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Rückkehr des "gerechten Kriegs"

Von Walter Hämmerle

Politik

Die Folgen des Irak-Krieges für die internationale Politik standen am Montagabend im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP). Der Politologe und Sicherheitsexperte Heinz Gärtner rechnet dabei mit einer Schwächung der UNO und einer zunehmenden Aufweichung des Völkerrechts. Vor diesem Hintergrund prophezeit er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die Rückkehr der Frage nach dem "gerechten Krieg". An Bedeutung wird seiner Ansicht nach aber auch die NATO verlieren. Statt ihrer wird - wie jetzt gerade am Beispiel des Irak-Krieges vorexerziert - eben jeweils eine zum Handeln entschlossene "Koalition der Willigen" zur Tat schreiten.


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"Völkerrechtswidrig" lautet der häufigste und - zumindest diplomatisch - schwerwiegendste Vorwurf gegen den Irak-Krieg der USA und ihrer Verbündeten. Gärtner jedoch kann einer Außen- und Sicherheitspolitik, die sich einzig und allein am Völkerrecht orientiert, nur wenig abgewinnen.

Völkerrecht hat keine Antwort auf neue Gefahren

Seiner Ansicht nach passen dessen Antworten schon längst nicht mehr auf die Fragen und Herausforderungen, die sich aus den postmodernen Bedrohungen für die internationale genauso wie die nationale Sicherheit ergeben. Denn während das Völkerrecht nach wie vor davon ausgehe, dass Bedrohungen für die Sicherheit eines Landes in erster Linie von anderen Staaten ausgehen, hätten sich, so Gärtner die Bedrohungs- und Gefahrenszenarien seit dem Ende des Kalten Krieges 1989 grundlegend geändert.

Statt hochgerüsteter Armeen ist es heute ein mit herkömmlichen militärischen Mitteln nur schwer greifbarer internationaler Terrorismus, der - indem er über nukleare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen verfügt - die Welt in Unsicherheit wiegt.

Vor diesem Hintergrund haben die Terroranschläge des 11. Septembers das Bewusstsein der USA und ihrer Verbündeten für die eigene Verletzbarkeit grundlegend verändert und die Angst vor Erpressbarkeit in einem Maße gesteigert, die vielen politischen Entscheidungsträgern in Europa offenbar kaum bewusst ist.

Es sei dieses neue Gefühl der Unsicherheit gewesen, das nach Ansicht Gärtners erst dazu geführt, dass die Gruppe rund um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vize-Präsident Dick Cheney innerhalb der Bush-Administration und später auch in der US-Bevölkerung die Mehrheit erringen konnten. Vor diesem Hintergrund werden die USA auch in Zukunft an ihrer Strategie eines vorbeugenden Militärschlages angesichts der Bedrohung mit Massenvernichtungswaffen festhalten.

Die Rückkehr des "gerechten Krieges"

Da jedoch eine solche Sicherheitsstrategie der USA nur schwer mit der UNO-Charta vereinbar ist, prophezeit Gärtner die Rückkehr der Frage nach dem "gerechten Krieg". Damit kehrt eine Frage wieder in den Mittelpunkt der Diskussion, die zuletzt im Mittelalter mit einiger Leidenschaft erörtert wurde.

Angesichts der Uneinigkeit im UNO-Sicherheitsrat über das Vorgehen gegenüber dem Irak stelle sich jedoch die Frage, wer das Entscheidungsrecht darüber hat, ob ein Krieg "gerecht" bzw. "gerechtfertigt" ist und somit ein Präventivschlag geführt werden darf. Dabei geht Gärtner davon aus, dass sich die Rolle eines Vetos - und damit der Veto-Mächte - im UNO-Sicherheitsrat ebenfalls ändern wird. Ein solcher Schritt werde in Zukunft einen Militärschlag nicht mehr verhindern können.

Die NATO wird zur Werkzeugkiste für Willige

Nicht ohne Folgen wird der Irak-Krieg nach Ansicht des Sicherheitsexperten auch für das nordatlantische Bündnis, die NATO, bleiben. Zwar wird diese als Verteidigungsbündnis weiter aufrecht und funktionsfähig bleiben, sie wird sich jedoch vom Traum eines kollektiven Sicherheitssystems verabschieden müssen.

Statt dessen werde die NATO immer mehr zu einer "Werkzeugkiste" für ihre Mitglieder werden, aus der sich jeder eben heraus nimmt, was er im Moment gerade braucht. Statt einer breiten und geschlossenen Allianz werde man sich auch in Zukunft an das Bild einer "Koalition der Willigen", wie es sich derzeit im Irak-Krieg darstellt, gewöhnen müssen: "Es wird immer eine solche Koalition handeln", ist Gärtner überzeugt. Und wer aus welchen Gründen auch immer nicht mitmachen wolle, tue dies eben nicht.