplomatin für Afrika vorbehaltlos für Ruanda einsetzte, warfen ihr Kritiker angesichts Ruandas neuerlicher Interventionspolitik Blauäugigkeit und Einseitigkeit vor.

Eines steht fest: Ruanda und vor allem seine Hauptstadt Kigali widerlegen als eindrucksvolle Testimonials das weitverbreitete Klischee über die afrikanische Unfähigkeit, eine funktionierende Stadt, ein Land nach westlichen Standards aufzubauen und zu managen. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich dieses beeindruckende Bild westlich geprägter und wirtschaftlich prosperierender Urbanität in Kigali auf das gesamte Land überträgt - sofern Ruanda nicht weitere militärische Abenteuer im Ost-Kongo plant und dadurch den Goodwill vieler Freunde im Ausland weiter untergräbt.

Zur Person



Leo
Stollwitzer

Der Politikanalyst und Universitätslektor leitet seit 2008 mit seiner Frau ein Hilfsprojekt
für Straßenkinder in Uganda (www.hope-f-u-l.com).