Die jüngste PISA-Studie hat Österreichs Schulsystem vor allem in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" plädiert ÖVP-Wissenschaftssprecherin Gertrude Brinek, die Schule der gesellschaftlichen Realität anzupassen: "Dass zu Mittag zu Hause alle rund um einen Tisch sitzen, ist nicht mehr." Am Nachmittag solle der Schwerpunkt auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schüler gelegt werden.
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"Viele Männer sind darauf gekommen, dass Familie heute einfach anders ausschaut": Zumindest in dieser Hinsicht kann Brinek dem schwachen Abschneiden des heimischen Schulwesens etwas Positives abgewinnen. Innerhalb der Kanzlerpartei ÖVP sieht die Wissenschaftssprecherin insbesondere die "pragmatischen Modernisierer" nach dem Motto "man kann nicht gegen den Wind spucken" gestärkt, die "Bewahrer" des Bestehenden in die Defensive gedrängt.
Um der gesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen, müsse daher eine ganztägige Betreuung der Schüler sichergestellt werden. Dabei sollte am Vormittag die Schule ihre Kernaufgaben in Form des klassischen Unterrichts wahrnehmen und nachmittags die individuelle Betreuung je nach den Stärken und Schwächen der einzelnen Schüler im Mittelpunkt stehen. Letzteres jedoch strikt freiwillig, wie Brinek betont. Dieses zusätzliche Angebote am Nachmittag müsse auch nicht zwangsläufig von den Schulen selbst, sondern könnte ausgegliedert und etwa von Vereinen angeboten werden.
Dennoch will die VP-Politikerin nicht in "organisationsrechtliche Ablenkungsmanöver" vor der PISA-Realität flüchten: "Die innere Schulreform muss vor der äußeren kommen." Vor allem die Frage "wie generiert ein Land Lehrer-Studenten und Lehrer?" müsse neu gestellt werden. Dass hier nie nach der Eignung der Anwärter gefragt werde, "hat mit den Bildungsvorstellungen der 70er und dem freien Hochschulzugang zu tun". Brinek verweist dabei auf das ansonsten oft zitierte PISA-Musterland Finnland, wo von 5.000 Anwärtern auf ein Lehramtsstudium lediglich 700 über einen Etappenweg aufgenommen werden. Wenn über den freien Hochschulzugang diskutiert werde, müsse daher konsequenterweise "auch über ein Aufnahmeverfahren in den Schuldienst" gesprochen werden, will Brinek weg vom derzeitigen Verfahren über Wartelisten.
Dringender Handlungsbedarf ist beim Polytechnikum und den Berufsschulen gegeben, wo die Hälfte bzw. mehr als ein Drittel über keine ausreichende Lese-Kompetenz verfügen. Brinek plädiert hier für eine stärkere Verknüpfung beider Schultypen und sieht die Sozialpartner gefordert, die maßgeblich das duale Ausbildungssystem gestalten.
Auch die Lehrergewerkschaft will die VP-Politikerin nicht aus der Verantwortung entlassen: "Seit 30 Jahren klagen die Lehrer über ihr schlechtes Image und erwarten, dass es andere für sie verbessern."