Vor 50 Jahren organisierten sich Österreichs Landwirtinnen politisch - es war ein weiterer Schritt zu mehr weiblicher Beteiligung in der Politik.
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Vor 50 Jahren, genauer gesagt am 26. April 1972, wurde die Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Bäuerinnen gegründet. Die erste Präsidentin war Helga Wieser, Bäuerin in Anif bei Salzburg und ÖVP-Abgeordnete im Nationalrat; sie hatte das Amt bis 1986 inne. Frauen in Spitzenpositionen der berufsständischen Selbstverwaltung, im Genossenschaftswesen, in den Gemeindestuben sowie in den Landtagen und im Nationalrat waren damals noch eine Seltenheit.
Vor 50 Jahren war das vorherrschende, auch von den christlichen Glaubensgemeinschaften unterstützte Frauenmodell noch sehr stark auf Kinder, Küche und Kirche ausgerichtet. Das Familienrecht mit der Feststellung, dass "der Mann das Oberhaupt der Familie ist", stammte noch aus der Monarchie. Ohne Zustimmung des Mannes war eine berufliche Tätigkeit der Frau kaum möglich, ein eigenes Bankkonto auch nicht. Im Landwirtschaftsministerium gab es damals nur zwei Akademikerinnen, die Abteilungen leiteten.
Groß war die politische Überraschung, als Kanzler Josef Klaus (ÖVP) 1966 seine Parteikollegin Grete Rehor als erste Frau nach 1945 in die Regierung berief und mit der Führung des Sozialministeriums betraute. Sie füllte das Amt bis 1970 aus und war auch in der SPÖ akzeptiert. Während der Regierungszeit der SPÖ unter Kanzler Bruno Kreisky wurden 1975 mit der Familien- und Strafrechtsreform bedeutende rechtliche, bis heute gültige Grundlagen für die Gleichberechtigung der Geschlechter in Gesellschaft und Wirtschaft geschaffen, denen nach langwierigen Verhandlungen auch die ÖVP als Opposition im Nationalrat zustimmte.
Kreisky betraute damals vier Frauen mit Regierungsämtern. Es waren vor allem die SPÖ-Ikonen Herta Firnberg, Wissenschaftsministerin von 1970 bis 1983, und Johanna Dohnal als Staatssekretärin und später erste Frauenministerin, die politische Diskussionen über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie befeuerten und beharrlich für die Gleichstellung der Frauen, vor allem auch in der öffentlichen Verwaltung und beim Zugang zu politischen Ämtern, eintraten. Aktive Frauenpolitik ist heute politischer Konsens. In der öffentlichen Verwaltung sind sogar nach Ausschreibungen bei gleicher Qualifikation Frauen zu bevorzugen. Mittlerweile sind bereits Fälle bekannt, in denen qualifizierte Männer übergangen wurden und von der Gleichbehandlungskommission Entschädigung zugestanden bekamen.
Bei Betriebsleitern steigt der Frauenanteil mit dem Alter
Als die Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Bäuerinnen gegründet wurde, gab es noch rund 360.000 landwirtschaftliche Betriebe, von denen 47 Prozent im Voll- und 39 Prozent im Nebenerwerb bewirtschaftet wurden. Heute sind im Kontroll- und Fördersystem Invekos 106.570 bäuerliche Betrieben erfasst, 31 Prozent davon werden von Frauen geführt, was im EU-Vergleich ein sehr hoher Wert ist.
Vor 50 Jahren gab es noch keine Frauen in den Präsidien der Landwirtschaftskammern oder anderen Interessenvertretungen, und 97 Prozent der Bürgermeister waren Männer. Selbst im Jahr 2000 waren von rund 40.000 gewählten Mitgliedern in den Gemeinderäten nur 14 Prozent weiblich. Heute gibt es in den knapp 2.100 Gemeinden zumindest 202 Bürgermeisterinnen (fast 10 Prozent), darunter auch Bäuerinnen, unter anderem Silvia Karelly (44), Bürgermeisterin in der 1.500 Einwohner zählenden steirischen Gemeinde Fischbach und auch Landtagsabgeordnete.
Der Anteil der Betriebsleiterinnen in Österreich steigt tendenziell mit zunehmendem Alter. Unter 30 Jahren gibt es nur 19 Prozent Betriebsleiterinnen, in der Altersklasse 50 bis 59 Jahre sind es 36 Prozent. Die Anzahl der von Frauen geführten Betriebe in der Landwirtschaft sinkt aber in Folge des Strukturwandels und fehlender Hofnachfolgen. Die Bäuerinnen sind im Jubiläumsjahr nach wie vor das Herz der Familienbetriebe und können sich Erfolge wie gesetzlichen Mutterschutz und Karenzgeld für Landwirtinnen, die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes, die jährliche Anpassung des Pflegegeldes und die steuerliche Berücksichtigung der Kosten für die Kinderbetreuung sowie die Einführung des Betreuungsgeldes für alle auf ihre Fahnen heften.
In den 1970ern standen betriebliche und persönliche Bildung der Bäuerinnen im Mittelpunkt. Ab 1980 bis zum EU-Beitritt Österreichs 1995 bestimmten die politischen Forderungen sowie die Professionalisierung von Dienstleistungen (Direktvermarktung, Urlaub auf dem Bauernhof) und das Projekt "Lebensqualität auf dem Bauernhof" die Arbeit der Organisation. Nach dem EU-Beitritt wurden im Rahmen des ländlichen Entwicklungsprogramms die Ausbildung für effiziente Interessenspolitik und der Dialog mit der Gesellschaft intensiviert. Aktionstage in Schulen und das Engagement von 315 aktiven Seminarbäuerinnen haben wesentlich zur ruralen Imagepflege und zum Wissen über die Herkunft der Lebensmittel in der Gesellschaft beigetragen.
Die Interessenvertretungen sind weiblicher geworden
In der "Charter für Landfrauen" ist die aktive Mitbestimmung des öffentlichen Lebens, auch in den christlichen Glaubensgemeinschaften verankert. Mittlerweile sind Führungspositionen von Frauen nicht nur in der Land- und Forstwirtschaft, sondern auch in Unternehmen, in der öffentlichen Verwaltung, an den Universitäten und im Genossenschaftswesen keine Ausnahmen mehr. Die berufsständischen Organisationen sind heute wesentlich weiblicher organisiert. So steht mit Renate Anderl eine Frau an der Spitze der Arbeiterkammer, und die aktuelle Bäuerinnenvorsitzende Irene Neumann-Hartberger ist Vizepräsidentin des Bauernbundes.
Es gibt freilich noch Luft nach oben. Zwar sind im Nationalrat und in den Landtagen, in der Bundesregierung und in den Landesregierungen inzwischen viele Spitzenpositionen mit Frauen besetzt. Allerdings sind im Nationalrat erst 76 der 183 Abgeordneten weiblich (2005 waren es 50). Und Johanna Mikl-Leitner ist die einzige Landeshauptfrau unter acht männlichen Kollegen.