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Rush Limbaugh und die Meinungsfreiheit der USA

Von Konstanze Walther

Politik
Rush Limbaugh: "Obama ist nicht in den USA geboren, und Biden hat die Wahl nicht gewonnen."
© REUTERS

Der verstorbene Radio-Host nutzte das US-Verständnis der Redefreiheit für die Errichtung seines Imperiums.


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Mittwoch dieser Woche ist Rush Limbaugh an Lungenkrebs gestorben. Mit ihm nun geht der erzkonservativen Radio-Szene einer ihrer Gründerväter verloren. Er war ein Medienmensch, der so polarisierte wie kaum ein anderer - und es dank dieser Emotionen zu sagenhaftem Reichtum gebracht hatte. Limbaugh verdiente 85 Millionen Dollar jährlich und sprach bis zuletzt Menschen aus der Arbeiterschicht als einer der Ihren an. Ohne Limbaugh gäbe es nicht die Art von Talkshow-Radio, wie sie heute in den USA üblich ist, streute ihm Sean Hannity, ebenfalls ein konservativer Talk-Show-Host und Moderator von Fox News, Rosen. Ja nicht einmal nur das: Ohne Limbaugh gäbe es auch den konservativen TV-Sender Fox News nicht, oder andere Medien, die vor allem Meinungselemente transportieren.

Limbaugh dominierte jahrzehntelang - bis zu dieser Woche - die konservativen Radionetzwerke. "The Rush Limbaugh Show" war eine der am häufigsten gehörten Programme in den USA und wurde von 600 nationalen Radiostationen gesendet. Seine Goldgrube: Er machte das "Shock Radio", früher Bastion von Comedians, zu einem politischen Format. Unter "Shock Radio" werden Radioinhalte subsumiert, die gezielt Grenzen überschreiten, beleidigen und eben schockieren - aber natürlich nicht alle Zuhörer, sondern nur bestimmte Bevölkerungsgruppen. Durch dieses Aufsplitten "Wir gegen sie" wird eine wachsende Identifikation mit der eigenen Gruppe gefördert. Im Fall von Limbaugh, einem der wichtigsten Wasserträger von Donald Trump, wurde es immer mehr ein Mittel, um Hass zu schüren.

Menschen, die sich für die Obdachlosen starkmachten, hießen bei Limbaugh "Mitleidsfaschisten", jene, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch verteidigten, "Feminazis", Umweltschützer waren "Spinner, die Bäume umarmen". Globale Erderwärmung gäbe es nicht und der demokratische (und afroamerikanische) Präsident Barack Obama hätte nie bewiesen, dass er in den USA geboren wäre. Obamas Gesundheitsreform sähe Todeskommissionen vor, die Euthanasie bei älteren Amerikanern planen.

2012 wurde eine Jus-Studentin, die sich dafür starkgemacht hatte, dass die Gesundheitsversicherung auch Verhütungsmittel für Frauen abdecken solle, von Limbaugh als "Schlampe" und "Prostituierte" bezeichnet. Er forderte sie auf, ihre angeblichen Porno-Videos online öffentlich zu machen, damit "wir alle was davon haben, wenn wir schon dafür zahlen". 2020 noch hatte Limbaugh immer und immer wieder Wahlbetrug getrommelt und erklärte am Tag der Amtseinführung von Joe Biden 2021, dass der Demokrat nicht auf legitime Art gewonnen habe. Für manche war Limbaugh eine Ikone. In seinem Fahrwasser segeln neben Hannity noch viele weitere konservative Meinungsmacher in den Medien, etwa Glenn Beck, Laura Ingraham oder Tucker Carlson.

Fundamentaler Unterschied zum Rechtsverständnis in Europa

In Europa wäre es dagegen undenkbar, dass Moderatoren derart ungestraft Beleidigungen senden und mehrfach widerlegte Lügen als Fakten präsentieren dürfen. Aber in den USA wird die Redefreiheit als ein fundamental anderes Recht wahrgenommen als in Europa. Der Jurist Noah Feldman, Professor in Havard, sieht den "grundlegenden philosophischen Unterschied im Recht des Individuums auf Selbstdarstellung", wie er im Nachrichtendienst Bloomberg schreibt. "Amerikaner schätzen dieses klassisch liberale Recht sehr hoch ein - so hoch, dass wir auch Äußerungen tolerieren, die anderen Menschen das Gefühl geben, weniger wert zu sein." Europäer wiederum schätzen dagegen das demokratische Kollektiv und wollen, dass alle Bürger darin partizipieren können - und so wird in Europa das Recht des Individuums dort beschnitten, wo das Recht des anderen anfängt. Anders formuliert: "Das Recht des Einzelnen gewinnt in den USA, der Gleichheitsgrundsatz und die Rechte einer Gruppe gewinnen in Europa." Ein Ausfluss dieses Unterschieds ist etwa, wenn Facebook, Twitter und Google in Europa von Gerichten gezwungen werden, gegen Hasspostings auf ihren Seiten vorzugehen.

In den USA steht die Zensur von Hassreden nicht zur Debatte. "In der Tradition der US-Verfassung wird die Hassrede als Ausformung von rassistischen oder sexistischen Ideen aufgefasst", schreibt Feldman. "Sie mögen abstoßend sein, aber weil sie unter ‚Ideen‘ laufen, genießen sie den vollständigen Schutz" der Verfassung - der Redefreiheit. In Europa wird Rassismus dagegen als Diskriminierung aufgefasst, der gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. In den USA kann Hassrede erst dann verboten werden, wenn sie offensichtlich zur Gewalt aufruft. Solange nur "gestichelt" wird, ist alles erlaubt. Wann auch immer Limbaugh politische oder juristische Konsequenzen gedroht haben, berief er sich stets darauf, dass ohnedies alles mehr scherzhaft gemeint sei.

Auf zwei Gebieten verstehen die USA allerdings keinen Spaß, selbst wenn es um freie Meinungsäußerung geht. Das eine ist grob gesprochen die nationale Sicherheit - etwa die Bekanntgabe von militärischen Geheimnissen, was Wikileaks-Gründer Julian Assange schmerzhaft am eigenen Leib erfahren muss. Das andere sind Schimpfworte und (weibliche) Nacktheit in Medien. Der Oberste Gerichtshof verteidigte jene Einschränkung der Redefreiheit erst 2009 mit dem Hinweis, es könnten ja immer Kinder anwesend sein.