Wenn die knapp 150.000 Wahlberechtigten der - nur von der Türkei anerkannten - Türkischen Republik Nordzypern am Sonntag zu den Urnen gerufen sind, entscheiden sie über die politische Ausrichtung des Landesteils. Als aussichtsreichster Kandidat bei der Präsidentschaftswahl gilt Ministerpräsident Mehmet Ali Talat. Im Gespräch mit der " Wiener Zeitung " kündigt er eine Fortsetzung seines Reformkurses an.
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Die meisten haben genug von der Isolation. Und deshalb ist die Zeit von Rauf Denktash vorbei. Jahrzehntelang standen sich der Volksgruppenführer der türkischen Zyprioten und der griechisch-zypriotische Präsident als sture Verteidiger ihrer Auffassung gegenüber. Seit der Teilung der Mittelmeerinsel im Jahr 1974, nach dem Einmarsch türkischer Truppen, der auf einen versuchten Militärputsch griechischer Nationalisten folgte, ist der Norden immer mehr in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit gerutscht.
An die 350 Euro beträgt das Minimumgehalt im Norden, das Pro-Kopf-Einkommen im Süden ist fünf Mal höher. Die Industrie im türkisch dominierten Teil liegt großteils brach, Import und Export ist nur über die Türkei möglich, von der Nordzypern finanziell vollkommen abhängt. Doch Denktash, der mittlerweile 81-jährige Präsident der nur von Ankara anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, setzte sich für die Unabhängigkeit des Inselteils ein.
Aber die meisten türkischen Zyprioten haben genug davon. Im Dezember 2003 machten sie bei der Parlamentswahl erstmals eine reformorientierte Partei zur stärksten Kraft, bei der Wahl im Februar festigten sie die Republikanisch-Türkische Partei (CTP) noch mehr. Im April 2004 stimmten sie mehrheitlich für einen UNO-Plan, der eine Wiedervereinigung der Insel durch die Errichtung eines Bundesstaats mit zwei Kantonen vorsah. Im Süden jedoch lehnte ein Großteil der griechischen Zyprioten bei einem Referendum die Vorschläge ab. Zypern trat als geteiltes Land der Europäischen Union bei. Noch immer sind dort UNO-Friedenstruppen stationiert, sind nicht alle Minenfelder entschärft.
Mehmet Ali Talat, der sich als CTP-Vorsitzender und Ministerpräsident massiv für die Annahme des Wiedervereinigungsplans eingesetzt hat, will sich weiter um Gespräche zu einer Lösung des Problems bemühen. Er gilt als aussichtsreichster Kandidat bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag. Er selbst zeigt sich optimistisch, schon in der ersten Runde mehr als 50 Prozent der Stimmen zu erhalten. Umfragen zufolge käme er auf 60 Prozent, sein stärkster Konkurrent, der ehemalige Premier Dervis Eroglu von der Partei der Nationalen Einheit, auf etwas mehr als 25 Prozent. "Die Menschen wissen, was sie tun. Sie wollen eine Lösung", sagt Talat gegenüber der " Wiener Zeitung ". "Wir halten an unserem Ziel fest, in einer vereinigten Republik Zypern vollständiges Mitglied der EU zu werden und die Region zu stabilisieren."
Im Norden wird das Regelwerk der EU nicht angewandt, die zugesagte finanzielle Hilfe wurde von der Republik Zypern blockiert. "Bis heute hat die internationale Gemeinschaft nicht Druck auf die griechischen Zyprioten ausgeübt, um sie zum Einlenken zu bewegen", klagt Talat. Es sei nämlich am Süden, Vorschläge zum Wiedervereinigungsplan zu präsentieren.
Was der Ministerpräsident zunächst nicht erwähnt, ist die Rolle der Türkei. Das Land, das am 3. Oktober Beitrittsverhandlungen mit der EU aufnehmen möchte, hat zugesagt, die Republik Zypern durch die Ausweitung der Zollunion auf die neuen EU-Staaten anzuerkennen - was der zypriotische Staatspräsident Tassos Papadopoulos als Bedingung dafür genannt hat, die Gespräche mit Ankara nicht an seinem Veto scheitern zu lassen. Um dieses Zugeständnis auch innenpolitisch rechtfertigen zu können, müsste die türkische Regierung an einer Lösung des Zypern-Konflikts interessiert sein. Nordzypern sei nicht dagegen, dass Ankara das Zusatzprotokoll zur Zollunion unterschreibt, erläutert Talat. "Wichtig ist aber, Gleichheit für die türkischen Zyprioten zu erreichen und auch ihnen direkten Handel mit der EU zu ermöglichen." Darauf sollte die Türkei bestehen.
Neuerliche Verhandlungen über eine Wiedervereinigung könnten nach der Präsidentschaftswahl starten - wenn die griechischen Zyprioten dazu bereit sind. Sie würden es begrüßen, wenn die Vereinten Nationen und die Europäische Union in die Gespräche eingebunden wären, erklärte Regierungssprecher Kypros Chrysostomides vor wenigen Tagen. Dennoch sollte die UNO nicht das letzte Wort bei dem Friedensplan haben. Die Verhandlungen müssten gut vorbereitet sein und ohne zeitliche Einschränkungen geführt werden, meinte Chrysostomides. Bisher hat die griechisch-zypriotische Seite ihre Vorschläge nicht offiziell präsentiert. Dies würde ihre Verhandlungstaktik gefährden, war das Argument.