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Ruhe vor dem Pleitensturm

Von Hermann Sileitsch

Politik

Märkte trotz drohender US-Zahlungsunfähigkeit erstaunlich gelassen. | Politstreit erschüttert Glauben an langfristigen Schuldenabbau.


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Washington. Die USA sind weniger als 100 Stunden von der Pleite entfernt -und die Investoren bleiben erstaunlich gelassen. Der Dollarkurs sowie die Aktienbörsen sind zwar schon seit Tagen unter Druck; der Schweizer Franken und deutsche Staatsanleihen profitieren als "sichere Häfen" von Geldzuflüssen. Von Panik sind die Finanzmärkte angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit aber weit entfernt. Die meisten Anleger vertrauen darauf, dass die Schuldengrenze von derzeit 14,3 Billionen Dollar im letzten Moment angehoben wird. Ab Dienstag, 2. August, könnte die US-Regierung sonst ihre Rechnungen nicht mehr zur Gänze bezahlen.

Die Einnahmen decken die im August fälligen Ausgaben nur zu 44 Prozent (siehe Grafik) ab, sofern die Regierung keine neuen Kredite aufnehmen darf. Darauf müssten sich aber die Parteien im Kongress einigen. Sie sind aber seit Monaten heillos zerstritten über die Frage, wie die USA ihre explodierende Staatsverschuldung in den Griff bekommen.

Politkrise, nicht Finanzkrise

Die Republikaner wollen den Rotstift bei den Ausgaben und insbesondere den Sozialleistungen ansetzen. Die regierenden Demokraten planen hingegen auch höhere Steuereinnahmen, etwa durch das Schließen von Schlupflöchern. Doch bisher fanden nicht einmal die republikanischen Abgeordneten, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit stellen, zu einer Linie. Eine Abstimmung über einen Vorschlag ihres Fraktionsführers John Boehner musste am Freitag zum dritten Mal verschoben werden: Hardliner aus der republikanischen Tea-Party-Bewegung verweigerten ihre Zustimmung. Die Demokraten, die im Senat ein Übergewicht haben, winkten ebenso ab und beharrten auf ihrem Vorschlag - der ebenso wenig Chancen auf eine Mehrheit hat.

US-Präsident Barack Obama betonte in einer Rede am Freitag, die Positionen lägen "nicht meilenweit auseinander". Man sei sich einig, dass die Verschuldung abgebaut werden müsse. Die Anhebung der Schuldengrenze habe damit nichts zu tun: Dabei gehe es nur um die Finanzierung bereits beschlossener Ausgaben.

Sollte eine Einigung vor Dienstag ausbleiben, drohe eine Abstufung der Kreditwürdigkeit, warnte Obama. Damit würden die Zinsen nicht nur für den Staat, sondern auch für die Unternehmen und Konsumenten steigen, was der Konjunktur schaden würde.

Nur minimales US-Wachstum

Diese schwächelt ohnehin massiv, weil die Konsumenten auf der Bremse stehen. Zwischen April und Juni wuchs die US-Wirtschaft (aufs Jahr gerechnet) nur um 1,3 Prozent. Analysten hätten 1,8 Prozent erwartet. "Das sind erschreckend niedrige Zahlen", sagte Tim Ghriskey von der Anlagefirma Solaris. Zumal auch das Wachstum für das erste Quartal von 1,9 auf 0,4 Prozent revidiert werden musste. Das erschwert nicht nur die Sanierung des US-Haushaltes, sondern bedroht überdies die Erholung der Weltwirtschaft.

Selbst wenn sich die US-Parteien vor Dienstag einigen: Das Vertrauen, dass sie die Blockade im Kongress überwinden und das Ruder in der Budgetpolitik langfristig herumzureißen können, ist erschüttert - zu sehr haben sich die Parteien hinter ihren ideologischen Positionen verschanzt. Die Gefahr einer Abstufung der Kreditwürdigkeit bleibt somit auch auf Sicht einiger Monate hoch.

Wissen: US-Staatsanleihen

(rb) Im Gegensatz zur Aktie erwirbt der Käufer von Anleihen keinen Anteil am Eigenkapital des Unternehmens, sondern gewährt einen Kredit, für den er Zinsen erhält. Der Käufer einer Staatsanleihe ist also Kreditgeber für das Land, das die Anleihe begibt. Die Zinsen hängen unter anderem davon ab, wie hoch die Ratingagenturen die Gefahr eines Zahlungsausfalles einschätzen. Wegen des Risikoaufschlages muss ein Land wie Griechenland wesentlich mehr Zinsen für seine Anleihen zahlen als Österreich oder Deutschland.

Gehandelt werden Staatsanleihen - die Laufzeiten bis zu 30 Jahre haben können - an der Börse. Somit können sie täglich ver- und gekauft werden. Die Staatsanleihen der USA galten bisher als risikofrei und haben sich aufgrund ihres gewaltigen Volumens zu einer Art globaler Standard für sichere Anlagepapiere entwickelt. Die USA haben zudem einen großen Finanzbedarf aus dem Ausland, weil sie seit vielen Jahren mehr Güter importieren als exportieren.

Bei China und Japan ist es umgekehrt. Sie investieren das überschüssige Geld daher meistens in die USA. Deshalb sind diese beiden Staaten die größten ausländischen Halter von US-Staatsanleihen: China besitzt US-Anleihen in Höhe von 1160 Milliarden US-Dollar und Japan hält Anleihen im Wert von 912 Milliarden Dollar. Die US-Notenbank Fed hält im Moment annähernd so viele US-Anleihen wie China.