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Ruf nach Dauerprotesten gegen Bushs Kriegspolitik

Von Leo Gabriel, Bombay

Politik

Die Kritik am Irak-Krieg und die Suche nach wirksamen Maßnahmen, wie der vor allem von den USA verfolgten Militarisierung der Politik Einhalt geboten werden kann, standen im Mittepunkt des Weltsozialforums (WSF), das heuer in der indischen Millionenstadt Bombay (Mumbai) stattgefunden hat.


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Ob vom vierten Weltsozialforum tatsächlich jene weltbewegenden Impulse ausgehen werden, die sich ein Grossteil seiner 122.000 registrierten BesucherInnen aus 132 Ländern erwarten, wird erst die Zukunft zeigen. Sicher ist jedoch, dass seine über 1.100 Veranstaltungen, die während der vergangenen sechs Tage stattgefunden haben, als das bisher bunteste und vielfältigste Ereignis dieser Art in die Annalen der Geschichte eingehen werden.

Denn während in den etwa 300 grösseren und kleineren Konferenzsälen auf dem mit sparsamsten Mitteln akondizionierten NESCO-Ground, einem riesigen Ausstellungszentrum im ärmlichen Stadtteil Goregaon, die meisten Konferenzen, Seminare und Workshops vor halbleeren Sesselreihen stattfinden, drängt sich in den umliegenden Gassen eine unübersehbare Menschenmenge, die sich nur mühsam durch die trommelnden Prozessionen der farbenprächtigen Demonstrationszüge windet, die aus den verschiedenen Teilen des Milliardenstaates Indien gekommen sind. "Noch nie haben wir eine derartige Energie und Vitalität gespürt", entfährt es da selbst dem Samba gewohnten Chico Whitaker, einem der Organisatoren der Weltsozialforen im südbrasilianischen Porto Alegre, wo das Welttreffen - zeitgleich mit dem Welwirtschaftsgipfel in Davos - in den letzten drei Jahren stattgefunden hat.

Asiatische Konvergenzen

Die meisten der Demonstranten und Demonstrantinnen gehören zu den so genannten Dalit ("Unberührbare"); das ist jene kastenlose Gesellschaft in Indien, die noch vor wenigen Jahren zu den outcasts gezählt hat, inzwischen aber sogar Ministerpräsidenten und andere wichtige Spitzen der äußerst komplexen politischen Landschaft des Subkontinents stellen. Neben den NGOs (Nichtregierungsorganisationen), den sozialen Bewegungen gibt es hier nämlich auch noch die so genannten Massenorganisationen, welche die Basis eines von vielfältigen Abspaltungen, partiellen Koalitionen und punktuellen Allianzen gekennzeichneten Spektrums der Linksparteien stellen. Dazu gesellen sich noch die Flüchtlinge aus Bhutan und Nepal, die südkoreanischen Gewerkschaftsdelegationen sowie Abordnungen von Sri Lanka bis Japan. Sie alle haben die Gelegenheit genutzt, um teilweise in wochenlangen Fussmärschen oder auf klapprigen Autobussen in die indische Finanzmetropole zu kommen, um ihren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit Nachdruck zu verleihen.

Besonders erwähnt werden in den indischen Medien auch die Delegationen aus Pakistan, denen in der Folge der indisch-pakistanischen Entspannungspolitik der beiden Regierungschefs eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Aber dieser potentielle Kriegsherd ist ohnedies nur einer von vielen, die auf den Tribünen des Weltsozialforums zur Sprache gebracht werden.

Hauptachse: "Frauen gegen den Krieg"

Im Zentrum der Klagen und Anklagen - gleichsam als Bindeglied zwischen den hier vertretenen Kontinenten - stehen vor allem die kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak, in Palästina und, in etwas geringerem Ausmaß, in Afghanistan, Kolumbien und Tschetschenien. Die Tatsache, dass insbesondere Frauen und Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden, kam etwa bei einer vielbeachteten Veranstaltung in der großen Arena des Ausstellungsgeländes mit dem Titel: "Frauen gegen den Krieg - Krieg gegen Frauen" zum Ausdruck.

Dabei handelt es sich bei den Kriegstreibern keineswegs nur um blutrünstige Militärdiktatoren. "Viel schlimmer noch sind die faschistischen Demokraten, die mit Billigung ihrer eigenen Bevölkerung fett geworden sind", sagt die indische Schriftstellerin Arindathi Roy, unter tosendem Beifall. Ihr steht dabei nicht nur die Vertreterin der afghanischen Frauenorganisation Rawa zur Seite, die die vom US-amerikanischen TV-Sender CNN über Monate ausgestrahlten Berichte über eine angebliche Befreiung der Frauen in diesem Land als Lüge entlarvt, sondern auch die Generalsekretärin von Amnesty International, Irene Khan aus Bangladesch, die an mehreren Beispielen aus dem Kongo und Tschetschenien nachweist, dass systematische Vergewaltigungen zusehends als Kriegswaffe eingesetzt werden.

Krieg zur Förderung des Terrorismus

Darauf, dass der von der US-Regierung angezettelte "Krieg gegen den Terror" in Wirklichkeit zu einer extremen Stärkung und Vertiefung der Fundamentalismen geführt hat, verweist die jüngste Friedensnobelpreisträgerin Saher Sabra aus dem Iran. Und der ehemalige Generalstaatsanwalt Ramsey Clark geht sogar soweit, diesen "Krieg des Terrors" nach denselben Maßstäben untersuchen zu wollen, die die USA bei den Nürnberger Prozessen gegen die Nationalsozialisten angelegt haben: Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

In die gleiche Kerbe schlägt da der Beschluss jener weltweiten Antikriegsnetzwerke, die am 15. Februar letzten Jahres Dutzende Millionen Menschen auf die Strasse gebracht haben und die für den 20. März wieder zu einer weltweiten Demonstration gegen die Besetzung des Irak und Palästinas aufrufen. Sie werden in den nächsten Monaten in Osaka, Brüssel, Hiroshima, New York und Istanbul eine Reihe von "Kriegverbrechertribunalen" veranstalten, auf deren imaginärer Anklagebank der Präsident der USA sitzen wird.

Besonders viel Applaus bekam auch Arundhati Roy mit ihrem Aufruf, jene US-Konzerne, die vom Irak-Krieg besonders kräftig profitierten, durch internationale Kampagnen, Boykottaktionen oder Massendemonstrationen "dicht zu machen".

Darüber, ob die Verhinderung der Wiederwahl von George W. Bush als prioritäres Ziel der in Bombay versammelten Globalisierungskritiker und -kritikerinnen (bzw. "Altermundialisten", wie sie sich jetzt zusehends nennen) angesehen wird, liefen bis zuletzt noch heftige Diskussionen. Sicher ist aber, dass der Kampf gegen die weltweite Militarisierung und Kriegspolitik alle anderen Ziele des heurigen Weltsozialforums in den Schatten stellte. Das ging sogar so weit, dass der US-amerikanische politische Philosoph Immanuel Wallerstein in seinem Seminar die provokante Frage aufwarf: "Ist die neoliberale Globalisierung jetzt tot?". Wallerstein und andere politische Beobachter aus Asien, Europa und Lateinamerika glauben nämlich, dass die traditionelle Politik des so genannten "Freien Marktes" nach dem 11. September 2001 von einer Politik der militaristischen Machtausübung verdrängt wurde, die zu einem neuen Protektionismus und einem Wiedererstarken nationalistischer Tendenzen sowohl in den USA als auch in Europa sowie in Südostasien geführt hat.

Gemeinsame Aktionspläne

Nichtsdestoweniger kamen in den verschiedenen Foren auch die traditionellen Anliegen und Ziele der globalisierungskritischen Bewegungen zur Sprache. Via Campesina, das unter anderem vom französischen Bauernführer José Bové und Rafael Alegría aus Honduras angeführte Netzwerk von Bauern- und Landlosenbewegungen, verbuchte das Scheitern der WTO-Verhandlungen in Cancun im September letzten Jahres als Erfolg ihrer Bewegung und ruft ab dem 17. April zu einem weltweiten Boykott von Coca Cola und Nestlé auf, weil sich diese in den letzten Jahren zu den weltgrößten Eigentümern der Wasserressourcen entwickelt hätten. Aber auch die in Mumbai besonders stark vertretene Frauenbewegung ruft zum Schutz der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität (Artenvielfalt) auf.

Überhaupt scheint es in Bombay gelungen zu sein, die sektoriale Abgrenzung zwischen Bauern-, Friedens-, Frauen-, Umwelt und Gewerkschaftsbewegung zumindest teilweise zu überwinden. "Angesichts der festgestellten Bedrohungen muss es sehr rasch zu einer Vernetzung der verschiedenen Teile der Bewegung kommen", forderten viele der Rednerinnen und Redner. Manche sprachen sogar von einem "Netzwerk der Netzwerke", das nicht mehr nur einem politischen Wunsch, sondern gemeinsamen Aktionen entspringen soll.

Dieser Trend spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Diskussionen um eine zukünftige Neugestaltung des Weltsozialforums wieder, das in einem Jahr wieder in Porto Alegre stattfinden soll. Während sich bis dato das Weltsozialforum nur als "öffentlicher Raum für den Austausch von Ideen, demokratische Debatten und der Formulierung von Vorschlägen" (Art. 1 der Charta von Porto Alegre) versteht, mehren sich jetzt die Stimmen, die angesichts der gespannten Weltlage für eine eigenständige Politik des Weltsozialforums eintreten, die ihren Niederschlag auch in den Perioden zwischen den einzelnen Sozialforen finden soll.

Gleichsam als ersten Schritt in diese Richtung optierte das Internationale Komitee, das die Leitung des Weltsozialforums innehat, in Bombay, sich für die Verwirklichung der so genannten Genfer Nahost-Friedensinitiative einzusetzen. Diese Initiative geht auf einen von verschiedenen Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen erarbeiteten Entwurf zur Lösung des israelisch-palestinensischen Konflikts zurück.

"Vielleicht wird sich bald herausstellen, dass nicht nur - so wie die Losung des Weltsozialforums lautet - eine andere Welt möglich ist, sondern auch ein anderes Weltsozialforum", meinte Walden Bello in einem vielbeachteten Diskussionsbeitrag.

Leo Gabriel ist Publizist und Sozialanthropologe sowie Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für zeit genössische Lateinamerikaforschung.