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Folterungen in Umerziehungslager bis heute tabu. | Bukarest. Wenn sich Aristide Ionescu an die Qualen im Gefängnis von Pitesti in Rumänien erinnert, steigen ihm Tränen in die Augen. "Die Kommunisten haben versucht, meine Persönlichkeit zu brechen. Unaufhörlich haben sie mich gefoltert, damit ich Dinge gestehe, die ich gar nicht getan hatte." Der achtzigjährige war von 1949 bis 1953 wegen Verschwörung gegen die Sozialistische Ordnung inhaftiert. "Der Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn nannte das Pitesti-Experiment die schlimmste Barbarei des zwanzigsten Jahrhunderts. Er hatte Recht", so Ionescu. Der Mann verbrachte nur wenige Monate im Gefängnis von Pitesti, dann wurde er in eine andere Anstalt verlegt. Trotzdem wird er nie vergessen, was dort geschah.
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Gehirnwäsche
Von 1947 bis 1989 verhafteten die Kommunisten mehr als eine Million Regimegegner, Intellektuelle und Priester, weil sie dem Regime gefährlich werden konnten. 100.000 Menschen starben durch Folter, Entbehrung oder Selbstmord. In der Anstalt von Pitesti, wo 5.000 Studenten inhaftiert waren, wurde 1949 ein Experiment durchgeführt, das danach in allen Gefängnissen Rumäniens zur Anwendung kam. Mit physischer und psychischer Gewalt wurden politische Häftlinge einer Gehirnwäsche unterzogen. Nach der Umerziehung sollten sie wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden und keine Gefahr mehr für das kommunistische Regime darstellen. Organisiert und ausgeführt wurde das Experiment vom inhaftierten Jura-Studenten Eugen Turcanu, unterstützt von Gefängniswärtern und dem Direktor der Geheimpolizei Securitate, Alexandru Nicolski. "Schlaue" Gefangene gestanden und wurden zu Peinigern ihrer eigenen Mitgefangenen.
Die Inhaftierten, erzählt Ionescu, seien gezwungen worden, sechs Stunden pro Tag auf einem Bein zu stehen, mit vierzig Kilogramm Gewicht auf dem Rücken. Dann wurden sie zusammengeschlagen. Zu Ostern urinierten die Gefängniswärter auf die Gefangenen.
Peiniger kamen davon
Im Jahr 1953 wurde der Westen auf die Verhältnisse in Rumänien aufmerksam. Politischer Druck zwang das Regime, die Folterungen einzustellen. Eugen Turcanu und 18 seiner Helfer wurden erschossen, doch die Hauptschuldigen kamen ungeschoren davon. Aristide Ionescu kann seine Vergangenheit nicht bewältigen. "Meine Peiniger leben heute in Ruhe und Wohlstand. Alexandru Nicolaski genießt seinen Lebensabend in einem Haus mit sieben oder acht Zimmern, während ich mich um meine Rente sorge."
In Rumänien sprechen nur wenige über die Grausamkeiten, die in den Gefängnissen begangen wurden. Dabei führt die Berkeley Universität von Kalifornien ab 2006 sogar ein Forschungsprojekt über Pitesti durch. "Die Leute hier haben Angst vor ihrer Geschichte", erklärt der Bürgermeister von Pitesti, Tudor Pendiuc, das kollektive Schweigen.