Bukarest · Nachdem im Laufe des Jahres die kommunistischen Regime im Ostblock in unblutigen Revolutionen wie ein Kartenhaus zusammengebrochen waren · Ungarn und Polen hatten im Frühjahr den | Anfang gemacht, die DDR, die Tschechoslowakei und Bulgarien waren im Spätherbst gefolgt · behauptete sich nur noch in Rumänien der korrupte Clan des Diktators Nicolae Ceausescu. Aber auch dessen Tage | waren gezählt. Die am 17. Dezember in Temesvar begonnenen Unruhen griffen am 21. Dezember auf die Hauptstadt Bukarest über. Am Tag darauf kam es zum Umsturz, Ceausescu und seine Frau Elena flüchteten | und wurden nach drei Tagen von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und erschossen.
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In Rumänien, das im Ostblock seit langem einen eigenen Weg gegangen war · eine zeitlang wurde "Conducator" Nicolae Ceausescu, der sich im August 1968 nicht an der Invasion des Warschauer
Paktes in der Tschechoslowakei beteiligt hatte, vom Westen hofiert · nahm die Wende einen blutigen Verlauf.
Die Ereignisse, die zu Weihnachten 1989 die Welt in Atem hielten, begannen am Abend des 16. Dezember in Temesvar (Timisoara), einem Zentrum der ungarischen Minderheit, wo Demonstranten gegen die
Zwangsumsiedlung des oppositionellen ungarischen Pfarrers Laszlo Tökes auf die Strasse gingen. Tausende Menschen schlossen sich der Demonstration an und bald ging es nicht mehr nur um Pfarrer Tökes.
"Wir haben Hunger", "Wir wollen Freiheit" riefen die Menschen so wie zuvor in Leipzig, Berlin und Prag. Aber im Gegensatz zur DDR und zur Tschechoslowakei, wo sich die Sicherheitskräfte angesichts
der demonstrierenden Massen weitgehend zurückgehalten hatten, glaubten die berüchtigte Geheimpolizei Securitate und das Militär des seit 1965 regierenden Ceausescu, dass sie der Lage Herr werden
können und schlugen brutal zu. Als auf den Strassen von Temesvar schon die ersten Toten zu beklagen waren, reiste Ceusescu am 18. Dezember noch zu einem dreitägigen Staatsbesuch in den Iran.
Bei seiner Rückkehr hatten die Unruhen aus der Provinz schon auf die Hauptstadt übergegriffen, wo Demonstranten mit Nationalflaggen, aus denen sie das KP-Symbol herausgeschnitten hatten gegen
den Diktator auf die Strasse gingen. Der in die Enge getriebene Diktator versuchte noch einmal in die Offensive zu gehen und versprach in einer öffentlichen Rede eine Verbesserung der
Lebensbedingungen, doch die Proteste waren nicht mehr zu stoppen.
Am 22. Dezember jagte eine Eilt-Meldung nach der anderen über die Fernschreiber in aller Welt. Schüsse in Bukarest, Regimegegner im staatlichen Fernsehen, das zuvor nur Hymnen auf den Conducator
gesungen hatte und schliesslich die Flucht des verhaßten Ehepaares · zuerst per Hubschrauber, dann in einem Auto · waren die Sensationen des Tages. In Tirgoviste, hundert Kilometer von der Hauptstadt
entfernt endete die Flucht des einst mächtigsten Mannes im Land.
Am 25. Dezember wurden Nicolae und Elena Ceausescu an einem geheimen Ort von einem außerordentlichen Militärgericht zum Tode verurteilt und erschossen. Die grausigen Bilder des Prozesses und von dem
blutüberströmten Paar gingen zu Weihnachten 1989 um die Welt. Das Militärgericht begründete die Todesurteile damit, die beiden Angeklagten seien des Massenmordes schuldig, dem über 60.000
Menschen zum Opfer gefallen seien. Die Ceausescus wurden ferner schuldig befunden, das gesellschaftliche Eigentum zerstört und die Volkswirtschaft unterminiert zu haben. Laut Anklage hatte das Paar
eine Milliarde Dollar außer Landes geschafft.
Die Macht in Rumänien übernahm vorläufig der 1971 kalt gestellte ehemalige ZK-Sekretär der Kommunistischen Partei, Ion Iliescu. Provisorischer Ministerpräsident wurde Petre Roman, ein bis dahin
völlig unbeschriebenes Blatt. Der Rat der Nationalen Front zur rettung des Vaterlandes umfaßte 37 Mitglieder; unter ihnen waren nur sechs KP-Funktionäre, das Gros bildeten bekannte Regimekritiker wie
Dumitru Mazilu, Doina Cornea und Pastor Tökes.
Noch Ende Dezember formierten sich die ersten politischen Kräfte, die großteils auf früheren, unter Ceausescu verbotenen Parteien aufbauten.
Zu Jahresbeginn 1990 stellte die provisorische Staatsführung die politischen Weichen neu. Iliescu verkündete in seiner Neujahrsansprache die Abschaffung der Todesstrafe und die Auflösung der
Securitate. Bereits am 26. Dezember waren per Dekret mehrere Ceausescu-Gesetze aufgehoben worden, so die Lebensmittelrationierung, das Abtreibungsverbot und die "Dorfsystematisierung", die tausende
Dörfer und Kulturdenkmäler zerstört hätte.
Iliescu wurde am 20. Mai 1990 in den ersten freien Wahlen seit 50 Jahren als Staatspräsident bestätigt. Erst 1996 wurde der Postkommunist Iliescu von dem Christdemokraten Emil Constantinescu an der
Staatsspitze abgelöst. Die wirtschaftliche Wende haben die vielen wechselnden Regierungen jedoch seit dem blutigen Umsturz von 1989 nicht geschafft.