Reformer spricht von politischer Krise. | Neuer Auftrieb für Oppositionspolitiker Moussavi, Khatami und Karroubi. | Teheran/Wien. Irans Oppositionsbewegung meldet sich lautstark zurück. Zum ersten Mal seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl vor fünf Wochen hat Ex-Präsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani die Freitagspredigt in der Hauptstadt Teheran gehalten.
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Der Auftritt des unerbittlichen Gegners von Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat im Gottesstaat ein gewaltiges Echo ausgelöst. Rafsanjani erfüllte die hohen Erwartungen der vorwiegend jungen Zuhörer und nutzte das Gebet zu einem Rundumschlag gegen die Geschehnisse seit der Wahl. So forderte er die Freilassung aller festgenommenen Gefangenen, die bei Protesten gegen den Urnengang festgenommen worden sind, warf der Führung mangelnde Toleranz gegenüber dem eigenen Volk vor und meinte, dass das verloren gegangene Vertrauen der Iraner wiedergewonnen werden müsse. Danach schwor er die Menge ein, durchzuhalten: "Lasst uns die Gelegenheit nutzen, um eine bessere Zukunft für unser Land zu schaffen und die Probleme zu lösen", so sein klarer Seitenhieb auf die Führung.
Weiters zeigte Rafsandjani, der wegen seines diplomatischen Geschicks auch der iranische Kardinal Richelieu genannt wird, in seinem Gebet Verständnis für die Forderungen der Demonstranten: "In der gegenwärtigen Situation ist es nicht nötig, dass wir eine Anzahl von Menschen in den Gefängnissen festhalten. Wir sollten ihnen erlauben, zu ihren Familien zurückzukehren." Zudem sprach sich der 75-jährige Geistliche für eine Lockerung der Pressezensur aus.
Als erster ranghoher Vertreter der politischen Führung sprach Rafsanjani offen von einer politischen Krise, die den Iran erfasst habe. "Wir sind alle Mitglieder einer Familie. Ich hoffe mit dieser Predigt, dass wir diese schwere Phase hinter uns bringen, die durchaus als Krise bezeichnet werden kann", sagte er. Nach der Predigt wurde er von den Massen wie ein Held gefeiert. Rufe wie "Hashemi, Hashemi, du wirst uns retten" waren im ganzen Universitätscampus zu hören.
Zehntausendejubelnde Anhänger
Spätestens seit dem Gebet ist offensichtlich, dass Raf sanjani dabei ist, ein Auswegsszenario aus der Situation auf den Weg zu bringen. Ein Lächeln schenkte er während der Ansprache jedenfalls dem ebenfalls anwesenden und frenetisch bejubelten Moussavi, der sich für den wichtigen Schritt des Expräsidenten bedankte. Diese Geste wurde von der anwesenden Menge mit tobendem Applaus honoriert. Teherans Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf und Parlamentspräsident Ali Larijani begrüßten "das wichtige Gebet".
Obwohl ein Großaufgebot von Basij- und Pasdaran-Milizen den zentralen Ort des Gebets, die Universität, abgeriegelt hatten, versammelten sich zehntausende Anhänger des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Moussavi. Sie trugen die Farbe Grün als Zeichen des Protests und schrien: "Heute ist unser Tag. Keine Angst, keine Angst, wir sind alle zusammen."
Bürgermeister Ghalibaf wies die Polizei an, sich zurückzuhalten und die Predigt "nicht zu stören", was Beobachter als deutliches Zeichen der Sympathie für die Opposition deuteten. Die Protestteilnehmer, darunter der Student Hamed Bagheri, berichteten im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass die Atmosphäre auf den Straßen ausgesprochen gespannt war: "Ein Hauch Hoffnung weht heute durch Teheran. Doch die Milizen sind allgegenwärtig. Raf sanjani ist wohl für viele hier eine Art Lebensversicherung. Man wird sich kaum trauen zu morden, wenn er spricht", resümierte Bagheri nüchtern.
Es habe, so Bagheri, nur wenige Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten gegeben. Dabei sollen zwanzig Menschen verhaftet und mehrere mit Schlagstöcken und Tränengas "abgeschreckt" worden sein. Die große Masse wurde jedoch nicht daran gehindert, ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen. Ausländische Journalisten durften aber nicht zum Gebet.
Im Regelfall ist das Freitagsgebet in Teheran einer der Fixtermine der Hardliner, um scharfe Munition gegen den Westen und gegen Reformer zu entladen. Doch diesmal war alles anders. Fast die gesamte Oppositionselite - neben Moussavi kam auch der unterlegene reformorientierte Präsidentschaftskandidat Mehdi Karroubi - zeigten sich demonstrativ beim Gebet. Für Moussavi war es der erste offizielle öffentliche Auftritt seit der Präsidentenwahl.
Rafsanjani wusste offenbar genau, welche Verantwortung er als zweitmächtigster Mann im Iran innehat. Wochenlang hatte er geschwiegen und im Hintergrund die Fäden gezogen. Sowohl Rafsanjani als auch Moussavi, der bei der von massiven Manipulationsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl nach offiziellen Angaben klar unterlegen war, haben den von offizieller Seite verkündeten Sieg Ahmadinejads bisher nicht anerkannt.
Für Irans obersten Führer Ali Khamenei war dieses Gebet eine eindeutige Niederlage, da Rafsanjani dessen Führungsstil und damit dessen Unterstützung für seinen Schützling Mahmoud Ahmadinejad deutlich kritisierte.
Im Machtkampf der Führungselite wird es also auch bei der bevorstehenden Angelobung des alten, neuen Präsidenten und der Ernennung der Minister im Parlament (Majles) spannend, da Larijani als Parlamentspräsident und Widersacher Ahmadinejads bereits anklingen hat lassen, dass man es "dem Präsidenten bestimmt nicht leicht machen werde".
Ahmadinejad wird auch die Opposition nicht so einfach "ruhigstellen" können. Moussavi kündigte zu Wochenbeginn die Gründung einer neuen "politischen Partei" an, der verschiedene Reformparteien angehören sollen.
Rücktritt des Chefs der Atomenergiebehörde
Inzwischen gärt es auch innerhalb der Regierung. Der langjährige Chef der iranischen Atombehörde, Gholamreza Aghazadeh, ein enger Vertrauter Moussavis, trat am Freitag nach einem Disput mit Ahmadinejad zurück. Aghazadeh war 1997 unter dem reformorientierten Ahmadinejad-Vorgänger Mohammad Khatam, an die Spitze der Behörde gelangt und blieb auch nach dem Machtwechsel 2005 auf seinem Posten. Der 60-Jährige war zuvor von 1985 bis 1997 Erdölminister. Als Aghazadehs Nachfolger wurde Ali Akbar Salehi ernannt. Salehi war bis zum Jänner 2004 Botschafter des Iran bei der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien. Der Atomphysiker vertrat bisher eine gemäßigte Haltung im Atomstreit mit dem Westen.