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Wenn vier von fünf Bürgern wenig bis gar kein Vertrauen in Politik und Politiker haben, wie eine Umfrage im Umfeld der Nationalratswahlen ergab, zeigt dies: Es läuft etwas ziemlich Grundsätzliches schief in dieser Republik.
Die große Koalition hat sich mit dem EU-Beitritt selbst überflüssig gemacht, seitdem befindet sich die Politik in einer eigenartigen Übergangsphase. Die Wähler spürten das als Erste: Keine vier Monate nach der EU-Abstimmung 1994 erteilten sie SPÖ und ÖVP bei den Nationalratswahlen eine deftige Abfuhr.
Seitdem warten wir auf eine politisch so schlüssige wie stabile Regierungsalternative zur rot-schwarzen Koalition. Schwarz-Blau wurde gewagt und ist gescheitert. Seitdem gab es noch zwei "Windows of Opportunities", den ehernen Drang zur großen Koalition zu brechen: 2002, als die Verhandlungen über Schwarz-Grün scheiterten; und 2007, als Alfred Gusenbauer vor dem Wagnis einer roten Minderheitsregierung zurückschreckte. Beide Male obsiegten politische Bequemlichkeit und falsch verstandenes Sicherheitsdenken über den Mut, ein neues Kapitel für die Republik aufzuschlagen.
Die Folgen dieser Mutlosigkeit wirken bis heute, die anhaltende Übergangsphase fordert ihren Tribut - bezahlt werden muss in der einzigen harten Währung in der Politik: Vertrauen.
Das ist kein geringer Schatten, der auf den Nationalfeiertag fällt, zumal auf schnelle Besserung nicht zu hoffen ist: Die Parteien haben ein erstaunliches kreatives Talent dafür bewiesen, Provisorien zu institutionalisieren.
Das Wahlergebnis vom 29. September führt zu einer Verlängerung des seltsamen Interregnums womöglich bis 2018. Die Machtverhältnisse und Persönlichkeitsstrukturen der wesentlichen Akteure sprechen schlicht dafür.
Umso notwendiger wäre es, für den Tag X nach der nächsten Wahl schon einmal Trockentraining zu betreiben. Stabilität ist zweifellos ein hohes Gut, aber ohne Dynamik führt sie nur zu Versteinerungen. Höchste Zeit also, sich auf die Suche nach solchen Kräften zu begeben, die das vorherrschende Gefühl saturierter Zufriedenheit durcheinanderwirbeln.
Ein Tipp: In den Reihen der etablierten Machtträger werden Ruhestörer dieser Art eher nicht zu finden sein. Und die Suche wird zweifellos mühsam werden, wäre aber ein lohnendes Motto für die Nationalfeiertage der kommenden Jahre.