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Rumäniens Impferfolg

Von Daniela Prugger

Politik

Dem südosteuropäischen Land gelingt die rasche Immunisierung der Bevölkerung. Durch eine relativ erfolgreiche Impfstrategie versucht die Regierung, das verlorene Vertrauen in das Gesundheitssystem wiederzugewinnen.


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Entschlossen führt Alexandra Chirila durch eine Tagesstätte für Kinder mit Behinderungen im zweiten Distrikt von Bukarest, die während der Pandemie geschlossen wurde und nun als Impfzentrum fungiert. Von den Wänden lächeln den hier Wartenden noch immer aufgemalte Hasen und Zwerge zu, aus einem Fernseher dringen Musikvideos von Julio Iglesias. "Mit diesem Impfzentrum standen wir schon Ende Jänner in den Startlöchern, aber damals hat der Impfstoff gefehlt", erklärt Chirila. Bevor die 33-Jährige zur stellvertretenden Bezirksvorsteherin ernannt wurde, arbeitete sie als Tourismus- und Eventmanagerin. "Das hat bei der Organisation der Impfungen auf jeden Fall geholfen."

Seit der Parlamentswahl im Dezember des Vorjahres ist ihre Partei, das Reformbündnis USR-PLUS, die drittstärkste Kraft im Land, stellt auch den Gesundheitsminister. Dessen Ressort hatte Premierminister Florin Citu nach einem Skandal um verspätet ausbezahlte Gehälter für das medizinische Personal angehalten, wöchentliche Pressekonferenzen abzuhalten, um Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie vorzustellen.

Zumindest die Impfstrategie zeigt Erfolge. Seit dem 15. März befindet sich das 20-Millionen-Einwohner-Land in der dritten Impfphase: Nun kommt jeder an die Reihe. Rumänien ist da weit schneller als sein Nachbar: Es stehen doppelt so viele Impfdosen pro Kopf zur Verfügung wie in Bulgarien, das derzeit auf dieser EU-Liste das Schlusslicht ist.

Im Zentrum in Bukarest schlurfen Krankenschwestern in Schutzanzügen geräuschvoll über den Fliesenboden, stützen ältere Menschen am Arm. Jeden Tag werden hier rund 240 Personen mit dem Vakzin geimpft. Auch eine der Ärztinnen zeigt sich optimistisch. Mit den Impfungen laufe alles nach Plan. Nur ihr Gehalt, das sei noch immer nicht bei ihr angekommen, fügt die Frau hinzu.

Priorität für Obdachlose

Obwohl Rumänien als das zweitärmste Land der EU gilt, wurden seit Ende Dezember bereits 2,4 Millionen Impfdosen ausgeliefert, mehr als 1,5 Millionen Bürger wurden zumindest einmal geimpft, darunter mehrere hundert Obdachlose. Im Vergleich dazu sind in Österreich Bewohner in prekären Wohnverhältnissen erst in der dritten Phase an der Reihe - dann, wenn das Vakzin großflächig verfügbar ist. In Rumänien hingegen haben sie neben dem medizinischen Personal, Menschen über 65 Jahren, chronisch Erkrankten sowie systemrelevanten Arbeitern sogar Priorität.

Um die Menschen zu erreichen, hat die Stadt mobile Impfteams in die städtischen Obdachlosenheime ausgesandt. "Wer obdachlos ist, hat schon genug Probleme. Viele Personen haben Tuberkulose, HIV, Hepatitis. Ich finde, dass es einfach nur normal ist, dass diese Menschen im Impfplan Vorrang haben", betont Alin Arsu, ein 43 Jahre alter Sozialarbeiter im Obdachlosenheim des dritten Distrikts, des bevölkerungsreichsten Bezirks von Bukarest.

Achtzig Betten gibt es hier, sie sind jede Nacht belegt. Arsu öffnet die Tür des Gebäudes, an der Wand zeigt ein Bildschirm automatisch die Körpertemperatur der hereinkommenden Personen an. Ältere, Menschen mit Behinderungen, Alkohol- oder Drogensüchtige finden hier ein Dach über dem Kopf - und eine warme Mahlzeit. Im ersten Stock befinden sich die Schlafzimmer: rechteckige Räume mit gelben Wänden, in denen sechs oder acht Stockbetten stehen, ein Kühlschrank, ein Fernseher und ein abschließbarer Spint.

Virgil, 67 Jahre alt, ist pensionierter Architekt. Er trägt eine dicke Sehbrille wie aus den 1970er Jahren, sitzt auf der unteren Matratze des Etagenbettes, neben ihm läuft die TV-Serie "Hercules". Vor zwei Jahren wurde Virgil obdachlos, weil er sein Haus durch einen Brand verloren hatte. Seither teilt er sich das enge Zimmer mit fünf weiteren Männern und wartet auf einen Platz im Altersheim. Die Biontech/Pfizer-Impfung war einer der wenigen Lichtblicke der letzten Zeit. "Ich fühle mich seitdem sicherer, wenn ich auf die Straße gehe", erzählt der Mann.

So wie andere mittel- und südosteuropäische Regierungen, befürchtete auch die rumänische, dass das hiesige Gesundheitssystem unter der Pandemie kollabieren könnte - nicht zuletzt deswegen, weil zwischen dem EU-Beitritt 2007 und 2017 tausende Ärzte das Land verließen, um andernorts besser bezahlte Jobs zu bekommen. Die Regierung verhängte daher frühzeitig einen Lockdown, und noch immer gilt eine generelle Maskenpflicht. Dennoch: "Im November und Dezember 2020 wurden die meisten Todesfälle in Rumänien seit dem Zweiten Weltkrieg verzeichnet - 35.000 Tote pro Monat", berichtet Catalin Tolontan, einer der bekanntesten Investigativjournalisten Rumäniens. "Viele der Todesfälle sind auf die mangelnde Versorgung zurückzuführen, weil die Menschen nur eingeschränkten Zugang zu Krankenhäusern hatten."

Das Nationale Impfkomitee wird in Rumänien von einem Militärarzt geleitet. Die, wie es Tolontan formuliert, "rigide" Art der Kommunikation und die fehlende Transparenz hätten dazu geführt, dass die Bevölkerung ein Stück ihres Vertrauens in die Impfstrategie verloren habe. Seit einiger Zeit sind auf der Facebook-Seite des Komitees daher Nachrichten zu lesen wie: "Alles wird gut."

Schlüsselrolle für Hausärzte

Das Gesundheitsministerium wiederum fährt in den Sozialen Medien eine aktive Aufklärungskampagne: "Wenn du Brot kaufen willst, kaufst du es beim Bäcker. Wenn du medizinischen Rat brauchst, gehst du zum Arzt." Mit Transparenz und Informationen versucht die Regierung, die Impfskepsis zu bekämpfen. Während in Ländern wie Österreich und Deutschland in den vergangenen Monaten Impfgegner Stimmung machten, gab es in Rumänien verhältnismäßig wenige Proteste.

In der Immunisierungsstrategie kommt den Hausärzten eine Schlüsselrolle zu. Sie sind es, die die Termine für ihre Patienten organisieren. Um einen Anreiz dafür zu schaffen, hat das Gesundheitsministerium beschlossen, dass Hausärzte eine Art Provision erhalten. Für jeden Patienten, der zur Immunisierung angemeldet wird, erhält der Arzt 30 RON, umgerechnet etwa sechs Euro.

"Wir impfen, sobald wir die Impfungen bekommen. Das war unsere Strategie von Anfang an", sagt der rumänische Gesundheitsminister Vlad Voiculescu der "Wiener Zeitung". "Wir haben keinen Impfstoff bevorzugt, sondern so ziemlich alles bestellt, was wir kriegen konnten." Einen großen Anteil macht allerdings der Wirkstoff von Biontech/Pfizer aus.

Wie Österreich hat auch Rumänien die Corona-Impfung einer Charge des AstraZeneca-Vakzins für kurze Zeit ausgesetzt. Gestoppt wurde es nicht vollständig - wie in einigen anderen EU-Staaten. Und mittlerweile hat die europäische Arzneimittelagentur EMA eine Empfehlung zur Fortsetzung der Immunisierung mit dem Präparat von AstraZeneca ausgesprochen. "Wir verlassen uns auf die EMA, und die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO ist auch klar", betont Voiculescu.

Korruption im Krankenhaus

Der 37-jährige Minister stieg in den vergangenen Jahren zu einem der politischen Hoffnungsträger Rumäniens auf. Bereits 2016 war er für sechs Monate als Gesundheitsminister tätig. Damals erlebte das Land den größten Gesundheitsskandal in seiner jüngsten Geschichte. Nach einem verheerenden Brand im beliebten Nachtklub "Colectiv" starben 27 Menschen im Feuer, 180 Personen wurden verletzt. Von den Brandopfern, die nach der Katastrophe in diverse rumänische Krankenhäuser eingeliefert wurden, kamen in den folgenden Wochen noch einmal 37 Menschen ums Leben. Sie starben jedoch nicht an ihren Verbrennungen, sondern an den multiresistenten Keimen, die sie sich bei der Behandlung in den Spitälern eingefangen hatten.

Catalin Tolontan war einer der Journalisten, die den Skandal, die mafiösen Verstrickungen im Gesundheitssektor und die Korruption aufdeckten. "Unser menschlicher Verstand registriert Veränderungen nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten. Aber ich denke, dass wir uns in den vergangenen vier bis fünf Jahren sehr weiterentwickelt haben", stellt Tolontan fest. Noch immer gebe es Probleme in der Verwaltung des Gesundheitssystems und der Krankenhäuser. Aber immerhin: Das Einkommen der Ärzte hat sich erhöht und liegt derzeit zwischen 3.000 und 5.000 Euro netto. "Das hat dazu beigetragen, dass die Menschen weniger Bestechungsgeld in Krankenhäusern zahlen", sagt Tolontan.

Der Dokumentarfilm über die Tragödie im Nachtklub und die Recherche danach wurde heuer übrigens für die Oscars nominiert. Er heißt: "Kollektiv - Korruption tötet."