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Mit dem am Sonntag bei einem Bombenanschlag in Grosny getöteten pro-russischen Tschetschenien-Präsidenten Achmad Kadyrow wurde gestern auch der Kopf der Moskauer "Befriedungsstrategie" für die abtrünnige Teilrepublik am Kaukasus zu Grabe getragen. Als Nachfolger scheint Russlands Präsident Wladimir Putin auf Kadyrows Sohn Ramsan zu setzen.
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Tausende Menschen begleiteten den von Russland eingesetzten und bei der tschetschenischen Bevölkerung unbeliebten Kadyrow gestern auf seinem letzten Weg - einem traditionellen tschetschenischen Begräbnis in seinem Wohnort Zentoroi im Südosten des Landes. Am Sonntag war er auf der VIP-Tribüne des Dynamo-Stadions in Grosny bei den Feierlichkeiten zum Sieg Russlands über Nazi-Deutschland bei einem Bombenanschlag getötet worden. Nach russischen Angaben starben fünf bis sechs weitere Menschen, 57 wurden verletzt.
Während die russischen Behörden eine Großfahndung nach den noch unbekannten Attentätern eingeleitet haben, beschäftigte Moskau ein noch schwerwiegenderes Problem: Putin hatte voll auf Kadyrow gesetzt bei seiner Strategie der "politischen Lösung" für Tschetschenien. Diese sieht vor allem die formale Abschiebung der Verantwortung für die Kaukasusrepublik von Moskau nach Tschetschenien vor.
Bei den tschetschenischen Präsidentenwahlen am 5. Oktober 2003, die von internationalen Beobachtern als Farce bezeichnet wurden, räumte der Kreml seinem Statthalter noch alle chancenreichen Gegenkandidaten mit Geld, gut dotierten Jobs oder schlicht Einschüchterung aus dem Weg. Als möglicher Nachfolger im nun entstandenen politischen Vakuum, gilt Kadyrows Sohn Ramsan - und es bedarf eines neuerlichen Aufwands, um für ihn ein Legitimitäts-Konstrukt an der Spitze Tschetscheniens zu finden. Putin scheint bereits daran zu arbeiten:
Bereits kurz nach dem Tod seines Mannes in Grosny trat Russlands Präsident im Fernsehen mit Ramsan auf und erklärte Kadyrow senior zu einem Helden, der "unbesiegt ermordet wurde". Interimspräsident Sergej Abramow - zuvor als Ministerpräsident de facto kaum ein Entscheidungsträger - kündigte neue Wahlen innerhalb von vier Monaten an - und ernannte den Junior zum stellvertretenden Regierungschef. Und Ramsan verfügt neben der Gunst Moskaus über noch eine äußerst wichtige Vorraussetzung für politisches Gewicht in Tschetschenien: Als Befehlshaber der mehrerer tausend Mann starken Leibgarde seines Vaters hat er militärische Macht. Die berüchtigte Truppe ist bei der tschetschenischen Bevölkerung laut mehreren Umfragen mindestens ebenso gefürchtet wie die etwa 80.000 russischen Soldaten in der Republik, die etwa so groß ist wie die Steiermark. Diese versuchen seit 1999 ein paar tausend Rebellen, die mehr oder weniger dem einst demokratisch gewählten und nun im Untergrund lebenden tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow nahestehen, in die Knie zu zwingen.
Ermittler vermuten Verrat So machten die russischen Behörden am Sonntag auch reflexartig die Separatisten für den Anschlag auf Kadyrow verantwortlich, von denen sich besonders Radikale wie der Feldkommandant Shamil Bassajew immer wieder zu Anschlägen bekannt hatten. Schon am Montag richteten sich die Ermittlungen dann vor allem gegen Mitglieder der Leibgarde von Kadyrow. Viele Mitglieder dieser Truppe sind inzwischen ehemalige Rebellen, die vor die Wahl zwischen Dienst in Ramsans Eiheit und ihrer Liquidierung gestellt worden waren. Dass da manche auch nur zum Schein ihre Loyalität erklärt hatten, liegt auf der Hand.
Denkwürdiger Tag
Der Tag des Anschlags ist jedenfalls als Signal für Moskau zu verstehen. Nach dem Sieg der russischen Armee im Zweiten Weltkrieg wurden hunderttausende Tschetschenen von Stalin als mutmaßliche Nazi-Kollaborateure nach Kasachstan deportiert, Tausende starben in den Güterzügen auf dem Weg. Kein Tag zum Feiern für ein Land, in dem seit dem russischen Einmarsch um die 200.000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen sind.