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Acht Jahre später war er tot. Muammar al-Gaddafi hatte sich Ende 2003 nach Verhandlungen mit Großbritannien und den USA bereit erklärt, auf Massenvernichtungswaffen zu verzichten. 2011 wurde er mit Hilfe westlicher Armeen während der libyschen Revolution gestürzt und getötet.
Das Beispiel Libyen ist das Schreckensszenario für Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un. Man darf daher annehmen, dass sich Donald Trumps Sicherheitsberater John Bolton bewusst war, welche Provokation er setzte, als er das "libysche Modell" als Vorbild für Nordkoreas Denuklearisierung nannte. Nordkorea stieß daraufhin Beschimpfungen in Richtung USA aus und drohte, den Gipfel mit Trump platzen zu lassen. Am Ende zog der US-Präsident selbst die Reißleine und sagte das Treffen ab. Dass er am Freitag plötzlich erklärte, der Gipfel könnte doch stattfinden, ändert nichts an der Gemengelage.
Klar ist: Die Erwartungen waren viel zu hoch und wurden vom großspurigen US-Präsidenten auch ständig angefacht. Einen "großartigen Deal für die ganze Welt" werde er mit Kim aushandeln, verkündete Trump noch vor ein paar Tagen.
Nun wird wieder mehr Realismus einkehren. Denn die Positionen der USA und Nordkoreas liegen so weit auseinander, dass es viel Vorstellungskraft bedarf, um sich einen Deal auszumalen.
Die USA wollen Nordkoreas völligen Verzicht auf Atomwaffen, bedingungslos und sofort. Doch aus Nordkoreas Sicht gibt es kaum einen Grund, das Waffenarsenal zu verschrotten. Für Kim und seine Entourage steht nämlich der Erhalt des eigenen Regimes über allem. Die Atomwaffen sind dabei die Lebensversicherung, eben nicht wie Gaddafi zu enden. Das in Aussicht gestellte Ende der Sanktionen mag zwar verlockend sein, ist aber wohl nicht entscheidend. Kim hat keinen Aufstand wirtschaftlich unzufriedener Bürger zu fürchten. Nordkoreas Unterdrückungsapparat ist so brutal und skrupellos, dass jeder Dissens sofort vernichtet wird.
Bei allen blumigen Worten war daher Nordkorea wahrscheinlich nie zu mehr bereit als zu einem Einfrieren seines Atomprogramms - und wird es auch in Zukunft nicht sein.
Damit bleibt die Nordkorea-Krise einer der global gefährlichsten Konflikte, der schnell eskalieren kann. Es reicht ein Zwischenfall an der innerkoreanischen Grenze, der außer Kontrolle gerät, es genügt eine überhitzte Entscheidung in Pjöngjang oder Washington. Wenn nun beide Seiten trotz der so unterschiedlichen Interessen weiter verhandeln, wäre viel gewonnen. Jeder noch so kleine Schritt der Annäherung nährt zumindest die Hoffnung auf eine Einigung. Allein diese sorgt schon für Mäßigung. Die Alternative wäre eine Rückkehr zur Ungewissheit, zur permanenten Kriegsgefahr.