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Rücklagen von A nach B

Von Petra Tempfer

Politik

Kerns Vorschlag, die Rücklagen der Sozialversicherungen aufzulösen, ist in der Umsetzung schwierig.


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Wien. "Ein Faktum, das nicht nur auf den ersten Blick beinahe absurd wirkt: unterschiedliche Leistungen bei gleichen Beiträgen", steht im "Plan A" von Bundeskanzler Christian Kern, der am Mittwoch seine Grundsatzrede hielt. Der SPÖ-Chef spricht damit Österreichs Sozialversicherungssystem mit mehr als einem Dutzend Krankenkassen an.

Die Unterschiede reichten "von der gynäkologischen Ultraschall-Untersuchung, die von einzelnen Kassen nicht bezahlt wird, über unterschiedliche Selbstbehalte und Zuschüsse bei Zahnleistungen (BVA-PatientInnen bekommen etwa zur Mundhygiene einen Zuschuss in der Höhe von 35 Euro) bis hin zu unterschiedlichen Zuschüssen bei Psychotherapie von 21,80 bis 50 Euro", so der Text. Kern plädierte daher dafür, die Rücklagen der Sozialversicherungen aufzulösen und die Selbstbehalte zu streichen. Also alle Leistungen anzugleichen.

2,65 Milliarden Euro liquid

Die Krankenversicherungsträger verfügen über rund 3,7 Milliarden Euro an Rücklagen, etwa 2,65 Milliarden davon in Form liquider Mittel. Die meisten Rücklagen hat die BVA (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter) aufgebaut - während bei den Gebietskrankenkassen eher die Ausgaben überwiegen. Die Rücklagen könnten zum Beispiel gleich für die Verbesserung der ärztlichen Versorgung eingesetzt werden, schlug Kern vor.

BVA-Obmann Fritz Neugebauer sieht das naturgemäß anders. "Dass man aus der fiskalischen Bewirtschaftung heraus den Versicherten beste medizinische Versorgung angedeihen lässt und dann andere dafür zahlen müssen, ist verfassungsrechtlich nicht gestattet", sagt er zur "Wiener Zeitung". Verfassungsjurist Theodor Öhlinger bestätigt: "Das widerspricht in der Tat dem Prinzip der Selbstverwaltung", sagt er. "Wenn von einem bestimmten Kreis an Personen Beiträge für deren Versorgung bezahlt werden und man direkt Geld abzweigen würde, könnte das problematisch werden." Neugebauer zufolge geht es darum, was man mit den Rücklagen macht. Die BVA zum Beispiel habe ein Rehab-Zentrum für Burn-out-Patienten in der Nähe von Graz gebaut, "wo medizinisch bahnbrechende Arbeit geleistet wird".

Selbstbehalte wiederum gebe es ja auch bei der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft, jener der Bauern, der Eisenbahner und der Bergbauern. Sie alle erfüllten den Zweck, so Neugebauer, dass Patienten wüssten, was Leistung kostet, und sie überprüfen könnten, ob die ärztliche Leistung erfolgt sei.

Auch für den Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit in der Wirtschaftskammer, Martin Gleitsmann, "ist der Selbstbehalt ein vernünftiges Element und erlaubt eine gewisse Kontrolle". Sinnvoller wäre es daher, sagt er, geringfügige, gezielte Selbstbehalte bei allen Trägern einzuführen.

Kerns Vorschlag der Vereinheitlichung und Gleichbehandlung hält er grundsätzlich für den richtigen Ansatz - allein die Stoßrichtung sei problematisch. Es dadurch erreichen zu wollen, "indem man positiv Wirtschaftenden etwas wegnimmt und zu den anderen schaufelt", sei nicht der richtige Weg. Freilich könnten manche Träger wie die BVA leichter Rücklagen aufbauen, während die Gebietskrankenkassen auch Arbeitslose und Bezieher der Mindestsicherung unter ihren Patienten haben. Was ja bei den Beamten nicht der Fall ist. Um hier effizienter zu wirtschaften, müsse man aber zuerst Ursachenerforschung betreiben und dann die Struktur von Grund auf ändern und zum Beispiel beim Verwaltungsbereich ansetzen. Dass es funktionieren kann, zeigten die GKK Salzburg und Oberösterreich. Ob eine Vereinheitlichung langfristig auf die Zusammenführung der Träger hinauslaufen sollte, sei Gegenstand von Studien. Festgefahrene Strukturen machen eine Umsetzung schwierig.

Nach Risikostruktur verteilen

Die Arbeiterkammer würde es jedenfalls für "höchst sinnvoll" halten, "Rücklagen in dieser Höhe wenigstens zum Teil aufzulösen und sie Kassen ohne Rücklagen zur Verfügung zu stellen", sagt Helmut Ivansits, Leiter der Abteilung Sozialversicherung. Grundsätzlich sei zu überlegen, die Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung fairer und daher stärker nach der Risikostruktur der Versicherten auf die Kassen zu verteilen.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger gibt sich zurückhaltend und sieht bei Kerns Vorschlag die einzelnen, sich selbst verwaltenden Träger gefragt. Eigentlich seien sie alle gesetzlich dazu verpflichtet, ein Zwölftel ihrer Versicherungsleistungen als Rücklagen zu haben, heißt es. Löse man diese auf, müsste man das Gesetz ändern. Die Höhe der liquiden Rücklagen von 2,65 Milliarden Euro sollte man zudem in Relation zu den Versicherungsleistungen sehen, die für 2016 in Summe 16,8 Milliarden Euro betragen hätten.