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Die Mühen des Gipfels sind bewältigt, die Mühen der Ebene gilt es noch zu meistern. Zwei Tage nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der jetzigen und künftigen EU-Mitgliedsländer rücken wieder nationale Angelegenheiten in den Blickpunkt. Denn was die Verhandlungsteams der EU-Kandidatenstaaten in Dänemark errungen haben, müssen sie in ihren Ländern erst verkaufen. In den meisten von ihnen stehen nämlich noch Referenden an, die über einen EU-Beitritt entscheiden. Einige von Euphorie geprägte Bilder aus Kopenhagen werden dennoch in Erinnerung bleiben.
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Die Freude einer Kollegin fiel der deutschen Journalistin besonders auf. Kurz nach Abschluss der Beitrittsverhandlungen saßen die beiden an einem Tisch. "Wir sind drinnen!" jubelte die Polin. "Es ist schön, solche Emotionen zu sehen, nachdem der ganze Tag von technischen Details überlagert war", kommentierte die Deutsche. Und dann stießen sie auf die neuen EU-Mitgliedsstaaten an.
Euphorisch fielen auch die meisten Äußerungen in Polen aus. "Europa will uns. (...) Ob wir diese Einladung annehmen, ob wir zur Union gehören möchten, wird das polnische Referendum entscheiden. Für uns, Polen, sollte die Entscheidung nicht schwierig sein", schrieb die polnische Tageszeitung "Rzeczpospolita".
"Ein Traum hat sich erfüllt", kommentierte der ehemalige Bürgerrechtler und jetzige Herausgeber der "Gazeta Wyborcza" Adam Michnik. "Gewöhnlich vermeiden wir Pathos. Hier können wir es aber voller Rührung und Hoffnung sagen: In Polen, unserer Heimat, ist etwas sehr Gutes passiert. Wir sind im demokratischen Europa."
Vorangegangen waren dem zähe Verhandlungen im Bella Center, auf dem Kopenhagener Messegelände. Hatte die Türkei-Frage den ersten Abend des Gipfels dominiert, so lag es am Freitag in erster Linie am größten EU-Kandidatenland, den Abschluss der Gespräche voranzutreiben. Polen hatte sich in den Wochen davor zum Vorkämpfer für weitere finanzielle Zugeständnisse seitens der EU entwickelt. Gemeinsam mit Ungarn und Tschechien gehörte es dann zu den letzten der zehn Beitrittskandidaten, die dem nachgebesserten Finanzpaket zustimmten.
Demnach stellt die EU für die Erweiterung insgesamt 40,8 Mrd. Euro in den Jahren 2004 bis 2006 zur Verfügung - knapp die Hälfte davon für Polen. Der Netto-Zufluss in das polnische Budget wird 1,5 Mrd. Euro betragen. An Direktzahlungen erhalten LandwirtInnen in diesen Jahren 55, 60 und 65 Prozent des EU-Niveaus.
"Wir sind müde", räumte der polnische Ministerpräsident Leszek Miller bei seiner Erklärung Freitag Abend ein. Aber die schwierigen Verhandlungen hätten einen großen, gemeinsamen Erfolg gebracht. Polens Forderungen seien erfüllt worden.
Die Dichte der Gerüchte im Kopenhagener Bella Center
Am Vormittag hatte es noch anders ausgesehen. Die Polen seien knapp davor, den Verhandlungstisch zu verlassen, hieß es. "Die Dichte der Gerüchte pro Quadratmeter im Bella Center ist ungeheuer hoch", kommentierte der polnische Regierungssprecher Michal Tober gegen 13 Uhr. Um 14.30 Uhr ließ der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Nachricht aufhorchen, dass sich ein "schneller Durchbruch" abzeichne. Doch eineinhalb Stunden später erklärte Tober, dass auch die zweite Verhandlungsrunde ergebnislos geblieben war.
Als schließlich gegen 19.15 Uhr Miller seine Erklärung abgeben sollte, war der Presseraum zum Bersten voll. "Wir haben eine gute Nachricht", verkündete der polnische Ministerpräsident. Um danach die "historische Dimension des Ereignisses" zu betonen: Der Kreis schließe sich - "von der polnischen Solidarnosc zur europäischen Solidarität". Der 13. Dezember erhalte nun eine zusätzliche Bedeutung. Bis dahin hatte er in erster Linie eine: An dem Tag, vor 21 Jahren, ist in Polen das Kriegsrecht verhängt worden.
Mit großen Worten sparten auch die anderen Regierungschefs nicht. "Europa ist nun endlich versöhnt", erklärte der deutsche Außenminister Joschka Fischer. "In Freiheit gewählt, von unten gewachsen" sei dieser Zusammenschluss, betonte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel - und verwies auch auf jene Staaten, die "noch auf dem Weg sind". Mit den Worten "Willkommen in unserer Familie" wandte sich der dänische Ratspräsident Anders Fogh Rasmussen an die künftigen Mitgliedsländer. Und Belgiens Außenminister Louis Michel fand sein eigenes Bild für die EU-Erweiterung: Es sei die Rückkehr der entführten Kinder der freien Welt.
Grundsatzerklärung zur Erweiterung der Europäischen Union
Die Staats- und Regierungschefs der 15 jetzigen und 10 künftigen EU-Mitgliedsländer haben am Freitag in Kopenhagen folgende Grundsatzerklärung zur Erweiterung der Europäischen Union verabschiedet:
"Heute ist ein großer Augenblick für Europa. Wir haben heute die Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Zypern abgeschlossen. 75 Millionen Menschen werden als neue BürgerInnen der Europäischen Union begrüßt.
Wir, die derzeitigen und die beitretenden Mitgliedsstaaten, erklären, das wir den fortwährenden, umfassenden und unumkehrbaren Erweiterungsprozess uneingeschränkt unterstützen. Die Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien werden nach denselben Grundsätzen fortgeführt, die für die bisherigen Verhandlungen maßgebend waren. Die bei diesen Verhandlungen bereits erzielten Ergebnisse werden nicht in Frage gestellt.
Entsprechend den weiteren Fortschritten, die im Hinblick auf die Erfüllung der Kriterien für die Mitgliedschaft erzielt werden, besteht das Ziel darin, Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 als neue Mitglieder der europäischen Union willkommen zu heißen. Wir begrüßen auch die bedeutenden Beschlüsse, die heute in Bezug auf die nächste Phase der Bewerbung der Türkei um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union gefasst wurden.
Unser gemeinsamer Wunsch ist es, Europa zu einem Kontinent der Demokratie, der Freiheit, des Friedens und des Fortschritts zu machen. Die Union ist weiterhin entschlossen, neue Trennungslinien in Europa zu vermeiden und Stabilität und Wohlstand innerhalb der neuen Grenzen der EU und darüber hinaus zu fördern. Wir freuen uns darauf, in unserem gemeinsamen Bestreben, dieses Ziel zu erreichen, zusammenzuarbeiten.
Unser Ziel ist das eine Europa.
Belgien, Tschechische Republik, Dänemark, Deutschland, Estland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Zypern, Lettland, Litauen, Luxemburg, Ungarn, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Slowenien, Slowakei, Finnland, Schweden, Vereinigtes Königreich"
Beschlüsse des EU-Gipfels
Auf ihrem Gipfel von Kopenhagen hat die EU die Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern beschlossen. Zugleich wurden die finanziellen Bedingungen für den Beitritt von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern am 1. Mai 2004 festgelegt. Der Türkei wurde für Ende 2004 eine Entscheidung über den Beginn von Beitrittsverhandlungen zugesagt. Österreich konnte die Forderung nach einer Transitregelung von 2004 bis 2006 einbringen. Nachfolgend einige der Beschlüsse:
Erweiterung: Für deren Finanzierung werden für die Jahre 2004 bis 2006 insgesamt 40,852 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Davon entfallen 37,567 Milliarden Euro auf landwirtschaftliche Direktzahlungen und Strukturmittel sowie 3,285 Milliarden Euro auf Kompensationszahlungen. (...) Der Beitrittsvertrag soll am 16. April 2003 in Athen unterzeichnet werden.
Zypern: Der Europäische Rat betont das Interesse an einem EU-Beitritt eines wiedervereinigten Zypern. Er begrüßt die Bereitschaft der griechischen und türkischen Zyprioten, die Verhandlungen auf Basis des UNO-Vorschlags fortzusetzen und bis 28. Februar 2003 abzuschließen.
Türkei: Die EU "begrüßt ausdrücklich die wichtigen Schritte" der Türkei zur Erfüllung der politischen Bedingungen für eine Mitgliedschaft in der Union. Zu der Forderung der Türkei nach einem Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen heißt es: "Wenn der Europäische Rat im Dezember 2004 auf Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der Kommission entscheidet, dass die Türkei die politischen Kriterien erfüllt, wird die EU ohne Verzögerungen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnen."
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Begrüßt wird die Vereinbarung über die Nutzung von NATO-Kapazitäten durch die EU. Die Umsetzung des "Berlin plus"-Abkommens gilt nur für EU-Staaten, die entweder NATO-Mitglieder oder Teilnehmer am Programm "Partnerschaft für Frieden" sind und die bilaterale Sicherheitsabkommen mit der Allianz geschlossen haben. Zypern und Malta werden an EU-Militäreinsätzen unter Verwendung von NATO-Mitteln nicht teilnehmen.