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Ruhe vor dem Sturm - Rebellen bereiten Angriff auf Goma vor

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

Angst vor M23-Rebellen geht um|UNO und reguläre Armee zum Kampf bereit.


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Elitesoldaten gehen in Stellung - seit April sind 200.000 vor Kämpfen geflüchtet. Schlindwein

Kibumba/Goma. Seine Uniform ist zerrissen, Rotz läuft ihm aus der Nase, graue Bartstoppeln bedecken das Kinn. "Ich habe seit vier Tagen nichts gegessen, ich bin am Ende", sagt er und zeigt auf die Maniokfelder hinaus: "Wenn ich heute keine Rationen bekomme, muss ich die Ernte der Leute hier klauen", seufzt er.

Der Soldat, der seinen Namen nicht nennen will, sitzt am Fuße des gigantischen Nyarogongo-Vulkans, am Straßenrand nahe der kongolesischen Kleinstadt Kibumba, 28 Kilometer nördlich von Goma. Wie Vogelscheuchen stehen neben ihm Soldaten-Attrappen mit Helm und Uniformen - als Abschreckung. Mehrfach hatten die Rebellen der neu formierten M23-Miliz in den vergangenen Tagen angedroht, weiter nach Goma vorzumarschieren, nachdem sie vor wenigen Tagen mehrere Kleinstädte entlang der Grenze zu Uganda und Ruanda eingenommen hatten. Die Regierungsarmee zieht seitdem ihre Truppen rund um Goma zusammen, um die Millionenstadt zu verteidigen. Auch der hungrige Soldat sollte seine Stellung hier einnehmen. Doch: "Kämpfen kann ich nicht mehr", schüttelt er den Kopf.

Der indische General Singh kommandiert UN-Blauhelme.

Plötzlich kommt ein Militärkonvoi angebraust und hält am Straßenrand. Schwer bewaffnete Spezialeinheiten steigen aus. Sie salutieren vor dem frisch ernannten Kommandeur für Nord-Kivu, General Luis Bahuma. Auch ein Konvoi der UN-Blauhelme stoppt. Der indische General Harinder Singh grüßt Kommandeur Bahuma mit einem Handschlag. Gemeinsam stiefeln sie den Hügel hinauf.

"Kampf ist einzige Option"

Hoch oben auf dem Hügel hat man einen weiten Blick über die Landschaft: Rechts reihen sich die Berge Ruandas, links prangt der 4700 Meter hohe, aktive Vulkan. Im Tal zieht sich die Straße nördlich in Richtung der 40 Kilometer entfernten Stadt Rumangabo, die die M23-Rebellen vergangenen Sonntag eingenommen haben. Ein UN-Helikopter kreist über dem Landstrich. Die UNO-Piloten werfen seit Tagen Bomben über der M23-Bastion in Rumangabo ab. Die Generäle breiten eine Karte aus und besprechen die Verteidigungsstellungen. Die Hügel rund um Kibumba sind entscheidend für die Sicherung Gomas, hier sollen schon am nächsten Tag drei Regimenter der Armee stationiert werden. Die UNO-Blauhelme stellen weiter in Richtung Goma Panzer und Einheiten auf. "Ich werde an meine Truppen appellieren und deren Moral aufbauen", verspricht General Bahuma. "Wir haben keine Wahl, wir müssen kämpfen." Die M23-Miliz hatte sich im April formiert, nachdem ein Großteil der im Ostkongo stationierten Soldaten aus der Armee desertiert war. Es handelte sich dabei vor allem um die Offiziere der ehemaligen Tutsi-Miliz CNDP (Nationalkongress zur Volksverteidigung) unter der Führung des Kriegsfürsten Bosco Ntaganda, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird. Der CNDP hatte sich 2009 mit rund 6000 Kämpfern nach einem Friedensvertrag in die Armee integriert. Der Friedensvertrag war zustande gekommen, nachdem der CNDP im November 2008 auf Goma zumarschiert war, mit dem Ziel, die Stadt am Kivu-See einzunehmen.

In der Provinzhauptstadt Goma herrscht jetzt Angst, dass sich diese Situation wiederholt. Deswegen werden jetzt Vorkehrungen getroffen: Täglich landen Flugzeuge mit Truppen am Flughafen in der Innenstadt. Die UN-Mission im Kongo (Monusco) zieht aus allen Ecken des Landes Blauhelme in Goma zusammen. Auch die Armee hat mittlerweile selbst aus der Hauptstadt Kinshasa und der Provinz Katanga Truppen nach Goma entsandt. 28.000 Soldaten sollen nun die Rebellen der M23-Miliz aufhalten. Um die Bevölkerung zu beruhigen, hält Monusco Paraden in Goma ab, UN-Panzer patrouillieren durch die staubigen Straßen.

Am Montag war es in Goma zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, nachdem am Tag zuvor die Bezirkshauptstadt Rutshuru den Rebellen kampflos in die Hände fiel, weil die Soldaten Hals über Kopf davongelaufen waren. Jugendliche und Motorradtaxi-Fahrer hatten den Universitätscampus gestürmt und ruandische sowie kongolesische Tutsi-Studenten beschuldigt, mit der M23 zu kollaborieren. "Sie kamen mit Benzinkanistern und wollten uns anzünden", berichtet ein ruandischer Student, der über die Grenze in sein Heimatland flüchten konnte. Ein UN-Expertenbericht hatte Beweise veröffentlicht, dass Ruandas Militär die M23-Miliz unterstützt. Die Zivilgesellschaft Gomas wollte diese Woche mehrfach Demonstrationen abhalten, doch Gouverneur Julien Paluku hatte diese friedlichen Proteste nicht genehmigt. Als Symbol hat die Zivilgesellschaft daraufhin den Mittwoch zum Trauertag für Goma deklariert. Geschäfte waren geschlossen, die Leute blieben zu Hause.

"Moral der Soldaten ist gut"

Im Monusco-Hauptquartier herrscht hingegen bis tief in den Abend Hochbetrieb: Der Stabschef von Kongos Armee Didier Etumba brütet mit den UN-Generälen über eine Taktik, die Rebellen zu bekämpfen: "Die Moral meiner Soldaten ist gut, sie werden alles geben", versichert er, als er aus der Einsatzbesprechung kommt. Auch Monusco-Chef Roger Meece ist aus Kinshasa eingeflogen: Mit Bomben aus Kampfhelikoptern sollen die M23-Stützpunkte zerstört werden, erklärt Meece. "Dies ist Teil der Strategie, die Bevölkerung zu beschützen und im Rahmen unseres Mandats", sagt er. Doch bei der Bombardierung des Dorfes Rugare wurden am Donnerstag auch Zivilisten getroffen: zwei Tote, vier Schwerverletzte.

Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass niemand so recht Verantwortung für den Schutz der Kongolesen übernehmen möchte. Nachdem die M23 zuletzt die Städte Rutshuru und Kiwanja eingenommen hatte, erklärte M23-Anführer Sultani Makenga, seine Kämpfer würden die Städte räumen und der Monusco überlassen, um die Einwohner zu schützen. Doch Monusco-Chef Meece akzeptiert diese Rolle nicht.

"Wir werden uns darauf nicht einlassen", sagt er. Die M23 sei für alles, was dort geschehe, verantwortlich. Mittlerweile ist die Armee dort in ihren Kasernen zurück, bestätigen Einwohner am Telefon. Doch ein hochrangiger Kommandeur der Armee, der anonym bleiben möchte, streitet dies ab. Dies seien M23-Kämpfer, die sich als Soldaten ausgeben würden, um Massaker der Armee in die Schuhe zu schieben.