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Rückbesinnung auf die Industrie

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

"Brauchen abgestimmte Politik und massive Investition in die Zukunft."


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Brüssel. In die nahe Zukunft ihrer Branche blickt die Industriellenvereinigung (IV) nur mit vorsichtigem Optimismus. Der beginnende Aufschwung in Österreich sei "fragil", es fehle an Nachfrage aus dem Ausland und an guten Bedingungen für Investitionen im Inland. Bei der Präsentation einer Konjunkturprognose in Wien kritisierte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer auch die Pläne der Regierung zur Sanierung des Budgets, wie die Einschränkung der Gruppenbesteuerung. Und den Vorschlag, Löhne über 500.000 Euro nicht mehr als Betriebsausgaben anzurechnen, hält die IV überhaupt für verfassungswidrig.

Doch auch auf europäischer Ebene mangle es an einer umfassenden Strategie für die Industriepolitik. Darüber sprach Neumayer kurz zuvor mit der "Wiener Zeitung" im Rahmen einer Konferenz des europäischen Industrieverbandes Businesseurope in Brüssel.

"Wiener Zeitung":Die EU-Kommission will eine "Renaissance der Industrie" ausrufen, doch diese war zuvor jahrelang kaum ein Thema für die europäische Politik. Fühlen Sie sich ignoriert?Christoph Neumayer: Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren etwas geändert. Um die Jahrtausendwende gab es die Debatte um die New Economy, und die alte galt als "uncool". Dazu kamen der Internet-Hype und die Diskussion darüber, ob wir nicht auf dem Weg in eine völlige Dienstleistungs-Gesellschaft sind. Doch nach 2008 gab es eine Rückbesinnung auf die Realwirtschaft und die Industrie. Das hat aber zu einem großen Teil bisher verbal stattgefunden. Auf die Worte müssten nun Maßnahmen folgen, um die Wirtschaft tatsächlich zu stärken.

Der industrielle Anteil in Europa ist allerdings auch im Vorjahr gesunken. Was ist schiefgelaufen? Ist nur die Politik daran schuld?

Es sind zum einen ökonomische Prozesse, wie die Globalisierung, die auch eine Reihe von Industriebranchen getroffen hat. Das andere ist ein Grundverständnis, das noch entwickelt werden muss: Eine gelungene Industrie- und Wirtschaftspolitik ist eine horizontale Politik, die in unterschiedlichen Feldern abgestimmt werden muss. Wir haben nicht mehr viel Zeit dafür.

Die EU-Kommission sieht das in ihren jüngsten Vorschlägen ähnlich.

Das Bewusstsein ist vielleicht schon da, aber wir sehen keine darauf abgestimmten Taten.

Fehlt es an einer breiten Strategie oder an konkreten Plänen?

Es geht vor allem darum, eine Balance zwischen den verschiedenen Anforderungen zu finden. Ein Beispiel: Österreich ist ein Hochlohn-Land, und wir bekennen uns auch zu unserem sozialen System. Dennoch müssen wir auf der anderen Seite das Gleichgewicht halten, um uns die Kosten leisten zu können. Oder Energieeffizienz und Klimaschutz-Ziele: Wir arbeiten laufend daran, aber Europa darf nicht als einsamer Vorreiter enden.

Bösartig interpretiert würde das bedeuten, dass die Industrie die Löhne kürzen und die Umwelt verschmutzen dürfen möchte.

Das Gegenteil ist der Fall. Die Löhne in der Industrie sind höher als im Servicesektor und sind durch Kollektivverträge abgesichert. Es sind attraktive Arbeitsplätze mit einer attraktiven Bezahlung. Und gerade in Österreich haben die Unternehmen bewiesen, wie gut Ökonomie und Ökologie kooperieren können. Wir haben hohe Umweltstandards; der energieeffizienteste Hochofen Europas steht in Linz. Die Frage ist aber, ob wir von diesem hohen Niveau aus noch weiter gehen können. Denn überzogene Klimaschutz-Ziele sind ökonomisch und ökologisch kontraproduktiv: Wir werden Arbeitsplätze und Wertschöpfung verlieren, während in anderen Erdteilen, wo der Klimapolitik ein geringer Stellenwert eingeräumt wird, alles in die Luft geblasen wird.

Was andererseits dazu beitragen kann, die Energiepreise niedriger als in Europa zu halten. Ist das eines der drängendsten Probleme für die europäische Industrie?

Es gibt mehrere Problembereiche. Der eine sind die Energiepreise, die wettbewerbsfähig sein müssen. Denn mit der Förderung von Schiefergas hat sich der Markt verändert. Der zweite Punkt ist die Bürokratie: Teilweise ist der Eindruck zu gewinnen, dass Unternehmen fast gequält werden durch regulatorische Voraussetzungen und deren Überwachung. Dabei gibt es auf nationaler Ebene oft umfassende Rahmenbedingungen, und das wird durch europäische Vorgaben dann noch verdoppelt.

Und dann gibt es auch noch das Problem der Arbeitslosigkeit. In den vergangenen Jahren sind in der Industrie fast vier Millionen Jobs verloren gegangen. Wie lassen sich wieder welche schaffen?

Auch dafür ist eine abgestimmte Politik nötig - und eine massive Investition in die Zukunft. Um mit hochwertigen Produkten zu bestehen, müssen wir verschiedene Bereiche fördern, darunter Infrastruktur sowie Bildung und Forschung. Die Kostenfaktoren wurden schon angesprochen, auch da gilt es, eine Balance zu schaffen.

Ist das ebenfalls eine Antwort auf die Herausforderung der hohen Jugendarbeitslosigkeit?

Bildung und Forschung auf jeden Fall. In Deutschland und Österreich hat sich zudem die duale Ausbildung als Mittel bewährt, die Jugendarbeitslosigkeit niedrig zu halten. Das ist ein herzeigbares Modell, das die Unternehmen zwar mehr kostet, aber mit dem wir gut leben können. Wir brauchen nämlich nicht nur Hochschulabsolventen, sondern auch Facharbeiter. Wir brauchen Qualifikationen auf allen Stufen.

Zur Person

Christoph Neumayer

1966 in Wien geboren, ist seit Frühjahr 2011 Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), für die er seit 1997 tätig ist. Zuvor war er ÖVP-Pressesprecher und ORF-Mitarbeiter.