Zum Hauptinhalt springen

Rückschlag für Orange Revolution

Von Piotr Dobrowolski

Europaarchiv

Einigung auf Lager übergreifende Koalition in Ukraine. | Reformpolitik soll fortgesetzt werden. | Kiew. Vor zwei Tagen noch kampierten die Anhänger von Wiktor Janukowitsch in einer Zeltstadt im Zentrum von Kiew und überlegten, wie sie Präsident Wiktor Juschtschenko stürzen können. Sogar von einem Impeachment-Verfahren war die Rede. Seit gestern, Donnerstag, ist alles anders: Janukowitsch ist von Juschtschenko zum Premier ernannt worden, seine Anhänger jubeln. Dafür will aber nun die ehemalige Ikone der Orangen Revolution, Julia Timoschenko, eine Zeltstadt errichten - um gegen "den Verrat" zu demonstrieren, den Juschtschenko mit der Bestellung begangen habe.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Situation in Kiew ist tatsächlich pikant: Um Neuwahlen zu verhindern, die wohl eine erneute Pattsituation gebracht hätten, hat Juschtschenko ausgerechnet den Mann zum Premier gemacht, der einer der Drahtzieher hinter dem Versuch war, Juschtschenko im Wahlkampf 2004 zu vergiften. Damit kehrt der Ex-Premier und in der Präsidentenwahl unterlegene Janukowitsch, den viele ukrainische Kommentatoren trotz seines Sieges bei der Parlamentswahl im März für politisch erledigt erklärt haben, als Sieger auf die Bühne zurück. Er wird einer Koalition aus seiner prorussischen Partei der Regionen, der Präsidentenpartei Unsere Ukraine und den Sozialisten vorstehen.

Papier zur Absicherung

Ohne Gegenleistung hat Juschtschenko seinem Ex-Rivalen den Premierposten nicht angeboten: In einem Dokument, das sich "Universal der Nationalen Einheit" nennt, nagelte er Janukowitsch auf die Fortsetzung der bisherigen Westorientierung des Landes fest: Nato- und EU-Beitritt sollen primäre Ziele der ukrainischen Außenpolitik bleiben, die territoriale Einheit und Unabhängigkeit des Landes dürfen nicht angetastet werden - eine Absicherung gegen den Wunsch von Janukowitsch, so eng wie nur möglich mit Moskau zusammenzuarbeiten. Außerdem sollen die Posten des Generalstaatsanwalts, des Innenministers und des Chefs des Geheimdiensts vom Präsidenten besetzt werden.

Nun hofft Juschtschenko, dass damit für eine demokratische und westorientierte Ukraine vorgesorgt ist: "Ich verstehe, dass diese Koalition für viele schwer zu akzeptieren ist. Aber sie bietet die Chance, endlich die Teilung der Ukraine zu überwinden."

Doch nicht nur Julia Timoschenko, die sich noch vor wenigen Wochen als sichere Anwärterin auf den Premierposten sah und nun in der Opposition gelandet ist, stellt den guten Willen des Duos Janukowitsch-Juschtschenko in Frage. Auch der Politikwissenschafter Wadim Karasiow vom Zentrum für Globale Strategie in Kiew bleibt skeptisch: "Im Verhältnis zur USA und Westeuropa wird sich tatsächlich nicht viel ändern. Doch innenpolitisch und wirtschaftlich dürfte die Entwicklung eindeutig in Richtung russischer Kapitalismus gehen."

Die Reaktionen auf Janukowitsch Bestellung fielen im Westen zurückhaltend aus. "Die gute Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU wird vom guten Willen der Ukrainer abhängen", hieß es aus der EU-Kommission.