EU-Kommission hat Einwände gegen österreichische Flüchtlings-Kontingente.|Bundesregierung wird aufgefordert, Asylanträge ohne Obergrenze anzunehmen
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Brüssel. Diese Entscheidung gefällt Jean-Claude Juncker gar nicht. Auf den österreichischen Beschluss, die Zahl der Asylsuchenden und durchreisenden Flüchtlinge merkbar zu begrenzen, reagiert der EU-Kommissionspräsident mit deutlichen Worten. "Wir mögen nationale Grenzkontrollen nicht", erklärte er. Außerdem gebe es rechtliche Bedenken gegen die von Wien angekündigten Maßnahmen. Die hat auch schon Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in einem flugs verfassten Brief zum Ausdruck gebracht.
Österreich will die Einreise von Migranten stärker kontrollieren. Auf die Fixierung einer jährlichen Obergrenze folgte die Festlegung eines täglichen Kontingents. Ab dem heutigen Freitag sollen nur noch 80 Asylanträge am Tag angenommen werden; insgesamt sollen heuer nicht mehr als 37.500 Schutzsuchende aufgenommen werden. Nach Deutschland durchreisen dürfen höchstens 3200 Menschen täglich.
Dagegen erhob die EU-Kommission prompt Einwände. In seinem Schreiben an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hob Avramopoulos zwei Punkte hervor. Zum einen könne Österreich Asylwerber nicht einfach weiterziehen lassen, weil sich diese nicht das Land aussuchen dürften, in dem sie einen Antrag stellen. Sie müssten in dem Staat um Asyl ansuchen, wo sie EU-Boden betreten. Falls sie das nicht in Österreich tun, könnten die Behörden also die Einreise verweigern.
Wer jedoch um Schutz bittet, muss angehört werden. Und da ist der nächste Kritikpunkt. Eine Begrenzung der Annahme von Asylanträgen sei nicht vereinbar mit europäischem und internationalem Recht, mit der Genfer Flüchtlings- und der Menschenrechts-Konvention. "Österreich ist verpflichtet, jeden Asylantrag zu akzeptieren, der auf seinem Territorium oder an seiner Grenze gestellt wird", heißt es in dem Brief, der der "Wiener Zeitung" vorliegt. Daher sollte Wien die "einseitigen Maßnahmen" überdenken. Mikl-Leitner wollte daran aber zunächst festhalten.
Bruchlinien bei EU-Gipfel
Die Zurechtweisung erfolgte wenige Stunden vor Beginn des Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs, die gestern, Donnerstag, in Brüssel zusammen kamen. Neben der Zukunft Großbritanniens in der Union stand da eben die Flüchtlingskrise auf der Agenda. Doch eine europäische Lösung, die das deklarierte Ziel der EU-Institutionen ist, ist weiterhin nicht in Sichtweite. Stattdessen zeigten sich einmal mehr die Bruchlinien in der Gemeinschaft. Und das Kommissionsschreiben ist nur ein Beleg dafür.
Die Brüsseler Behörde selbst konnte ihr Konzept zur Umsiedlung von bis zu 160.000 Flüchtlingen innerhalb der Union nicht umsetzen. Deutschland wiederum ist bisher mit seiner Forderung nach einem fixen Schlüssel zur Verteilung der Asylwerber gescheitert. Einige osteuropäische Staaten, aber auch Frankreich lehnen solch eine Quote ab. Daher stützt sich Berlin nun nicht zuletzt auf einen Aktionsplan mit der Türkei, die der Gemeinschaft bei der Sicherung ihrer Außengrenzen helfen muss. Doch das Treffen einer Gruppe von Regierungschefs mit ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu, das vor der Gipfelsitzung in Österreichs Vertretung angesetzt war, fand nicht statt. Wegen eines Terroranschlags in Ankara sagte Davutoglu seine Brüssel-Reise ab.
Selbst in dieser "Koalition der Willigen", die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel um sich scharen wollte, sind Risse zu sehen. Da sind die Einwände Frankreichs, aber auch die Schritte, die Österreich setzt. Bundeskanzler Werner Faymann verteidigte die Kontingente: "Es ist undenkbar, dass Österreich die Asylwerber ganz Europas aufnimmt." Das Land habe im Vorjahr 90.000 Schutzsuchende akzeptiert - Mangel an Solidarität sei ihm also nicht vorzuwerfen.
Ende des "Durchwinkens"?
Allerdings setzen auch andere Staaten auf eine verstärkte Überwachung ihrer Grenzen, und dazu gehört Deutschland ebenfalls. An vier Übergängen zu Österreich gibt es derzeit Kontrollen im Straßenverkehr: in Suben, Walserberg, Kiefersfelden und an der Bundesstraße 20 im Raum Bad Reichenhall. Im übrigen Grenzgebiet wird temporär kontrolliert.
Dennoch bekräftigten die Gipfelteilnehmer, dass "gemeinsames Vorgehen" nötig sei, um die Zahl der Flüchtlinge zu senken. Das "Durchwinken" der Menschen entlang der Balkan-Route müsse ein Ende haben, heißt es im Schlussdokument des Treffens. Im März wollen die Spitzenpolitiker die Debatte fortsetzen.