Die zweitgrößte russische Bank VTB will bei einem Brexit London verlassen.
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Moskau/London/Wien. Dass sich die Finanzwelt um die City of London sorgt, ist nichts Neues. Bereits vor dem Brexit-Referendum im Juni warnten mehrere in London ansässige Großbanken, im Fall eines EU-Austritt Großbritanniens in einen EU-Staat umzuziehen. Von Dublin war hier oft die Rede, von Frankfurt oder Paris. Seit klar ist, dass der Brexit tatsächlich Realität wird, bangen die Geldinstitute in London vor allem um den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Denn ein sogenannter harter Brexit - der die Briten aus dem gemeinsamen Markt ausschließt - wird immer wahrscheinlicher.
Mit der russischen Bank VTB hat nun die erste Großbank angekündigt, ihren Investmentsektor aus London umzusiedeln. Im Gespräch sind laut "Financial Times" Frankfurt, Paris und Wien. "Eigentlich hatten wir große Pläne für unser Büro in London. Doch nach dem Brexit werden wir sie reduzieren und anderswo verwirklichen", sagte der Finanzchef und Vizevorsitzende der VTB, Herbert Moos. Und als Grund für die Entscheidung: "Ich bezweifle, dass die Europäische Zentralbank es akzeptieren würde, wenn wir wichtige Geschäfte von außerhalb der EU durchführen würden." Auch aus Moskau heißt es gegenüber der "Wiener Zeitung", dass man im Sinne einer Strategie für 2019 an der Entscheidung über eine neue Europazentrale der VTB-Gruppe arbeite. Allerdings sei nicht geplant, die Geschäfte in London komplett abzustellen.
Die Ankündigung der Bank kommt eine gute Woche nach dem Versprechen der britischen Premierministerin, den formellen Antrag zum EU-Austritt bis Ende März 2017 einzureichen. Theresa May und ihre Regierung haben dann zwei Jahre Zeit, um die Brexit-Bedingungen mit Brüssel zu verhandeln. Moos, der nicht an einen schnellen Erfolg dieser Gespräche glaubt, sagte zur "Financial Times", dass die Entscheidung zum Umzug nicht herausgezögert werden dürfe. Noch heuer will der Vorstand festlegen, wohin es gehen soll. Welche der drei Städte es nun wird, liegt laut Moos an verschiedenen Faktoren: nationale Bestimmungen, Fiskalpolitik und dem Pool an potenziellen talentierten Mitarbeitern im Land.
Sollte Großbritannien bei einem harten Brexit der Handel mit der EU erschwert werden, könnten weitere Finanzfirmen dem Beispiel der VTB folgen. Laut einer Studie der Beratungsfirma Oliver Wyman sind in der City of London rund 71.000 Jobs gefährdet, Großbritannien könnte zehn Milliarden Pfund an Steuereinnahmen verlieren. Sollten die Firmen also aus der City of London abziehen, welche Stadt wird dann das neue Handelszentrum Europas? Wenn Wien für die russische VTB in Frage kommt, könnten andere Firmen dann nachziehen?
Wien als Kompromiss?
Zwar ist Österreichs Hauptstadt nicht gerade sehr kosmopolitisch. Doch für Wien spricht neben der geografischen Lage auch die hohe Lebensqualität. Zum siebten Mal in Folge kürte die New Yorker Beratungsfirma Mercer Wien heuer zur Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Die Wirtschaftsagentur Wien verweist zudem darauf, dass die Stadt seit drei Jahren einen Rekord bei der Ansiedlung internationaler Unternehmen verzeichnet. Geschäftsführer Gerhard Hirczi: "Die Ansiedlung der japanischen Mizuho Bank und der Bank of China innerhalb eines Jahres zeigen, dass Wien für internationale Geldinstitute äußerst attraktiv ist."
Ein weiterer Faktor, der für Wien spricht, ist, dass es sich weder in Deutschland noch in Frankreich befindet. Manche Experten vermuten, dass Wien von einem etwaigen Streit zwischen Paris und Frankfurt um den Sitz des europäischen Finanzzentrums profitieren könnte. Ist Wien also der beste politische Kompromiss? Franz Hahn vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) glaubt nicht daran. Wien habe höchstens Außenseiterchancen. "Geldinstitute lassen sich nicht vorschreiben, wo sie hingehen", sagt der Bankenexperte, "sie suchen sich einen Ort, an dem sie kompetitive Vorteile haben."
Eine Umsiedlung von London in ein EU-Land komme für jene Banken in Frage, die primär Geschäfte in der EU abwickeln wollten. London werde internationaler Finanzplatz bleiben, daran ändere auch der Brexit nichts. "Und die Europäer haben kein Interesse, dem Finanzplatz London zu schaden." Jene Banken, die einen Stützpunkt in Europa suchten, würden wohl eher nach Frankfurt gehen: "Banken entscheiden nach ökonomischen Faktoren, nicht nach politischen. Frankfurt ist hier das Zentrum, hier sitzen die Großbanken, es gibt die nötige Infrastruktur und die Bereitschaft, das Finanzzentrum zu erweitern."
Sanktionen treffen VTB
Für die VTB könnten politische Gründe allerdings sehr wohl eine Rolle spielen. Denn die zweitgrößte russische Bank ist zu 61 Prozent im Eigentum des Staates. Auch sie ist von den Sanktionen gegen Russland in der Ukrainekrise betroffen. Hahn: "Wenn die Führungsrolle Deutschlands in Bezug auf die Sanktionen für die Russen eine Rolle spielen, dann hat Wien gute Chancen." Frankreich hat die Maßnahmen gegen Moskau auch mitgetragen. "Da kann es sein, dass man nach Wien geht." Immerhin befindet sich die Zentrale der VTB European Subholding, die Töchtern in Frankfurt und Paris hat, schon jetzt in Österreichs Hauptstadt.
Doch die Sanktionen haben die VTB ohnehin dazu bewogen, ihre Aktivitäten in Europa und den USA zurückzuschrauben. "Wir bewegen uns Richtung Osten", sagt Finanzchef Moos. Expandiert wird etwa nach China, Indien und Vietnam. Allerdings ist es durchaus möglich, dass der Ton der EU gegenüber Moskau nach einem Brexit wieder freundlicher wird. Immerhin war Großbritannien einer der größten Befürworter von Sanktionen gegen Russland.